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Übersiedlung mit Hindernissen

Von Sonja Gerstl

Politik

Das vorläufige Resümee der Verlegung von Asylwerbern von ihrem Heim in Erdberg in die Messe Wien ist durchwachsen.


An sich warte hier alles nur noch darauf, dass man bei der MA 15 (Gesundheitsamt) endlich reagiere, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Offiziell will niemand der "Knofl" in der durchwegs positiven Berichterstattung zum Umgang der Stadt Wien mit der Corona-Krise sein. Zu bemängeln gibt es allerdings einiges. Konkret geht es um jene 300 Asylwerber aus Erdberg, die als "Corona-Verdachtsfälle" seit dem 1. Mai eher unfreiwillig in der Messe Wien Quartier bezogen haben, und deren Quarantäne demnächst endet.

"Selbstverständlich müssen die bislang nicht positiv auf Covid-19 getesteten Personen mit 15. Mai nicht mehr länger in Quarantäne sein, sondern können sich wieder frei bewegen", sagt Andreas Huber, Sprecher des Wiener Krisenstabs. Ob sie vor ihrer Entlassung aus der Messe Wien noch einmal getestet werden? "Das entzieht sich meiner Kenntnis." Ob nach dem 1. Mai noch weitere Neuerkrankungen dazugekommen sind? "Das entzieht sich meiner Kenntnis." Wie die angemessene Nachbetreuung der rund 260 Personen aussehen könnte? "Das entzieht sich meiner Kenntnis."

Chaotische Übersiedlung

Doch von Anfang an: Am 1. Mai wurde im von Caritas und Arbeitersamariterbund im Auftrag der Stadt Wien gemeinsam betreuten Asylwerberheim "Haus Erdberg" im dritten Bezirk bei 15 Menschen das Corona-Virus nachgewiesen. Doch anders wie ansonsten üblich, wurden (wenn keine Isolation innerhalb der eigenen vier Wände möglich ist) nicht nur die erkrankten Personen separiert, sondern gleich alle Bewohner. Das Ergebnis dieser feiertäglichen Spontanumquartierung konnte man nachlesen. Es herrschte Chaos.

Es gab viel zu wenige Dolmetscher, die den verängstigten Menschen erklärten, was da gerade vor sich geht. Es gab "Fluchtversuche", weil einige dachten, dass sie jetzt abgeschoben werden. In der Messe Wien reichte das vorhandene Security-Personal nicht aus, um die Gemüter zu beruhigen. Die Polizei musste ausrücken. Quasi als Draufgabe gab es dann auch noch Schweinefleisch für Muslime - noch vor Sonnenuntergang, und das alles rund eine Woche nach Beginn des Fastenmonats Ramadan. Glück hatten jene Familien, die von ihren Angehörigen nicht getrennt werden wollten: Sie wurden in einer Einrichtung in Floridsdorf untergebracht.

Unklar ist, warum sich der Krisenstab der Stadt Wien auf dieses Wagnis einließ. Während man zunächst noch auf die bescheidenen sanitären Räumlichkeiten und den Mangel an Gemeinschaftsräumen in Erdberg verwies, die man als Betreiber der Asylwerberunterkunft letztendlich selbst zu verantworten hat, gilt nunmehr: "Es gibt in dieser Unterkunft keine Freiflächen. Die betroffenen Personen hätten keine Möglichkeit gehabt, in den nächsten 14 Tagen eine Zigarette zu rauchen", versichern Andreas Huber, Sprecher des Wiener Krisenstabs und Susanne Drapalik, Chefärztin des Arbeitersamariterbundes Österreich und Leiterin sämtlicher Covid-19-Betreuungszentren der Stadt Wien, unisono.

Unerwünschte Nachbarn

Darüber hinaus gibt es zwei weitere Möglichkeiten, warum letztendlich 300 Menschen in der Messe Wien landeten. Eine davon ist, dass die Stadt Wien ihre neueste Errungenschaft auf ihre Alltagstauglichkeit testen wollte. Bis vor den 300 Personen, die aus dem Asylheim kamen, war das für 800 Menschen konzipierte Corona-Krisenzentrum nämlich lediglich mit drei Personen belegt. "Die Unterstellung ist völlig aus der Luft gegriffen", sagt dazu Susanne Drapalik. Die zweite Theorie hängt mit der exponierten Lage des "Hauses Erdberg" zusammen. Das Gebäude, das sich im Verwaltungsbereich der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) befindet, beherbergt nämlich nicht nur die Unterkunft für Asylwerber, sondern darüber hinaus auch ein Sportgymnasium und das Bundesverwaltungsgericht der Republik Österreich. Die unmittelbare Nähe zu potenziellen Covid-19-Infizierten habe vor allem bei letzterem einiges an Unbehagen ausgelöst, heißt es. Schließlich teile man sich dort Fluchtwege und Brandschutztüren. Das wird als "ein Grund von vielen" bestätigt.

Die erste Woche in der Messe Wien verlief durchwachsen, die Gerüchtebörse brodelte. Immerhin standen mittlerweile ausreichend Dolmetscher bereit. Diese waren auch deshalb notwendig, weil die Aufnahme der 300 Personen offenbar so unkoordiniert verlief, dass Menschen, die auf Dauermedikation angewiesen sind, nicht entsprechend registriert wurden.

Auch die Beschaffung der dringend benötigten Arzneimittel soll nicht ohne Probleme verlaufen sein. Vorigen Mittwoch wurden schließlich 277 Menschen, die als "Angehörige" der 15 positiv getesteten Personen mit in Quarantäne wanderten, einem zweiten PRC-Test unterzogen. Dabei wurden zwei Neuerkrankungen festgestellt und "sofort isoliert", so Drapalik.

Psychologische Betreuung

Isoliert wurden in der vergangenen Woche auch Gruppen. Darunter diejenigen, die eine intensive psychologische Betreuung brauchen und denen die Unterbringung in einem Massenquartier mit den räumlichen Dimensionen der Messe Wien (die Notbetten stehen, lediglich mit nach oben offenen, mobilen Wänden voneinander räumlich getrennt, in einer der riesigen Messehallen, Anm.) nicht zumutbar war. Sie wurden in den 23. Bezirk übersiedelt.

"Die ganze Aktion war schlecht kommuniziert und organisiert. Das Krisenmanagement war furchtbar", sagt Herbert Langthaler, Sprecher der Asylkoordination Österreich. Das liege an der Behäbigkeit des Apparats und dem Fehlen von akzeptablen Mindeststandards in der Betreuung, sagt er. Schuldzuweisungen seien unangebracht. Jetzt ginge es darum, aus den Erfahrungen zu lernen. Damit sich das nicht mehr wiederhole.

Keine weiteren Tests

Laut Susanne Drapalik endet für all jene Personen ohne Covid-19-Nachweis die Quarantäne mit dem 15. bzw. 16. Mai: "Diese Personen dürfen in ihr Zuhause nach Erdberg zurückkehren. Der Rest bleibt in der Messe Wien." Eine weitere Testung wird es nicht geben, die Betreuerinnen im "Haus Erdberg" seien jedoch dazu angehalten, bei den Bewohnern regelmäßig Fieber zu messen. Sollte im Asylwerberzentrum erneut ein Corona-Fall auftreten, müsse man die Situation neu bewerten. Schlimmstenfalls drohen den Bewohnern des Hauses in der Erdbergstraße erneut 14 Tage Quarantäne in der Messe Wien.