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VW-Geschädigte brauchen langen Atem

Wirtschaft

Am Montag beginnt der Mammutprozess um die VW-Sammelklage.


Exakt 636 Seiten dick und womöglich milliardenschwer: Der Schriftsatz der Staatsanwaltschaft Braunschweig, der am Dienstagmorgen bei Volkswagen-Chef Herbert Diess einlangte. Diess habe VW-Aktionäre bewusst zu spät über das Milliardenrisiko des Dieselskandals informiert und somit Marktmanipulation betrieben, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Nun ist die Anklage gegen ihn, und auch gegen Chefaufseher Hans Dieter Pötsch und Ex-Konzernchef Martin Winterkorn am Landesgericht Braunschweig eingegangen.

Zuständig sei die 16. Wirtschaftsstrafkammer, teilte das Gericht am Mittwoch mit. Diese prüfe zunächst, ob die Anklageschrift zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wird.

Dafür muss die Kammer klären, ob ein hinreichender Tatverdacht besteht, also ob eine Verurteilung der Top-Manager wahrscheinlich ist. "Eine zeitliche Prognose zur Dauer dieser Prüfung kann derzeit nicht abgegeben werden", betonte das Gericht. Die dem Gericht vorgelegten Ermittlungsakten füllen insgesamt 21 Umzugskartons.

Den Vorwurf der Marktmanipulation wiesen die Verteidiger der drei Beschuldigten zurück. Es steht viel auf dem Spiel: Die Höchststrafe wegen Marktmanipulation beträgt fünf Jahre Haft.

Das Präsidium des VW-Aufsichtsrats hatte der Konzernspitze nach der Anklageerhebung den Rücken gestärkt.

11 Millionen Autos betroffen

Vor fast genau vier Jahren begann die heile VW-Welt zu bröckeln. Es war Freitag, der 18. September 2015, als die US-Umweltbehörde Verstöße des Autokonzerns gegen Umweltvorschriften veröffentlichte. Volkswagen habe eine Software entwickelt, die Vorgaben zur Luftverschmutzung zwar bei Tests, nicht aber beim normalen Betrieb der Autos erfülle, hieß es. VW musste knapp eine halbe Million Autos in die Werkstätten zurückrufen, mittlerweile geht es um weltweit 11 Millionen Wagen. Es war der Anfang einer Entwicklung, die mit der Anklage der Staatsanwaltschaft gegen die Konzernführung nun ihren Höhepunkt erreicht.

Betroffene Kunden, die sich durch die Abgas-Tricksereien geschädigt sehen, benötigen nun einen langen Atem. Auch vier Jahre, nachdem die millionenfache Abgasmanipulation in den USA ans Licht gekommen ist, warten hierzulande noch immer viele Dieselfahrer auf eine Entschädigung.

Am kommenden Montag beginnt vor dem Oberlandesgericht Braunschweig eine mündliche Verhandlung um Ansprüche Hunderttausender VW-Kunden. Eine rasche Entscheidung sei laut Experten aber nicht zu erwarten. Denn mit der Musterfeststellungsklage betritt der Senat in weiten Teilen Neuland.

Fast 440.000 Besitzer von VW-Dieselfahrzeugen haben sich bisher der Musterklage der Verbraucherzentrale Bundesverband angeschlossen. Der Verband zieht stellvertretend für die Betroffenen vor Gericht. "Volkswagen hat seine Dieselkunden betrogen - vorsätzlich, sittenwidrig - und schuldet deshalb Schadenersatz", begründet Verbandschef Klaus Müller die Klage.

Wegen des großen öffentlichen Interesses verhandelt der 4. Zivilsenat in der Stadthalle in Braunschweig. Für die Verhandlung über die Musterfeststellungsklage rechnet das Gericht mit mehr als 300 Zuschauern. Platz benötigen zudem die etwa zwei Dutzend Anwälte und die Vertreter von Volkswagen und dem Musterkläger. Auch Anwälte von Einzelklägern haben sich nach Gerichtsangaben angemeldet, um den Prozess vom Zuschauerraum aus zu verfolgen.

Einer von ihnen ist Peter Kolba, Obmann des Verbraucherschutzvereins (VSV). Der Verein vertritt etwa 1100 betroffene Österreicher. Sie werden viel Geduld aufbringen müssen. "Das Verfahren wird wohl Jahre dauern. Von Tag zu Tag gibt es aber neue Enthüllungen, die Wasser auf den Mühlen der Kläger sind", zeigt sich Kolba optimistisch.

Volkswagen lehnt Wiedergutmachung ab

Mit dem Klageinstrument hatte die deutsche Bundesregierung im vergangenen Jahr eilig die Möglichkeit geschaffen, Ansprüche zu bündeln. Nicht wenige Kläger verbinden damit immer noch die Hoffnung auf eine Gleichbehandlung, nachdem Verbraucher in den USA schon vor zwei Jahren mit Milliarden entschädigt wurden. Eine vergleichbare Wiedergutmachung lehnt VW jedoch ab und verweist auf eine komplett andere rechtliche Situation in den USA. Dort kostete der Abgasskandal Volkswagen mehr als 25 Milliarden Euro.(vasa)