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Luziferisches Lachen

Von Alexander Kluy

Reflexionen
Joseph Heller (1923-1999) auf einem Foto von 1985.
© ullstein bild / Calle Hesslefors

Der Autor von "Catch-22" war einer der großen satirischen Schriftsteller der Moderne. Am 1. Mai wäre er hundert geworden.


Vielleicht sollte man das Werk Joseph Hellers von hinten lesen und mit seinen zwei letzten Büchern beginnen. Mit "Now and Then" ("Einst und jetzt"), gedruckt im Sommer 1998, und dem posthum publizierten "Portrait of the Artist as an Old Man", seinem letzten Roman, den er kurze Zeit vor seinem tödlichen Herzinfarkt am 12. Dezember 1999 vollendete. Das Buch wurde seltsamerweise bis heute nicht übersetzt, auch nicht seine Storys aus dem Sammelband "Catch as Catch Can". Dabei ist es Hellers vielleicht verspielteste Prosa, sein hellstes, hochvirtuoses Jongleur-Kunststück.

Wieso aber ist dieser am 1. Mai 1923 geborene zirzensisch-unterhaltsame US-Romancier hierzulande heute fast vergessen? Im englischen Sprachraum sind alle seine Bücher lieferbar. Auf Deutsch nur "Catch-22" - in der Auflage von 1994! Dabei wäre es in Allüberallkriegszeiten höchste Zeit für diesen furiosen Anti-Kriegsroman der Extrabizarroklasse.

Liest man dieses ausgreifende Mammutepos, in dem an die vier Dutzend Figuren auf- und abtreten, als administrative Geister existieren müssen, in Wolken verschwinden oder sich von Pianosa, dem fiktiven Eiland südlich von Elba, bis nach Schweden treiben lassen, staunt man - denn es war Hellers Debüt. Würde man Exemplare zur obligatorischen Lektüre an Anfänger der Romanschreibschulen zwischen Leipzig und Leonding verteilen, gäbe es diese Einrichtungen nicht mehr - zu gigantisch ist Hellers Opus, zu überwältigend der Eindruck.

Krieg und Literatur

Sein Absinken aus dem Gedächtnis mag mit vielem zusammenhängen. Ein Autor, der sich gern schallend lachend fotografieren ließ. Kein Vielschreiber. Oft lagen Jahre zwischen den Büchern, zwischen Erst- und Zweitling gar dreizehn. Er war ein Autor, der mit jedem Roman Neues wagte. Dabei, stets ein Dauer-Malus bei der Kritik, war er kommerziell überaus bis sehr erfolgreich. Auch eine Rolle mag spielen, dass die meisten seiner Bücher in eher durchschnittlichen deutschen Übersetzungen erschienen.

Dabei ist es an der Zeit, diesen Autor wiederzuentdecken. Beginnen sollte man mit der Autobiografie "Einst und jetzt". Darin schildert er leuchtend - wie aber Freunde später einwandten: anmutig selektiv - seine arme Kindheit und Jugend in einem jüdischen Teilbezirk von Coney Island, New York. Sein Vater starb, als er fünf war, an ihn erinnerte er sich lebenslang nicht. Seine Mutter zog die zwei um einige Jahre als "Joey" älteren Kinder aus erster Ehe mit auf.

Heller zeichnet eine Jugend mit harmlosen Vergnügungen und vielen Freunden - Heller hatte lebenslang einen äußerst großen treuen Freundeskreis, ob seines Charmes, trotz seiner dezidiert schroffen Raubauzigkeit. Nach der Highschool verdingte er sich als Fahrrad- und Bürobote. Und wäre dies geblieben - aber der Weltkrieg war sein Glück. Er meldete sich freiwillig zur Air Force, diente in einem Bombengeschwader im Mittelmeer, hasste es zu fliegen, hasste den Krieg, hasste alles. Er kehrte unverletzt zurück und konnte dank der G. I. Bill studieren, erwies sich als hochbegabt und bekam ein Studium für Oxford.

© S. Fischer

Zwei Jahre war er schlecht bezahlter Unidozent, bevor er - es war die "Mad Men"-Ära - in die Werbeabteilungen dreier florierender Publikumsmagazine wechselte. 1953 notierte er eine Idee. Am Schluss war die Skizze 20 Seiten lang - der Nukleus der Großgroteske "Catch-22", das im November 1961 erschien und bis zur vorletzten Produktionsstufe noch als "Catch-18" betitelt war. Bis der Roman "Mila 18" des Erfolgsautors Leon Uris über den Warschauer Aufstand in den Buchhandlungen auslag.

Der Verkauf war schleppend, das Echo verhalten bis negativ. Ab dem Frühjahr wurde der Roman via Großbritannien zum Erfolg und mit der Taschenbuchausgabe, die im Herbst 1962 erschien, zum Millionenseller. Plötzlich erschienen Kritzeleien auf Wänden wie: "Yossarian lives!" - gemeint war die Hauptfigur Yossarian, der Bordschütze ist und sich dem Fliegen und dem Krieg verweigert. Der sich selbst als verrückt ins Spital einliefert und die hyperbürokratisch-repressive Militärmaschinerie aus Dummheit, Paranoia, Eitelkeit, Infantilität und Zynismus durchlebt.

Das war exaltiert überdrehter Kafkaismus mit Becketts Lachen und Rabelais’ Wortschatz. Ein Meisterwerk des Absurden. War doch schon das Basisprinzip namens Catch-22 per se absurd: Wer sich als verrückt deklariert, um nicht mehr fliegen zu müssen, hat, um entlassen zu werden, Unterlagen auszufüllen; füllt er diese korrekt aus (unkorrekt ausgefüllte werden nicht bearbeitet), ist klar, dass er nicht verrückt ist, und er wird sofort auf den nächsten Bomberflug geschickt.

1974 erschien "Was geschah mit Slocum" ("Something Happened"), eine gallenbittere Abrechnung mit der Gegenwart. Eine buchlange Jeremiade, in der Kapitalismus und das geistige wie emotionale Vakuum namens Leben in Ich-Form analysiert werden - durch eine "talking cure" eines Inkurablen, mit der Eloquenz famoser Luziferität und zugleich niederschmetternd banal. Wieder wurde es ein Riesenerfolg, literarisch wie im Verkauf. Ab dann lebte Heller als freier Autor.

In Machtzirkeln

© Simon & Schuster

Der Roman "Gut wie Gold" ("Good as Gold") von 1979 war dann tatsächlich so geschrieben, wie einst der Kritiker des "New Yorker" es "Catch-22" zum Vorwurf gemacht hatte. Der Text, so der für den Erstling abwegige, für "Gut wie Gold" dagegen treffende Vorwurf, sei aufs Papier geschrien. Es war Hellers, des Atheisten und nicht-observanten Juden, erster Roman mit einem jüdischen Protagonisten - und eine bitterböse, durch und durch schwarze Abrechnung mit der Politik, mit Washington, mit der Macht, vor allem aber mit Henry Kissinger. Die Herabsetzungen und Diffamierungen ziehen sich über dutzende Seiten.

David Gold ist ein gelangweilter Literaturprofessor in Brooklyn. Gelegentlich schreibt er polemische Essays für eine kleine, intellektuell blasierte Zeitschrift. Von Gold sind seine steilen Thesen als ironische Persiflage gemeint. Als er das erste Buch des gerade im Amt befindlichen US-Präsidenten, "My First Year in the White House", positiv rezensiert, erregt dies Aufmerksamkeit im Weißen Haus. Eine goldene Zukunft scheint sich aufzutun, denn ein einstiger Kommilitone Golds zählt zum Beraterstab.

Gold verschlägt es in die Korridore der Macht, er präsidiert einem Ausschuss, der sich nach kürzester Zeit selbst auflöst (und dafür höchstes Lob erfährt), er begegnet einer neuen Liebe, deren Vater einst einflussreich auf dem Kapitol war. Dieser erweist sich als Inbegriff von Rassismus, Antisemitismus, Elitismus - noch abstoßend widerwärtiger als Mr. Endicott in Norman Jewisons "In der Hitze der Nacht".

Und da ist auch noch die große Mischpoche der Golds, dominiert von einem jähzornigen Patriarchen, der zwischen Coney Island und Florida hin und her pendelt und jedes Familientreffen zur Farce macht. Besonderes Hassobjekt: sein jüngster Sohn, die Brillenschlange, der Einzige der Familie, der aufs College ging, promovierte und Professor ist. Wieso hat G’tt ihm nur dies Schicksal, diesenMeschuggenen auferlegt, diesen Schmegeggen, rätselt der Vater.

Es ist eine extrem hochtourige Aggro-Komödie der allerärgsten Art, die Heller mit Furor zu Papier brachte und sich dabei bei Familie, Verwandten und Freunden bediente, inklusive der Schilderung einer Ehe, die am Ende nur noch vor sich hinvegetiert. Man staunt, wie tagesaktuell diese Unsitten-Komödie von Irrungen, geistigen Flachleistungen so gieriger wie ganzdebiler Politiker und öliger Rhetorik ihrer moralbefreiten Berater anmutet: "Die morgigen Sitzungen der Kommission können für dich sehr wichtig werden, Bruce, weil niemand sonst ihnen Wert beiliegt. Verhalte dich, wie du es für richtig hältst, solange du nicht von unserer Linie abweichst. Bestimmte Vorstellungen haben wir nicht, von denen gehen wir aber keinen Schritt ab. Ergreif die Zügel. Die Regierung steht vorbehaltlos hinter dir, solange das nicht notwendig ist."

Im zweiten Drittel, wo es um Golds (und Hellers) Hassobjekt Nummer 1 geht - Henry Kissinger -, sprengt der Roman seine Form. Aber Heller war ein zu erfahrener Erzähler, um nicht auf den letzten 40 Seiten noch elegant die Kurve zu nehmen und alles in ein sattironisches Finale münden zu lassen.

Ab 1985 mit "Weiß Gott" ("God Knows") erschienen dann seine Bücher auf Deutsch nicht mehr bei S. Fischer, sondern im literarisch eher durchschnittlichen C. Bertelsmann Verlag in weiterhin eher durchschnittlichen Übersetzungen. Was dann wohl auch ein Grund dafür war, dass Heller mehr als Unterhaltungsautor wahrgenommen wurde denn als Literaturschwergewicht auf der Höhe von Philip Roth oder Saul Bellow.

Diabolischer Humor

© Simon & Schuster

Heller blieb unberechenbar. "Weiß Gott" ist ein 356 Seiten langer Monolog des biblischen Königs David, in den, wie der Heller-Ausdeuter Sanford Pinsker meint, alle Klischees des jiddischen Theaters eingearbeitet wurden und jeder Gag zum Borscht Belt - bis in die 1950er Jahre eine Kette bevorzugt jüdischer Sommerhotels in den Appalachen. Hellers lebensthematische Trinität von Eros, Thanatos & Schmonzes ist zu einem rhetorisch fantastischen Gerede-Zopf geflochten, der wichtigste Faden dabei: ein diabolischer Humor.

1988 erschien "Picture This" (deutsch unter dem barocken Titel "Rembrandt war 47 und sah dem Ruin ins Gesicht"), eine kunstvolle Darstellung von Leben, Kunst, Tod und Scheitern, die merkwürdigerweise von der Kritik abgewertet wurde. "Endzeit" ("Closing Time"), das sich 1994 wieder S. Fischer schnappte und Joachim Kalka gut übertrug, war ein herrlich absurdes Sequel von "Catch-22".

Dazwischen lag 1986 mit "Überhaupt nicht komisch" ("No Laughing Matter") der Bericht über seine Erkrankung Ende 1981 am Guillain-Barré-Syndrom, das zu einer fast vollständigen Lähmung führte und zu langer Rehabilitation. Doch Heller wäre nicht Heller gewesen, gebenedeit mit Ironie und Selbstironie, wenn er dies nicht furios erzählt hätte - furios vierhändig im Zusammenspiel mit dem Künstlerfreund Speed Vogel, bei dem sich Heller kritisieren und auch charakterlich demontieren ließ.

Dabei stammt von ihm der kluge Hinweis, einen guten Roman unterscheide von einem schlechten nicht das Was, sondern das Wie. Joseph Heller war ein Großmaestro und Zampano des Wie.

Alexander Kluy ist Autor, Journalist und Kritiker. Zahlreiche Veröffentlichungen zu literatur-, kunst- und kulturhistorischen Themen.