Die Garnituren des Vindobona waren abwechselnd österreichisch, tschechisch und deutsch. Hier ein DDR-Zug des Typs VT 18.16 an der deutsch-tschechischen Grenze. - © Rolf-Dresden/Wikimedia
Die Garnituren des Vindobona waren abwechselnd österreichisch, tschechisch und deutsch. Hier ein DDR-Zug des Typs VT 18.16 an der deutsch-tschechischen Grenze. - © Rolf-Dresden/Wikimedia

Nein, ich war nicht in Vindobona, ich habe dort keinen Kaffee getrunken und habe dort auch nicht in der Nase gebohrt. Aber ich war im Vindobona, und ich habe dort freilicherweise einen - wenngleich schlechten - Kaffee getrunken, und höchstwahrscheinlicherweise habe ich dort in der Nase gebohrt!

Begründung: Der Vindobona - jawohl, in diesem Zusammenhang ist unser Vindobona stets maskulin, wie der J-Wagen, der früher brav um die vor dem Parlament stationierte Pallas Athene gebogen ist - also der Vindobona war einer der verwegensten und übermütigsten Züge im Eisenbahnsystem des verkehrsmäßig sonst sehr starren Nachkriegseuropa. Er verband nämlich drei europäische Hauptstädte - Wien, also lateinisch Vindobona, Prag, also tschechisch Praha, und Ostberlin, und er benötigte für diese systemübergreifende Verbindung unbegreifliche 11 Stunden und 30 Minuten, manchmal auch 12 Stunden, und das trotz der häufigen und dauernden und durchaus martialischen Grenzkontrollen! Diese 11 Stunden und 30 Minuten unterlagen dabei saisonal-politischen Schwankungen, die aber die angegebene Fahrtdauer nicht wesentlich veränderten.

Zwei Zeitzeugen

Testperson Nr. 1:

Der tschechische Architekturtheoretiker Jan Tabor wuchs auf in Hřensko, in der Nähe der vom Vindobona befahrenen Trasse. In dem von Christoph Ransmayr herausgegeben Buch "Im blinden Winkel - Nachrichten aus Mitteleuropa" berichtet er über seine adoleszenten Erfahrungen:

"Der Name stand an der Tafel: Schönau. Durch Schönau fuhren täglich mehrere Züge, auch einige internationale Personenzüge. Keiner blieb hier stehen. Der eindrucksvollste hieß geheimnisvoll wie er war: Vindobona. Ein elegantes, gelb angestrichenes und aerodynamisch geformtes Vehikel, das rasch und beinahe lautlos und stets pünktlich auftauchte und rasch wieder verschwand. Vindobona war eine Erscheinung auf der anderen Seite der Elbe, die weder mit Hřensko noch mit Schönau zu tun hatte. Der Vindobona war eine Dieselgarnitur mit großen Fenstern, hinter denen wir nur selten Menschen erblickten. Der Vindobona hob sich von allen anderen Zügen, die schmuddelig und veraltet waren, überdeutlich ab. Er war nicht von unserer Welt. . . ."

Testperson Nr. 2:

Als Zeitzeuge zwei darf ich selber fungieren. Doch die Erinnerungen sind blass und verwaschen, selbst mit anhaltender Konzentration werden die Bilder der Erinnerung immer wackeliger und purzeln durcheinander. Also. Ich renne zum Franz-Josefs-Bahnhof, der in einer hässlichen unterirdischen Halle versteckt war und in seiner Unattraktivität nicht einmal die Sandler und Trankler angezogen hatte. Ich weiß, es ist heute noch immer so.