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"Gewisses Maß an Demut wäre angebracht"

Von Christian Rösner

Politik
Die Wiener SPÖ sollte aus ihrer "Mia san mia"- und "Wir regieren alleine in dieser Stadt"-Mentalität herauskommen, meint Karl Mahrer.
© Rösner

Wiens ÖVP-Chef Karl Mahrer zieht Bilanz, kritisiert die SPÖ scharf und dementiert Spaltungstendenzen in seiner Partei.


Vor einem Jahr hat die Wiener ÖVP Karl Mahrer (67) zum geschäftsführenden Obmann gekürt: Der frühere Landespolizeikommandant und ÖVP-Nationalratsabgeordnete folgte auf Gernot Blümel, der nach dem endgültigen Abgang von Ex-Kanzler Sebastian Kurz ebenfalls das Handtuch geworfen hatte. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" zieht Mahrer Einjahresbilanz und erklärt sein Verständnis von Oppositionsarbeit in Wien.

"Wiener Zeitung": Vor einem Jahr haben Sie die Wiener ÖVP von Gernot Blümel übernommen. Damals haben Sie kurz vor dem Landesparteitag im Interview mit der "Wiener Zeitung" unter anderem angekündigt, aus der Wiener Volkspartei die "Grätzl-Partei" machen zu wollen - es ging um die Einsetzung von Grätzl-Beauftragten, um die Belebung von Erdgeschoßzonen, um Nachbarschafts-Shops - inwieweit sind diese Ankündigungen gediehen?Karl Mahrer: Ich habe damals gesagt, ich habe drei Ziele: Erstens auf die richtigen Themen zu setzen, zweitens ein Dialogforum zu gründen, um eine Öffnung der Volkspartei sicherzustellen, wo wir auch mit kritischen Geistern in einen Diskussionsprozess gehen, damit man in den einzelnen Fachbereichen - Wissenschaft, Forschung, Kunst und Kultur, aber auch Medizin, Gesundheit, Bildung und bei den Themen Sicherheit und Migration - in den Diskurs kommt. Das ist jetzt mit dem Thema bürgerliche Stadtpolitik gestartet worden. Und ja - drittens die Volkspartei zur Grätzlpartei zu machen. Da haben wir im Sommer und im Herbst massive organisatorische Vorkehrungen getroffen und einerseits unseren Bürgerdienst ausgebaut: über Telefondienste, Homepage, Social Media - und andrerseits über unsere 248 Grätzl-Bezirksrätinnen und -Bezirksräte, die sich jeweils um ein Grätzl kümmern. Nun starten die ersten Grätzl-Stammtische, Grätzl-Talks, Hausbesuche und Ähnliches mehr.

Was soll das bringen?

Mir ist wichtig, dass wir das, was wir an politischer Metaebene haben, auch direkt mit den Menschen vor Ort diskutiert können. Damit sie auch erfahren können, was ihnen persönlich die Politik bringen kann. Da geht es um so einfach klingende, aber schwierig umzusetzende Fragen wie zum Beispiel Oberflächengestaltung, Parkplatz versus Radweg und Ähnliches mehr. Und dafür haben wir - und da sind wir jetzt wieder bei dem Punkt eins meiner Ankündigungen - eine Themen-Schärfung der Volkspartei herausgearbeitet. Zum Beispiel, dass die Volkspartei nicht die Autofahrerpartei, nicht die Radfahrpartei, nicht die Öffi-Partei ist, sondern die Partei der Wahlfreiheit: Wir begrüßen alle Mobilitätsformen, weil die Menschen in der Stadt sie täglich alle nutzen, oft gleich mehrere am selben Tag. Und wir sind die Partei, die auch für Sicherheit und Ordnung steht, und wollen, dass die Verwendung von E-Scootern geregelt wird.

Die Straßenverkehrsordnung ist aber Bundessache.

Wir sind als Volkspartei natürlich auch eine Partei, die Bundesthemen in Bewegung bringt. Und die Stadt hat bereits auf unsere Initiative hin Maßnahmen im Abstellbereich der E-Scooter getroffen. Es geht zusammengefasst um Grätzlverständnis - das, was die Menschen vor Ort wollen, mit den Themen und der Wertehaltung der Volkspartei in Einklang zu bringen.

Als Sie Wiener ÖVP-Chef geworden sind, haben Sie gesagt, Sie werden konstruktive Oppositionsarbeit leisten: Ist es konstruktiv, bei der Causa Wien Energie vom größten Finanzskandal in der Geschichte Wiens zu sprechen, wenn kein Cent verloren wurde? Laufen Sie damit nicht Gefahr, sich den gewünschten Weg zu einer großen Koalition nach der nächsten Wien-Wahl zu verbauen?

Ich glaube, dass Wichtigste in der Politik sind Ehrlichkeit und Offenheit. Und ich sage ehrlich, das, was bei Wien Energie und der politischen Verantwortung geschehen ist, ist mehr als aufklärungsbedürftig. Und es ist notwendig, dass die größte Oppositionspartei der Stadt auch aufzeigt, wenn etwas nicht in Ordnung ist, und fordert, dass es hier eine umfassende Aufklärung gibt. Und der politische Mitbewerber sollte es aushalten, wenn man Fragen stellt und kritisiert. Ich habe dabei nie jemanden persönlich beleidigt - wie das in unserer politischen Kultur mittlerweile leider schon oft an der Tagesordnung ist -, ich habe nichts anderes gemacht, als konstruktiv und konkret nachzufragen.

Aber von dem größten Finanzskandals Wiens zu sprechen, ist schon übertrieben oder?

Ich glaube, dass das Risikomanagement der Wien Energie versagt hat. Denn wenn es ein gelungenes gewesen wäre, dann hätte niemals die Situation entstehen können, dass das Management der Wien Energie zur Bundesregierung geht, erklärt, dass sie binnen 48 Stunden insolvent ist, wenn sie nicht 2 Milliarden Euro erhält. Und das zu einem Zeitpunkt, wo bereits an Sicherheiten viele Milliarden Euro draußen waren - inklusive der 700 Millionen Euro durch die Notkompetenz des Bürgermeisters. Für ein Unternehmen, das im 100-prozentigen Eigentum der Stadt Wien steht. Das ist keinem anderen nationalen oder internationalen Energiekonzern passiert. Die zweite Frage ist, warum hat der Bürgermeister zweimal 700 Millionen Euro im Alleingang freigegeben, ohne die Organe des Gemeinderats oder auch des Stadtsenats einzubinden.

Vielleicht weil - wie in allen anderen Bundesländern auch - genau das die Notkompetenz jedem Bürgermeister ermöglicht?

Die Notkompetenz des Bürgermeisters zieht aber nur dann, wenn diese Organe nicht erreichbar sind. Als Mitglied des Stadtsenats weiß ich, dass während des vergangenen Sommers in mehreren Fällen Rundumbeschlüsse gelaufen sind, für die wir unsere schriftliche Zustimmung gegeben haben. Das heißt, dass wir bei Angelegenheiten, die gepasst haben, gefragt wurden, aber bei nicht passenden Angelegenheiten entscheidet der Bürgermeister alleine. Hier sollte die SPÖ wenigstens die Bereitschaft zur Selbstreflexion zeigen und aus der "Mia san mia"- und "Wir regieren alleine in dieser Stadt"-Mentalität herauskommen. Ich denke, ein gewisses Maß an Demut ist in der Politik durchaus angebracht.

Was ist mit dem Thema Integration?

Die Themen Integration, Migration und Sicherheit sind ganz wesentlich für uns und die besetzen und bearbeiten wir ganz intensiv. Hier ist es uns wichtig, eine realistische Sicht der Dinge zu erzeugen. Hier wird künftig noch einiges von uns wahrzunehmen sein.

In den Umfragen steht die Wiener ÖVP bei Weitem nicht mehr so gut da wie nach der Wien-Wahl unter Gernot Blümel. Was machen Sie falsch?

Wir verlieren im gleichen Ausmaß wie die Bundes-ÖVP - allerdings ist bei beiden festzustellen, dass eine Stabilisierung eintritt. Das heißt, ein Abwärtstrend ist jetzt nicht mehr festzustellen. In Wien stehen wir mit unseren Umfragen bei 12 Prozent, die SPÖ bei knapp 40, die FPÖ bei 16, Grüne und Neos jeweils unter 10 Prozent und die Bierpartei schwer einschätzbar. Aber ich sage immer: Umfragen sind wie ein Parfumfläschchen, man soll daran schnuppern, aber nicht daraus trinken.



Viele orten eine Spaltung in der Wiener Volkspartei, die bis vor einem Jahr noch als die "türkiseste" angesehen wurde. Die innerparteilichen Diskussionen nach dem Rücktritt von Laura Sachslehner als ÖVP-Generalsekretärin hatte diesen Eindruck noch verstärkt.

Ich sehe keine Spaltung - ich bin das beste Beweis dafür: Ich bin ein Schwarzer, weil ich seit 46 Jahren bei der Partei bin, und ich bin ein Türkiser, weil mich Sebastian Kurz in die Politik geholt hat. Was Laura Sachslehner betrifft, teilen wir in der politischen Diskussion beide dieselben Werte. Ich habe nur gesagt, dass ich es nicht richtig gefunden habe, auf welche Weise sie ihr Amt als Generalsekretärin zurückgelegt hat.

Viele hatten vor kurzem noch den Bundesparteiobmann im öffentlichen Geschehen vermisst und sich gefragt: Kommt da noch etwas? Wie ist das aus Ihrer Perspektive zu betrachten?

Ich bin jahrelanger Wegbegleiter von Bundeskanzler Karl Nehammer und ich sage, er ist der stärkste Krisenkanzler, den wir in der Zweiten Republik haben. Er managt die Auswirkungen der Covid-Krise, die Teuerung und Inflation, die Versorgungssicherheit in Sachen Gas ist gegegeben. Er hat erreicht, dass die Visa-Freiheit in Serbien gefallen ist, was uns in der Frage der Zuwanderung von illegalen Migranten massiv helfen wird. Auch die Bemühungen für ein Veto gegen die Schengen-Erweiterung ist sein politischer Erfolg. Das fällt vielleicht öffentlich nicht auf, hat aber auf die Öffentlichkeit eine große Wirkung.