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Des Bären fette Keule

Von Rolf-Bernhard Essig und Gudrun Schury

Reflexionen

Friedrich Schiller und Karl May haben mehr gemeinsam, als üblicherweise angenommen wird. Ein essayistischer Vergleich.


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Zwei Abenteurer im Geiste.
© Wikimedia, Karl-May-Gesellschaft,WZ-Montage

Sagen Sie nicht: Das sei wie Äpfel mit Pferdeäpfeln vergleichen. Den großen Schwaben und den kleinen Sachsen in ein und denselben Korb legen - das gehe doch nicht. Oh doch, es geht!<p>So ganz absurd ist der Gedanke gar nicht. Schon Thomas Mann zog in seinem "Versuch über Schiller" von 1955 eine Linie von dem einen zum anderen: "Aber das Lächeln, das wir uns gelegentlich zu verbeißen haben vor Schiller’scher Grandiosität, gilt einem Ewig-Knabenhaften, das zu ihr gehört, dieser Lust am höheren Indianerspiel, am Abenteuerlichen und psychologisch Sensa-tionellen . . ." Ohne Einschränkung trifft diese Charakterisierung auch auf Karl May zu - und ebenso auf seine Leser.<p>Zu den großen May-Lesern und -Interpreten gehört Arno Schmidt. Nicht von ungefähr setzt er drei Kapiteln seiner Karl-May-Studie "Sitara und der Weg dorthin" Motti aus Schiller-Werken voran. Schmidts größter Schüler wiederum, Hans Wollschläger, gibt in einem Interview jedem Jugendlichen den Rat, "auf seinem Lese-Lern-Prozeß, wenn er mit May durch ist", Schiller unmittelbar anzuschließen.<p>

Mit so prominenter Rückendeckung kann man sich leichteren Herzens an den Vergleich wagen. Tatsächlich gibt es schon im schriftstellerischen Alltag auffällige Parallelen: Sowohl Schiller als auch May müssen zu den besessenen, den fiebrigen Literaten gerechnet werden. Sie schreiben bis zu 14 Stunden hintereinander, oft ganze Nächte hindurch. Um sich wach zu halten, sind beide exzessive Kaffee-Trinker und Tabak-Freunde. Karl May war Kettenraucher, Schiller Kettenschnupfer, stets stand die Schnupftabakdose in Reichweite.<p>

Zwei Schwerarbeiter

<p>Dabei sind beide im Wortsinn "unheimlich" produktiv. In 37 Arbeitsjahren schreibt May 100 dicke Bände (so viele soll jedenfalls die Historisch-kritische Ausgabe haben); allein von 1882 bis 1887 umfassten seine riesigen Kolportageromane rund 24.000 Seiten - oder für heutige Computerbenutzer: fast 42 Millionen Zeichen! Genauso erstaunlich ist, welch ein Mammutwerk Schiller seinen alles andere als angenehmen Lebensumständen abtrotzte. Stellt man das Verzeichnis seiner Werke dem seiner Krankheiten gegenüber, kann man kaum glauben, dass beide in ein und demselben Dasein Platz hatten.<p>Das protestantische Arbeitsethos reicht zur Erklärung für diese übermenschliche Disziplin- und Kreativleistung nicht aus, sie nötigt tiefes Staunen ab, besonders wenn man die Qualität des Schiller’schen Werks bedenkt. Doch auch May versuchte, sich und seinen Schreibstil am klassischen Ideal zu veredeln. Jedesmal, wenn Karl May zu schreiben begann, fiel sein Blick auf folgenden Zettel, den er über dem Schreibtisch angebracht hatte:<p>"Die Gestalten klar, hell, rein<p>und groß<p>Vermeide harte, grelle,<p>schmerzhafte Lichter<p>Klassische Formen, in erhabe-<p>ner, abgeklärter Ruhe<p>Flimmere nicht! Sei nicht<p>theatralisch!<p>Schlichte Wahrheit!<p>Hüte dich zu schulmeistern!"<p>Gerade das aber blieb May auf Lebenszeit: ein verhinderter Schulmeister! Durch jugendliche Vergehen scheiterte seine Katheder-Karriere, also setzte er sie in den Büchern fort, wo seine Ich-Helden selbst die größten internationalen Experten schlimmer Irrtümer überführen und Nachhilfe geben. Wahrscheinlich finden sich auch deshalb bei May so viele rhetorische und andere Fragen, so viele Lehrsätze und Sprichwörter. Da fehlen natürlich auch nicht die Schiller-Worte, denn des Klassikers Sentenzen-Seligkeit ist geradezu notorisch.<p>So reichlich fallen Wahrsprüche in Schillers Balladen und Dramen an, dass man schon im frühen 19. Jahrhundert für alle Lebenslagen thematische Sammlungen seiner geflügelten Worte anlegte.<p>

Mays Merksprüche

<p>Die bekanntesten sprichwörtlich gewordenen Wendungen Mays stehen - teils wörtlich, teils variiert - Tag für Tag in den Zeitungen. Es sind die Titel seiner Werke: "Durch die Wüste, Durchs wilde Kurdistan, In den Schluchten des Balkan".<p>Doch auch andere May-Merksprüche nehmen es in puncto Anschaulichkeit mit den Schiller-Zitaten auf. So heißt es im Wilden Westen: "Seit wann wagen es die Prairiehasen, zum Grizzlibären zu gehen, um ihm Befehle zu erteilen?" Oder in leichter Variation: "der gewaltige Bär ist stolz; er verschmäht es, die kleine, feige Ratte zu zermalmen." Dieser letzte Indianer-Spruch hätte auch von Friedrich Schiller stammen können, denn der beschäftigte sich mit Tieren und Indianern, als er 1797 unter dem Titel "Nadowessische Totenklage" ein Sioux-Begräbnis in Verse fasste. In diesem längeren Gedicht heißt es unter anderem:<p>Bringet her die letzten Gaben,<p>Stimmt die Todtenklag‘!<p>Alles sey mit ihm begraben,<p>Was ihn freuen mag.<p>Legt ihm unters Haupt die<p>Beile<p>Die er tapfer schwang,<p>Auch des Bären fette Keule,<p>Denn der Weg ist lang.<p>Auch das Messer scharf<p>geschliffen,<p>Das vom Feindeskopf<p>Rasch mit drey geschickten<p>Griffen<p>Schälte Haupt und Schopf.<p>Farben auch, den Leib zu<p>mahlen<p>Steckt ihm in die Hand,<p>Daß er röthlich möge strahlen<p>In der Seelen Land.<p>Dieses Indianergedicht zählte Goethe zu Schillers "allerbesten Gedichten, und ich wollte nur, dass er ein Dutzend dieser Art gemacht hätte". Leider rieten ihm Körner und Humboldt ab, so dass es sein einziges blieb.<p>War Schillers inidianische Totenklage vielleicht deshalb so gut, weil er von den Rothäuten keinen blassen Schimmer hatte? Wie Karl May stützte er sich fast ausschließlich auf Bücher, so gut wie nie auf Augenschein. Nichts wusste Schiller über die Schweiz, über Spanien, Russland, Italien, England, Frankreich, das nicht aus seiner Lektüre stammte. Und auch May reiste bis 1899 nur mit dem Finger auf der Landkarte durchs wilde Kurdistan, die Kordilleren oder den Llano Estacado.<p>Schiller und May mischten Motive, Gestalten und Themen, zitierten hemmungslos und schöpften ohne Bedenken aus ihren Quellen. Kurz, sie pflegten, mit Bertolt Brecht zu sprechen, einen überaus "laxen Umgang mit geistigem Eigentum" und schufen doch aus fremden Werken eigene Welten.<p>

Interesse am Bösen

<p>Es sind Welten, in denen das Gute zwar - so will es beider Idealismus - letztlich triumphiert, doch ohne Zweifel begeistern sie sich besonders für Verbrechen und ihre Täter, für, wie Schiller sagt, "außerordentliche Menschen", "Geister, die das abscheuliche Laster reizet, um der Größe willen, die ihm anhänget". Vielleicht auch, weil sie selbst Ex-Verbrecher waren - Schiller als Deserteur, May als Kleindieb und Trickbetrüger mit über sieben Jahre Haft.<p>Der wichtigere Grund war aber wohl, dass ihnen an der Wirkung ihrer Werke alles gelegen war. Also griffen sie tief hinein in die Trickkiste, um die Zuschauer- und Leserherzen im Sturm zu nehmen. Schon die frühe Prosa Schillers im "Geisterseher" kennt grelle Effekte, genauso seine Dramen "Die Räuber", "Fiesco" und "Die Jungfrau von Orleans", wo große Grausamkeit, rührselige Szenen, pompöser Opernzauber, Donnerschlag und Geistererscheinung vorkommen. Das provozierte häufig genug den Vorwurf, der Klassiker bemühe allzu unbeschwert Kitsch und Kolportage.<p>Herbert Cysarz, Literaturhistoriker mit nationalsozialistischen Tendenzen, meinte über den
"Fiesco": ". . . es ist im puritanischen Bereich des Dramas die gewaltigste Vorwegnahme des Films. [. . .] Klopstock und Shakespeare, Lessing und gleichsam Karl May." Ernst Bloch bewertet die Vorliebe des Klassikers für die Kolportage und den "Sensationsstil" allerdings positiv und prägt den schönen Satz: "Schiller hatte Interesse für alles, was an einem Galgen hart vorbeistreifte oder dort hängen blieb."<p>Ganz ohne klassische Bändigung bricht Kolportage bei Karl May hervor, eruptiv und scheinbar endlos. Nicht weniger als fünf fünfbändige Romane, die tatsächlich von Kolporteuren vertrieben wurden, füllte May in fünf Jahren. Leichenreicher als bei Shakespeare und Schiller zusammen geht es in diesen Werken zu. Allein in "Das Waldröschen", dem blutigsten Kolportageroman, bleiben 2293 Tote auf der Strecke.<p>Ein eigenes Kapitel ist natürlich Schiller im Werk Karl Mays. Mit offenen Augen lesend, stößt man allerorten, besonders in den für die gymnasiale Jugend bestimmten Bänden auf ihn. Indem May den Klassiker hier in veralberter Form variiert, macht er den Schülern die Freude des Erkennens und des Besserwissens.<p>Beliebtetestes Material sind natürlich die Balladen, allen voran "Der Taucher" und "Die Glocke". May wird nicht müde, dem Hobble-Frank teils recht bemühte Verdrehungen des Gedichts in den Mund zu legen. Aber auch über die Ode "An die Freude" wagt May platte Pointen, die den Pennälerulk kaum übertreffen: "Seid verschlungen, Millionen! Et in terra Knax!" Mit so simplem Witz konnte May aus dem Klassiker Gewinn schlagen, weil der damals schon in den alltäglichen Zitatenschatz abgesunken war.<p>Inhaltlich bedeutender wird Schillers Rolle in "Winnetou II". Hier verfällt der junge William Ohlert langsam dem Wahnsinn. Er meint, ein Dichter zu sein, der ein Trauerspiel über einen wahnsinnigen Dichter zu schreiben habe. Und wessen Dramenwelt wird zu seiner bevorzugten Wahnwelt? Die von Friedrich Schiller! Das Gedicht von der Glocke, das im Spätwerk sogar noch als Einschlafmittel missbraucht wird, dient im dritten Band der Trilogie "Im Lande des Mahdi" dem genau entgegen gesetzten Ziel: als aufrüttelnde und begeisternde Rede. Hier verknüpfen sich May und Schiller, Pathos und Rhetorik in einmaliger Weise.<p>Schiller und May lassen keinen Zuschauer oder Leser in distanzierter Haltung zurück. Entweder liebt man sie oder man verachtet sie. Auf dem platten Land hielt sich säkularisierte Schiller-Andacht sogar bis weit ins 20. Jahrhundert, wie der Roman Ulla Hahns, "Das verborgene Wort", verrät. Das Mädchen Hildegard ist sich sicher: "Schiller ist ein Heiliger". Deshalb bekommt er auf ihrem Nachtkästchen einen Altar aus Pappe, Silberpapier und blauer Kunstseide. Als alles fertig ist, gesteht sich Hildegard: ". . . mein Schiller auf schimmerndem Silber. Ein Gott."<p>Auch Karl May wurde von seinen Lesern außerordentlich umschwärmt, doch suchte sich der Dichterkult Formen, die schon auf das Zeitalter des Pop vorausweisen. Wurde Schiller noch bekränzt und beschenkt, sollte May selbst schenken. Wie der Weihnachtsmann wurde er um nahezu alles Denkbare gebeten, und im Rahmen seiner Finanzen und seines Einflusses reagierte er sehr großzügig, schickte immer wieder Geld, nahm Patenschaften an, schrieb auf die Bitte besorgter Mütter ausführliche Ermahnungsbriefe an hoffnungsvolle Knaben.<p>So wuchs sehr schnell eine Gemeinde der May-Leser, eine eingeschworene Gruppe derer, die in diesem Mann und seinen Reiseerlebnissen ihr Ideal fanden. Dass viele von ihnen Bilder und Autogramme des angeblich Weitgereisten und Vielverwundeten sammelten, verwundert nicht. Sie wollten ihrem Idol aber auch persönlich nahe sein, irgendeinen Zipfel des Verehrten erwischen. Als Karl May 1897 in München Quartier machte, musste die Feuerwehr die Menschenmasse vor seinem Hotel mit der Wasserspritze auseinandertreiben, damit die Straßenbahn wieder fahren konnte - eine Szene, die man eher Michael Jackson zugetraut hätte.<p>

Trivialisierungen

<p>Die ungeheure Volkstümlichkeit, welche Schiller und May schon zu Lebzeiten erfuhren, blieb nicht ohne Einfluss auf ihr Werk. Denn es fiel Leuten in die Hände, die es jeweils noch volkstümlicher machen wollten. Schiller musste miterleben, wie sein Werk dem Berliner Dramaturgen Karl Martin Plümicke in die Hände fiel, der etwa "Die Räuber" dahingehend umarbeitete, dass Karl Moor am Ende des Stücks von den empörten Räubern erstochen wird, eine Fassung des Stücks, die überall in Deutschland gespielt wurde.<p>Karl May ging es noch schlechter: Die heute meistverbreitete Ausgabe - die grünen Bände aus dem Bamberger Karl-May-Verlag - enthalten nämlich May bloß in unterschiedlichen Gewichtsanteilen, ja der Band 50 der Bamberger Gesammelten Werke stammt nicht einmal von ihm selbst. Die Liste der Eingriffe und Überarbeitungen, die der Verlag seinem Exklusivautor angedeihen ließ, ist lang: vielfach wurde der Originaltext Mays umgestellt, er wurde geändert, ergänzt, verkürzt, seine Fremdwörter eingedeutscht.<p>In der Version der Bamberger "Diamantschleifer", wie sich die Bearbeiter aus dem Karl-May-Verlag selbst nannten, weil sie "durch bewusstes Verändern eines Steines dessen Schönheit erhöhen", lasen Millionen von Lesern über Jahrzehnte ihren "Winnetou I" mit vielen Tausend Varianten gegenüber der Erstausgabe.<p>Schlimmer sind freilich politische Manipulation und Indienstnahme, zwei Methoden, auf die sich die Nazis besonders gut verstanden. Im "Wilhelm Tell" sah man die Idee von Blut und Boden verkörpert, der Rütli-Schwur sei ein Vorbild für die Maifeier des Dritten Reiches, in "Kabale und Liebe" sowie "Wallenstein" sei die von der NS-Partei geforderte Volksgemeinschaft vorhergesehen, "die Jungfrau von Orleans" belege Schillers Nationalismus.<p>Ihn selbst machte man zum nordischen Helden, der die Deutschen aufgerufen habe, für ihre Freiheit zu sterben. "In Schillers soldatischer Natur lebt jener echte Ordensgeist, der auf Unterwerfung und Gehorsam heldischer Kriegernaturen gerichtet ist." So formulierte es die "Zeitschrift für Deutschkunde" 1934, und Hitler verkündete im "Völkischen Beobachter": "Erst dem Nationalsozialismus blieb es vorbehalten, den wahren Friedrich von Schiller dem deutschen Volk wiederzugeben und ihn als das zu zeigen, was er wirklich ist: der Vorläufer des Nationalsozialismus, ein deutscher Dichter und Idealist . . ."<p>Die gleiche Inanspruchnahme seines Werkes durch die NS- Ideologie widerfuhr dann Karl May, eine Vergewaltigung, die schon bei Schiller nur durch völlige Ignoranz, kognitive Dissonanz und Falschinterpretation hatte stattfinden können. Eigentlich hätten sich die Nazis mit dem Sachsen recht schwer tun müssen, vor allem was sein pazifistisches Alterswerk betrifft. Doch es kursierte hartnäckig das Gerücht, er sei der Lieblingsschriftsteller des "Führers". Offiziell erfuhr man von Hitlers Vorliebe, als im April 1933 eine Münchner Zeitung vom Obersalzberg berichtete: "Auf einem Bücherbord stehen politische oder staatswissenschaftliche Werke, einige Broschüren und Bücher über die Pflege und Zucht des Schäferhundes, und dann, - deutsche Jungens, hört her! dann kommt eine ganze Reihe Bände von - Karl May!"<p>Viele kennen den auf Schiller gemünzten Spruch aus Goethes "Epilog zu Schillers Glocke" von 1815: "Nun weint die Welt, und sollten wir nicht weinen? / Denn er war unser!" Es blieb Karl Kraus vorbehalten, diesen Spruch auf Vereinnahmungstendenzen zu beziehen, wie sie der Nationalsozialismus dann aufs zugleich Ekelhafteste und Lächerlichste vorführen sollte: "Wenn ein Denkmal renoviert wird, kommen unfehlbar die Mauerasseln und Tausendfüßler ans Licht und sagen: Denn er war unser!"<p>

Dichterfeste

<p>Ist Schiller denn noch immer unser? Wie lebt er unter uns? Nun, der Rummel in den letzten Schillerjahren (2005, 2009) ist der beste Beweis, wie Schiller noch heute gegenwärtig ist: Schillerfeiern, Schillerglocken, Schillerpreise, Schillerbiografien, Schillersalzstreuer. . . Das alles ist nur denkbar für einen Dichter, der es zu wahrer Popularität gebracht hat. Freilich muss man zugeben, dass die Blütezeit bürgerlicher Schiller-Verehrung vorbei ist, Schillerjahre hin oder her. Immerhin hält er sich unter den meist gespielten Theaterdichtern und den meist gehassten Schulautoren.<p>Bei der Karl-May-Konjunktur dagegen gibt es eine gewisse Diskrepanz zwischen der Zahl seiner Leser und der Zahl derer, die ihn in einer verballhornten Form in Bad Segeberg, Elspe oder einem der anderen etwa zwölf Karl-May-Festspiel als Spektakel sehen. In Radebeul, der Stadt des Karl-May-Museums, feiert man den berühmten Sachsen zu den May-Festwochen mit Frühschoppen, Country-Music, einem Indianer-Pow-Wow und Lassowerfen. Die Wild-West-Atmosphäre im Park der "Villa Shatterhand" animiert die Teilnehmer zum Konsum unzähliger Bratwürste, begleitet von etlichen Litern "Karl-May-Bier".<p>Diese Art der Verehrung ist allerdings typisch. Das Beiwort "unsterblich" erhielten nämlich nicht er und seine Bücher, sondern seine Gestalten, die ja tatsächlich in noch der seltsamsten Maskerade bis heute wiederauferstehen.<p>Wollte man eine Einheit für Parodierfähigkeit erfinden und nacheinander Schiller und May einem entsprechenden Test unterziehen, man hätte die beiden unterschiedlichen Größen endgültig auf einer Höhe. Zusammenfassen lässt sich dieses Phänomen vielleicht mit dem Motto: Wo viel Inbrunst, da viel Spott. Auch in diesem Punkt also kann man von einer nicht geringen Verwandtschaft sprechen, ohne gleich von Blutsbrüdern reden zu müssen.<p>Obwohl: Schreibt nicht Jens Sparschuh in seinem Buch "Ich dachte, sie finden uns nicht" vom "Winnetou der deutschen Klassik, Friedrich Schiller"?

Rolf-Bernhard Essig und Gudrun Schury leben in Bamberg: er ist Autor, Literaturkritiker und Universitätsdozent, sie Autorin, Literaturwissenschafterin und Dozentin.