Wir wissen über die Umstände von Popps Kindheit deshalb Bescheid, weil die Frauenrechtlerin bereits um 1909 eine Autobiographie unter dem Titel "Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin, von ihr selbst erzählt" verfasste und im Berliner Verlag Reinhardt veröffentlichte. Der prominente deutsche Sozialist August Bebel schrieb das Vorwort zu ihrem Buch, das später unter dem Titel "Kindheit einer Arbeiterin" beim Verlag Dietz erschien und bis 1991 zahlreiche Neuauflagen erreichte. Popps Buch erschien eineinhalb Jahrzehnte, bevor der 1882 im damaligen Fünfhaus in Wien geborene Schriftsteller Alfons Petzold mit seinem Roman "Das rauhe Leben" (Berlin 1920) Furore machte. Bücher von Ferdinand Hanusch, Peter Rosegger, Max Winter und Marie Koch komplettierten die vielgestaltige Arbeiter- und Bauernliteratur der Ersten Republik.
Auch Popps Mentor August Bebel, der 1840 unweit von Köln geboren wurde und in ihrem Geburtsjahr (mit Wilhelm Liebknecht) die Sozialdemokratische Arbeiterpartei SDAP gegründet hatte, trat als Autor in Erscheinung. Seine Studie über "Die Frau im Sozialismus" und seine Autobiographie erreichten Millionenauflagen. Der stets elegant auftretende Linke Bebel starb am 13. August 1913 im Schweizer Ort Passugg bei Chur.
Mit dem Einzug in die konstituierende Nationalversammlung, deren Mitglieder sich am 4. März 1919 zu einer feierlichen Eröffnungssitzung einfanden, bei der Karl Seitz zum Präsidenten gewählt wurde, erreichte Adelheid Popp einen vorläufigen Höhepunkt ihrer politischen Karriere. Zeitgenössische Fotos zeigen die fixen Bänke im alten Reichsratssitzungssaal, auf denen nun erstmals Frauen Platz nahmen, die - der Würde des Baus gerecht werdend - durchaus elegant in wallenden Kleidern und mit dezentem Schmuck auftraten. Auch die Herren Abgeordneten benahmen sich würdevoller als heute: Rote oder mittelblaue Strümpfe unter Anzugshosen waren ebenso verpönt wie Jeans, kurze Hosen oder Sportschuhe. Die Gründer der Ersten Republik verzichteten auch aufs Zeitungslesen. Technische Hilfsgegenstände wie die heute unentbehrlichen Smartphones, auf denen Mandatare ihre Tweets verfassen oder TV-Sendungen streamen, waren noch nicht erfunden.
Gedenkorte in Wien
Somit konnten sich die Mandatare in den Jahren 1919/20 besser auf die eigentlichen legislativen Aufgaben konzentrieren, darunter eine große Verfassungsreform im April 1919. In rascher Abfolge beschlossen die Abgeordneten zahlreiche Sozialgesetze, die Umwandlung der Exportakademie in eine Hochschule für Welthandel, sie stimmten über den Staatsvertrag von Saint-Germain ab und einigten sich 1920 auf die Einrichtung von Arbeiterkammern.
An all diesen Gesetzesbeschlüssen wirkte die emanzipierte und stets fröhlich-motivierte Adelheid Popp mit, die noch eineinhalb Jahrzehnte politisch tätig war, ehe sie am 7. März 1939 verstarb. Sie ist in einem Ehrengrab am Zentralfriedhof begraben und dank zweier Gedenkorte in Wien in Erinnerung. Der vor Kurzem neu gestaltete Adelheid-Popp-Park befindet sich in Wien-Hernals unweit der Geblergasse. Und in Wien-Donaustadt erinnert eine Gasse an sie, in der sich, als eine Art Treppenwitz der Geschichte, der Wohnpark "Oase 22" befindet, dessen Anliegen laut Homepage des Bauträgers die "Verminderung von Freizeitstress" ist, ein Gemütszustand, welcher Adelheid Popp vermutlich unbekannt war.