Zum Hauptinhalt springen

In memoriam Franz M. Wuketits

Von Hermann Schlösser

Reflexionen
Der österreichische Biologe, Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Franz M. Wuketits (1955–2018).

Ein guter Redner weiß, dass er um seine Zuhörer werben muss. "Es ist Sonntagnachmittag", sagt er, "da hätten Sie vielleicht auch Besseres zu tun als mir zuzuhören, ich werde mir also Mühe geben, Sie nicht zu langweilen." Allerdings muss dieses Versprechen auch eingehalten werden. Deshalb spricht der gute Redner frei, temperamentvoll und gestenreich, verliert aber niemals den Faden, weil er eine klare Gliederung im Kopf hat.

Dieser elegante rhetorische Auftritt, der 2009 in Köln stattfand und die Darwinsche Evolutionstheorie zum Thema hatte, ist auf YouTube zu bewundern. Das ist erfreulich, tröstet aber nicht darüber hinweg, dass der gute Redner selbst nun für immer verstummt ist - Franz M. Wuketits, gestorben im Alter von 63 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung.

Der Philosoph und Biologe Wuketits lehrte am philosophischen Institut der Universität Wien Wissenschaftstheorie. 41 Bücher und mehr als 500 Aufsätze hat er veröffentlicht, und darin unterschiedlichste Fragestellungen behandelt, die Beziehung des Menschen zum Schwein ebenso wie die grassierende Lust an apokalyptischen Theorien.

Auch einen Roman hat er geschrieben, "Mit Pessoa in den Baumarkt", dessen Inhalt er selbst in der Schlagzeile zusammenfasste: "bisher unauffälliger Kulturmensch prügelt unschuldige Passanten!" Aber ob seriös oder schrullig - aus all seinen Reden und Schriften spricht die Einsicht, dass der Mensch nicht nur ein Kultur-, sondern auch ein Naturwesen mit Trieben, Lüsten und Ängsten ist, das Anspruch auf "artgerechte Menschenhaltung" hat, wie es in einem seiner Buchtitel heißt.

Wuketits war auch ein geschätzter Mitarbeiter des "extra" der "Wiener Zeitung". Er schrieb bei uns meistens über wissenschaftsgeschichtliche Themen; sein letzter Beitrag vom 24. März 2018 behandelte die Arbeit der "Kryptozoologen", die nach unbekannten Tierarten suchen. Als Redakteur des "extra" lernte ich Wuketits auch persönlich kennen. Wir saßen nach der Arbeit gelegentlich zusammen in einem Lokal in Universitätsnähe und unterhielten uns, wie er selbst meinte, "über Gott und die Welt (mehr über die Welt)". Er rauchte viel, trank nicht wenig und je länger der Abend dauerte, desto lockerer wurden seine Gedanken. Was wäre gewesen, wenn alle oder doch viele Menschen zu Hitler gesagt hätten: Wir haben keine Lust, für deine Visionen unser Leben zu riskieren! Was wäre da gewesen? Solche blitzartigen Einfälle präsentierte er mit großem Vergnügen.

Der Privatmann Wuketits unterschied sich also merklich vom öffentlichen Intellektuellen gleichen Namens. Auch dieses Doppelleben entsprach wohl seiner Vorstellung von "artgerechter Menschenhaltung", denn ihm graute vor dem restlos öffentlichen, "gläsernen" Menschen.

Um seine Privatsphäre zu markieren, nannte er sich als Wissenschafter "Franz M.", während er seinen Freunden nicht nur das "Du", sondern auch den "Manfred" anbot. Ich kannte den Wissenschaftstheoretiker Franz und den privaten Fabulierer Manfred, und ich werde sie beide sehr vermissen.