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Vom "Raketenmann" zur "großen Persönlichkeit"

Von Ronald Schönhuber

Politik

Der Gipfel in Singapur war vor allem in atmosphärischer Hinsicht interessant. Denn auf einmal sind Trump und Kim beste Freunde.


Singapur. Eine belastetere Vorgeschichte hätte es wohl kaum geben können. Als Donald Trump am 17. September 2017 in New York sein erste Rede vor der UN-Vollversammlung hielt, hatte der US-Präsident für Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un nichts als bissigen Spott über. Der kleine Raketenmann sei auf einer selbstmörderischen Mission, sagte Trump damals. Kaum weniger aggressiv fiel die Replik Kims zwei Tage später aus. Trump sei ein geisteskranker, seniler US-Greis, den er mit Feuer bändigen werde.

Doch von all dem ist knapp neun Monate später keine Rede mehr. Im Gegenteil. Als Trump sich am Dienstag kurz nach halb zwei Uhr zu Kim an den großen schweren Holztisch im Capella Hotel setzt, um die gemeinsame Erklärung nach dem historischen Gipfeltreffen in Singapur zu unterzeichnen, ist er voll des Lobes für den fast 40 Jahre jüngeren Nordkoreaner. "Es ist eine große Ehre, ihn zu treffen", sagt Trump mit fast schon überschwänglichem Ton. Kim sei eine großartige Persönlichkeit und ein sehr talentierter Mann, der sein Land sehr liebe. Zu gegebener Zeit werde er Kim daher auch ins Weiße Haus nach Washington einladen. Viel mehr Anerkennung aus dem Mund des US-Präsidenten ist kaum vorstellbar.

Kim gibt die Komplimente zwar weitaus zurückhaltender zurück und spricht nur von einem historischen Treffen und davon, dass er die Vergangenheit hinter sich lassen will. Dennoch ist an diesem Dienstag unübersehbar, dass auch aus Sicht des nordkoreanischen Machthabers die Chemie mit Trump zu passen scheint. So lächelt Kim, der als Geste des Respekts schon sieben Minuten vor Trump zu dem Treffen gekommen ist, schon beim ersten Handschlag mit dem US-Präsidenten in die Kameras der versammelten Weltpresse.

Auch später gibt es immer wieder fast schon vertraute Momente. So legt Kim einige Male die Hand auf die Schulter des US-Präsidenten, Trump wiederum lässt dem nordkoreanischen Machthaber immer wieder den Vortritt, etwa wenn es darum geht, wer als Erster ins Verhandlungszimmer geht. Nach dem Mittagessen, bei dem unter anderem frischer Oktopus und eingelegte Rippchen serviert werden, gibt es dann sogar einen sehr persönlichen Moment zwischen den beiden. Trump nimmt Kim nach einem kurzen Spaziergang beiseite und zeigt ihm die kugelsichere Präsidentenlimousine, die den Spitznamen "The Beast" trägt. Dass der Gipfel derart harmonisch und friktionsfrei verläuft, überrascht dabei selbst den Nordkoreaner. Die Menschen vor den Fernsehern auf der ganzen Welt müssten das Gefühl haben, sie sähen einen Science-Fiction-Film, sagt Kim bereits nach dem knapp 40 Minuten dauernden Vier-Augen-Gespräch mit Trump.

Aus unterschiedlichen Welten

Kims Verwunderung ist dabei durchaus nachzuvollziehen. Denn das erste Treffen zwischen einem nordkoreanischen Machthaber und einem US-Präsidenten steht nicht nur wegen der vorangegangen Beschimpfungen und Drohungen unter ganz besonderen Vorzeichen. Mit Trump und Kim kommen in Singapur auch zwei politische Alphamännchen zusammen, die normalerweise keinen Widerspruch dulden und den Kompromiss eher als Zeichen der Schwäche als der Stärke deuten. Und obwohl beide Politiker mit Privilegien und materiellem Überfluss aufgewachsen sind, kommen sie doch aus vollkommenen unterschiedlichen Welten: Hier der daheim gottgleich verehrte Diktatorensohn, der abgesehen von seinen jüngsten Reisen nach China und Südkorea seit vielen Jahren nicht mehr im Ausland war, dort der zum US-Präsidenten gewordene Reality-TV-Star aus New York, der fast alles im Leben so behandelt, als würde es dabei um ein großes Immobiliengeschäft gehen.

Die vielen warmen Worte und das Lächeln haben daher nach Ansicht von Körpersprachenexperten auch nicht überdecken, können, dass beide Männer vor allem zu Beginn ihres Treffens nervös sind. Beim Foto-Termin vor Beginn der Gespräche habe der US-Präsident etwa ein schiefes Lächeln aufgesetzt und viel mit seinen Händen herumgefuchtelt, sagt Karen Leong von der Singapurer Zweigstelle von Influence Solution. Kim habe dagegen zeitweise auf den Boden gestarrt.

Verdeckte Dominanzgesten

Nach Ansicht von Leong und dem australischen Körpersprachenexperten Allan Pease gibt es beim Gipfel zudem immer wieder auch ein nonverbales Ringen, in dem beiden Männer Zeichen der Dominanz zu setzen versuchen. "Das war kein normaler Händedruck", erklärt Pease, der sich die 13 Sekunden, in denen sich Trump und Kim die Hände schütteln, ganz genau angesehen hat. "Das ging rauf und runter, es war wie ein Drängeln. Jeder hat dabei versucht, den anderen etwas näher an sich heranzuziehen. Und keiner wollte zulassen, dass der andere aus dieser Kraftprobe als Sieger hervorgeht."

Bei seinem Zusammentreffen mit dem nordkoreanischen Machthaber hat der US-Präsident laut den Experten allerdings einen nicht unbeträchtlichen Startvorteil gehabt. Denn der 71-jährige Trump ist dem 34 Jahre alten Kim im Wissen über die Macht von Bildern und Videos weit voraus. Der US-Immobilienmilliardär hat in zahlreichen TV-Shows mitgemacht und ist spätestens seit dem US-Präsidentschaftswahlkampf fast dauernd in den Medien präsent.

Für Kim dürfte das allerdings nur bedingt eine Rolle spielen. Denn das Regime in Pjöngjang stützt sich auf staatstreue Medien, die die Führung nur im besten Licht erscheinen lassen. Und im Fall des Gipfels dürfte es in Nordkorea am Ende nur ein Narrativ geben. Nämlich jenes des großen Staatsmannes, für den sogar der US-Präsident um die halbe Welt fliegt.