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"Mit Texten wird viel Unfug getrieben"

Von Christine Dobretsberger

Reflexionen

Wiener Zeitung: Herr Matić, in der deutschen Tageszeitung "Die Welt" fand ich über Sie folgendes Zitat: "Peter Matić ist auf französische Weise melancholisch und so freundlich preußisch, wie es nur ein Wiener sein kann". Wie gefällt Ihnen diese Beschreibung?

"Ich finde, man kann auch jemanden etwas Negatives in einer einigermaßen verbindlichen Form mitteilen." (Peter Matić)
© Foto: Robert Wimmer

Peter Matić: Das ist sehr schmeichelhaft.

Wie interpretieren Sie die Wendung "freundlich preußisch"?

Ich versuche, es mir so zu erklären: Der Deutsche, speziell der Norddeutsche, also der Preuße, ist eher geneigt, sehr direkt und ehrlich zu sein. Demzufolge wird mitunter auch etwas Unfreundliches direkt ins Gesicht gesagt. Der Österreicher, ganz besonders natürlich der Wiener, ist eher bemüht, gute Stimmung zu machen. Ernst Haeussermann, der ja ein typischer Wiener war, hat immer gesagt: Jede Unfreundlichkeit hinter meinem Rücken stört mich nicht, aber bitte nicht ins Gesicht!"

Heißt das, Sie sind auch eher ein direkter Mensch?

Ich will mir nicht anmaßen der Ehrlichste der Ehrlichen zu sein. Ich finde, man kann auch jemandem etwas Negatives in einer einigermaßen verbindlichen Form mitteilen. Es wird dann auch besser aufgenommen, wenn es ein bisschen freundlicher serviert wird. Aber prinzipiell haben die Deutschen für mich sehr viele positive Eigenschaften. Diese Direktheit, aber auch die Verlässlichkeit hat für mich einen großen Wert und Reiz.

Sie sind in Wien geboren, in Salzburg, Deutschland sowie im Elsass aufgewachsen. Wie kam es zu diesen vielen Stationen Ihrer Kindheit?Mein Vater war Offizier, ursprünglich in der k. u. k. Armee; als ich im Jahr 1937 geboren wurde, war er natürlich längst im österreichischen Bundesheer. Er war Kavallerist und hat das Reitlehrinstitut in Schlosshof geleitet. In bin in Wien geboren, weil es in Schlosshof keine Gebärklinik gab. 1938 kam mein Vater dann in die deutsche Wehrmacht und wurde nach Pommern versetzt, später ins Elsass nach Mühlhausen. Als er dann in weiterer Folge nach Schlesien verlegt wurde, sind meine Mutter und ich allerdings aus Sicherheitsgründen zum Bruder meiner Mutter ins Neckartal aufs Land gezogen. Dort haben wir zwar einiges vom Bombardement mitbekommen, weil das nahegelegene Mannheim schwer bombardiert wurde, wir selbst sind jedoch vom Krieg unbelastet geblieben.

Wann sind Sie dann wieder nach Österreich gekommen?

Im Alter von 12 Jahren. Ich habe also die ganze Volksschule in Deutschland absolviert. Deswegen bin ich auch dialektmäßig eher auf Hessisch eingestellt als auf Wienerisch. Das Gymnasium habe ich dann in Salzburg besucht. Nach der Matura bin ich nach Wien gezogen, um meinen Beruf zu erlernen. Das war dann auch gleich die erste Pleite.

Was lief nicht nach Plan?

Ich habe gedacht, selbstverständlich werden die Pforten des Reinhardt Seminars auffliegen und sie werden diesen hochbegabten jungen Mann aufnehmen. Das war aber keineswegs so, ich wurde nicht aufgenommen, habe aber nicht aufgegeben und dann eben andere Wege gewählt.

Ihre erste Theaterheimat war dann von 1960 bis 1968 das Theater in der Josefstadt.

Das war auch eine wunderbare Zeit, weil in diesem Haus eine ausgesprochen sympathische Atmosphäre herrschte. Es hatte etwas im guten Sinne Familiäres.

Was veranlasste Sie dann dazu, nach Berlin zu wechseln?

Die Einladung der Staatlichen Schauspielbühnen Berlin. Hans Lietzau war dort neuer Intendant und hatte mich in verschiedenen Rollen gesehen. Zu dieser Zeit hatte ich auch ein Engagement in Basel, damals leiteten Werner Düggelin und Friedrich Dürrenmatt dieses wirklich hochinteressante Theater. Als ich mich entschloss, mit meiner Familie nach Berlin zu ziehen, habe ich vorsichtshalber zunächst Halbjahresverträge abgeschlossen. Aber es hat sich sehr bald herausgestellt, dass dieses Theater sehr gut für mich war.

Letztlich waren es 22 Jahre, die Sie, bis zur Schließung des Theaters, in Berlin verbracht haben. Umso erstaunlicher ist es, dass Ihr Name stets ins Spiel gebracht wird, wenn vom "klassischen Burgtheaterdeutsch" die Rede ist.

Wobei in Wahrheit kein Mensch wirklich erklären kann, was das Burgtheaterdeutsch sein soll. In jedem Fall ist es eine Mischung. Denn wenn man die Geschichte des Burgtheaters betrachtet, fällt auf, dass sehr viele deutsche Schauspieler hier gespielt haben. Ich spreche jetzt nicht von der Ära Peymann, sondern von der Zeit davor. Die männlichen Protagonisten sind meistens aus Deutschland gekommen. Werner Krauss, Ewald Balser oder wenn man noch weiter zurückgeht: Raoul Aslan, der auch nicht mit der österreichischen Mundart aufgewachsen ist, sondern griechische und armenische Wurzeln hatte. Es ist interessant, dass im Gegensatz zu den männlichen Protagonisten die weiblichen Schauspielergrößen zumeist Österreicherinnen waren. Man denke an Käthe Gold, Alma Seidler oder Paula Wessely.

Ihrer Ansicht nach ist es dem Burgtheaterdeutsch also zuträglich, wenn man ohne österreichischen Akzent spricht?

Ja, das ist es, glaube ich, was es ausmacht. Im Gegensatz zu vielen anderen österreichischen Kollegen habe ich nie das Problem gehabt, erst einmal den österreichischen Akzent wegzukriegen. Meine Eltern haben beide vollkommen dialektfrei gesprochen, was auch damit zusammenhängt, dass meine Mutter eine griechische Mutter hatte und einen österreichischen Vater. Sie konnte sehr gut Deutsch, aber es war ein erlerntes Deutsch. Ich beobachte immer wieder bei Leuten, die eine Sprache sprechen, die nicht ihre Muttersprache ist, dass diese, wenn sie sehr gut erlernt ist, enorm präzise gesprochen wird. Man erlaubt sich keine Schlampereien, weil man ja zeigen möchte, dass man die Sprache beherrscht. Mein Vater wiederum hatte eine deutsche Mutter, was sich doch auch im Tonfall bemerkbar machte. Es ist eine Mischkulanz gewesen, aus der meine Sprache entstanden ist.

Seit 1994 sind Sie nun Ensemblemitglied des Burgtheaters. Gibt es nach all den vielen Jahren am Theater noch einen offenen Rollenwunsch?

"Mit zunehmendem Alter werden die Rollen weniger. Frauen bekommen das noch mehr zu spüren." Peter Matić im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiterin Christine Dobretsberger.
© Foto: Robert Wimmer

Nein, den gibt es nicht. Ich habe schon vor vielen Jahren erkannt, dass ich besser beraten bin, mir keine Traumrollen in den Kopf zu setzen, sondern die Dinge auf mich zukommen zu lassen. Viele Rollen, an die ich gar nicht gedacht hätte, dass sie Wunschrollen von mir sein könnten, sind so zu Lieblingsrollen geworden. Oft wissen die anderen besser, welche Rolle zu einem passt. Außerdem kann es bei sogenannten Traumrollen passieren, dass sich diese entgegen der eigenen Vorstellung entwickeln. Beispielsweise wenn der Regisseur völlig andere Bilder mit dieser Figur verknüpft als man selbst. Um ein Beispiel zu nennen: Hamlet gilt als Traumrolle, aber wenn Hamlet unter Umständen auf dem Motorrad erscheinen muss, ist das auch nicht das, was man sich als Schauspieler von dieser Rolle erträumt.

Abgesehen von den großen Rollen, die Sie nicht zuletzt auch seit 17 Jahren in Reichenau verkörpern, gelten Sie als ein Meister der prägnanten Nebenrollen. Kann es sein, dass Sie diesbezüglich eine Ausnahme darstellen, zumal man Schauspieler Ihres Formats immer seltener auch in kleineren Rollen sieht?

Es stimmt, heute kommt das doch viel seltener vor als früher. Ein Grund dafür könnte sein, dass diese prägnanten Klein- und Mitteldarsteller in der Vergangenheit oft vom Fernsehen engagiert wurden. Ich denke da beispielsweise in München an Charles Regnier, aber auch hier unter anderen an Johannes Schauer oder Rudolf Carl, da hat das Fernsehen früh zugegriffen und diese Schauspieler engagiert. Heute ist es eher so, dass viele Kollegen glauben, es schade ihrer Reputation, wenn sie auch kleinere Rollen annehmen. Aber es ist natürlich auch eine Frage des Älterwerdens. Mit zunehmendem Alter werden die Rollen weniger, Frauen bekommen das noch mehr zu spüren.

Sie zählen zu den besten Sprechern des deutschen Sprachraums. Was ist konkret der Unterschied zwischen der Interpretation von Texten für Hörbuch oder Hörspiel und der Textvorbereitung für szenische Arbeit?

Ein großer Vorteil in der Vorbereitung ist, dass man sie alleine macht, also unabhängig von bestimmten Probenzeiten. Das ist mir ein großes Vergnügen, weil ich abseits der Bühne sehr gerne mit Mikrofon arbeite. Man hat mich auch schon sehr früh für Lesungen herangezogen. Das habe ich immer schon gerne gemacht und arbeite auch seit Jahren sehr viel mit Musikern zusammen.

Sie selbst haben ja auch eine Gesangsausbildung.

Ja, diese war allerdings nie in Hinblick auf einen Sängerberuf gedacht, sondern mir war klar, dass man mehr können sollte als nur sprechen, wenn man mit und von der Stimme lebt. Ich rate auch jungen Schauspielern oder Aspiranten: Lernt singen, weil es die Stimme erweitert.

Von Ihnen stammt das Zitat: "In der Musik gibt es ein Richtig und ein Falsch". Was genau darf man sich darunter vorstellen?

Mit einem literarischen Text kann man im Grunde umgehen wie man will. Man kann einen Hamletmonolog auf unzählige Arten sprechen. Mit einer Mozartarie kann man das nicht tun. Es macht zwar einen Unterschied, wer singt, welches Orchester begleitet und wer dirigiert, aber die Arie selbst basiert auf festgesetzten Takten und einer festgesetzten Tonhöhe. Und ich neige immer mehr dazu zu behaupten, dass das ein Segen ist. Mit Texten wird so viel Unfug getrieben durch Zerstückelung, Umstellungen oder durch Einkürzungen und rhythmische Verschiebungen. Bei einem Kunstwerk habe ich es gern, wenn eine klare Vorgabe besteht. Und das ist bei der Musik der Fall.

Demzufolge ist anzunehmen, dass Sie Ihre Sprechrolle als Haushofmeister in der Richard Strauss-Oper "Ariadne auf Naxos" an der Wiener Staatsoper genießen?

Sehr sogar! Hinzu kommt, dass ich immer schon ein Opern-Narr war. Als ich 1956 nach Wien kam, war gerade die Karajan-Ära mit allen großen Sängern, die damals am Markt waren. Ich bin eigentlich immer viel mehr in die Oper gegangen als ins Schauspiel.

2011 erhielten Sie den Preis der deutschen Schallplattenkritik für Ihre Hörbuch-Produktion der Gesamtausgabe von Marcel Prousts siebenbändigem Werk "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Wie haben Sie diese rund 4000 Seiten in den Griff bekommen?

Mit viel Geduld! Natürlich ist nicht jedes Kapitel rasend spannend, aber wenn man sich darauf einlässt und wirklich sehr genau liest, wird einem überhaupt erst bewusst, was das für ein tolles Werk ist.

Es gibt wahrscheinlich nicht viele Menschen, die dieses Werk komplett gelesen haben.

Ich habe auch drei Anläufe dafür benötigt. Als ich 18 Jahre alt war, habe ich mitten im ersten Band aufgehört zu lesen. Einige Jahre später schaffte ich es dann bis zum zweiten Band. Als man mich dann in Berlin fragte, ob ich Proust für das Radio und in weiterer Folge für eine Hörbuch-Einspielung lesen möchte, habe ich mir gedacht: Das ist eine Aufgabe, das machst du jetzt!

Wie lange hat die Arbeit an diesem Hörbuch, das 2010 auch als "Hörspiel des Jahres" ausgezeichnet wurde, letztlich gedauert?

Insgesamt acht Jahre.
Sehr zum Bekanntheitsgrad Ihrer Stimme hat auch die Tatsache beigetragen, dass Sie seit 1982 als deutscher Synchronsprecher des britischen Filmschauspielers Ben Kingsley fungieren. Wie kam es zu diesem Projekt?

"Ich habe schon vor vielen Jahren erkannt, dass ich besser beraten bin, mir keine Traumrollen in den Kopf zu setzen, sondern die Dinge auf mich zukommen zu lassen." (Peter Matić)
© Foto: Robert Wimmer

1982 lief gerade der Gandhi-Film mit Ben Kingsley in der Hauptrolle und man wollte für die deutsche Synchronisation eine Sprache, die nicht norddeutsch und zudem auch nicht eindeutig zuordenbar ist. Ben Kingsley hat selbst ja auch verschiedene Wurzeln, indische, englische, russische, jüdische und er kann auch sehr viele Sprachen. Außerdem sollte es eine Stimme sein, die noch nicht von anderen Synchronsprechern belegt ist.

Klingen Ihre Stimmen ähnlich?

Ja, das hat man vor allem beim Film "Pascali’s Island" gemerkt. Ben Kingsley spielt einen Türken, der in Griechenland spioniert. Im Original wird Englisch gesprochen, aber es gibt auch einige türkische Passagen, die Ben Kingsley selbst spricht. In der deutschen Fassung werden die englischen Passagen von mir synchronisiert und die türkischen Passagen mit Kingsleys Stimme belassen. Und im direkten Vergleich merkt man tatsächlich eine große Ähnlichkeit der Stimmen.

Kam es schon einmal zu einem persönlichen Treffen mit Ben Kingsley?

Im Rahmen der Feierlichkeiten zur Verleihung der "Goldenen Kamera" für einen Zweiteiler über Simon Wiesenthal haben wir einander in Berlin getroffen. Ein sehr vergnüglicher Abend!

Auf die Frage, ob er bisweilen ans Aufhören denke, antwortete Ben Kingsley in einem Interview: "Da müsste man mich schon erschießen!" Wie ergeht es Ihnen mit diesem Thema?

Ich mache mir selbstverständlich immer wieder Gedanken. Und man wird auch öfters darauf angesprochen. In meinem Alter ist das manchmal auch wahnsinnig komisch, weil die Menschen, die mich von der Bühne kennen, oft so liebenswürdig besorgt sind und beinahe versucht sind, mir beim Niedersetzen zu helfen. Aber natürlich denkt man darüber nach und kontrolliert sich sehr genau, ob das Gedächtnis wunschgemäß funktioniert. Aber solange der Kopf und die Beine mitmachen, gibt es immer noch sehr reizvolle Pläne.

Zum Beispiel?

Am 10. Jänner 2014 werde ich im Kasino am Schwarzenbergplatz in der Reihe "Kakanien - Neue Heimaten" einen Abend über "Sprachkrisen und andere Katastrophen" gestalten. Dann freue ich mich auf "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus. Premiere wird bei den Salzburger Festspielen 2014 sein, danach wird die Produktion ins Burgtheater übernommen.

Aber nochmals zur Frage des richtigen Zeitpunktes, um aufzuhören: Ich würde es wirklich sehr ungern so lange treiben, wie es irgendwie geht. Ich würde viel eher versuchen, mit einiger Würde die berufliche Sache irgendwann zu beenden.

Christine Dobretsberger, 1968 in Wien geboren, ist freie Journalistin und Autorin, Geschäftsführerin der Text- und Grafikagentur Lineaart.

Zur Person
Peter Matić wurde 1937 in Wien geboren. Im Anschluss an seine Ausbildung an der Schauspielschule Krauss und bei Dorothea Neff debütierte er 1960 am Theater in der Josefstadt, wo er bis 1968 in einem Festengagement tätig war. Nach Gastauftritten am Theater Basel und den Münchner Kammerspielen agierte Matić von 1972 bis zur Schließung des Schillertheaters im Jahr 1994 an den Staatlichen Schauspielbühnen in Berlin. Seit 1994 ist er Ensemblemitglied des Burgtheaters. Darüber hinaus wirkt er alljährlich bei den Festspielen in Reichenau mit.
Vor der Kamera übernahm Matić mit Beginn der 1960er Jahre Rollen in diversen Fernsehfilmen, Serien und Kinoproduktionen. In der ORF-Sendung "Feierabend" sowie in zahlreichen Dokumentarfilmen fungierte er zudem als Off-Sprecher. Ebenfalls beteiligt war Peter Matić an über 50 Hörspiel-Produktionen des ORF.
Als Hörbuchinterpret sprach Peter Matić Romane bedeutender Schriftsteller, u.a. von Thomas Mann, Franz Kafka, Joseph Roth sowie den siebenbändigen Romanzyklus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" von Marcel Proust, der ihm den "Preis der deutschen Schallplattenkritik" einbrachte. Dieses Werk wurde auch zum "Hörbuch des Jahres 2010" gekürt. Weitere Auszeichnungen: Albin-Skoda-Ring (2001) und Goldenes Ehrenzeichen des Landes Wien (2010).
Am 10. Jänner ist Peter Matić in Wien im Kasino am Schwarzenbergplatz in der Reihe "Kakanien - neue Heimaten" zu sehen. Er liest Auszüge aus dem - 2012 erstmals ins Deutsche übersetzten - Bericht von Mark Twain "Turbulente Tage in Österreich" über die Krise der österreichischen Regierung im Jahr 1897.