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Fukushima: "Der vielleicht beste Ort der Welt"

Von Felix Lill aus Japan

Wirtschaft

Neun Jahre nach der Atomkatastrophe will Fukushima Stigma und Traurigkeit hinter sich lassen. | Kern der Strategie ist ein weltweit einmaliger Roboterhub.


Vielleicht sind wir bald so weit", sagt Masamitsu Tadano lächelnd, "und wir haben einen Roboter ,Made in Fukushima‘." Der stämmige Mann führt im Blaumann durch die mit Maschinen gefüllte Wellblechhalle von Kyoei Seiki, ein Betrieb, der bisher Touchscreens, Rotoren und Autobatterien herstellte. "Jetzt arbeiten wir an einem Transportroboter, der in Luft und unklaren Gewässern navigiert." Zu den potenziellen Abnehmern gehören die japanischen Selbstverteidigungskräfte und Feuerwehren.

Einen Prototyp hat das Unternehmen schon. Er ist zwar noch zu groß, zu schwer und zu schwach - er kann nur ein paar Paletten Wasserflaschen tragen - aber hier in Minamisoma, an der Nordostküste Japans, sind das gute Nachrichten. Tadano erinnert sich: "An den Katastrophentagen schlug sich ein tiefer Riss durch den Boden. Zehn unserer Maschinen wurden aus der Fassung gehoben. Wir haben den Laden dichtgemacht." Alle 25 Mitarbeiter wurden nach Hause geschickt, einige verließen die Region. Es dauerte Jahre, bis sich der Betrieb halbwegs erholen konnte. Heute erreichen die Erlöse immerhin 90 Prozent des Vorkrisenniveaus.

So fasst Tadano, der in der Region aufgewachsen ist, wieder Optimismus. "Wir forschen an ganz neuen Produkten, haben dafür auch eine Ausschreibung der Regierung gewonnen. Und der Premierminister hat uns besucht." Und alles, was hier gebaut wird, könne kaum irgendwo so gut entwickelt und getestet werden wie hier. "Vor ein paar Jahren war dieser Ort noch einer der heruntergekommensten Orte Japans. Und jetzt ist er für das, was wir machen, vielleicht der beste der Welt", so Tadano.

Fukushima. Wenige Ortsbezeichnungen der Welt haben in den letzten Jahren so viel Schrecken hervorgerufen. Als im März 2011 zuerst die Erde bebte, dann bis zu 40 Meter hohe Wellen über die Nordostküste Japans schwappten und schließlich in drei der sechs Blöcke des Atomkraftwerks die Kerne schmolzen, wurde die Präfektur vielen Menschen im Ausland erstmals ein Begriff. Seitdem plagt Fukushima, einst eine wichtige Landwirtschafts- und Fischereiproduzentin, das Image, nur noch Strahlenzone zu sein.

"Hier wird gebaut, was wir damals gebraucht hätten"

Auch wenn nur ein Zehntel der knapp 20.000 Todesopfer des Erdbebens und Tsunamis in Fukushima zu beklagen waren, an der Reaktorkatastrophe zunächst auch niemand starb, ist der Schaden bis heute nirgends so deutlich zu spüren wie in der berüchtigten Präfektur. Einige Städte und Dörfer nahe der Kraftwerksruine bleiben wegen hoher Strahlungswerte unbewohnbar. Die Zahl der Evakuierten ist zwar über die Jahre von 165.000 auf mittlerweile 40.000 gesunken. Aber von denjenigen, die zuletzt heimkehrten, ist die Hälfte schon im Rentenalter. Unter den damals freiwillig Evakuierten will eine Mehrheit nicht mehr zurück.

Betriebe sind abgewandert oder haben geschlossen. Die Wirtschaft rennt ihrem Vorkrisenniveau hinterher, das Wachstum der vergangenen Jahre stemmte insbesondere die für den Wiederaufbau gefragte Baubranche. Nicht wenige Experten bezweifeln, dass die Krise binnen einer Generation zu überwinden sei. Mehrere Nachbarländer scheuen sich weiter vor Einfuhren aus den vermeintlichen Strahlengebieten, auch wenn die essbaren Produkte Screenings unterzogen werden.

Doch seit kurzem steht auf den Trümmern etwas Neues, von dem nicht nur Betriebe von Kyoei Seiki profitieren sollen. An der Küste von Minamisoma, einer 55.000-Einwohner-Stadt 250 Kilometer nördlich von Tokio, 25 Kilometer entfernt von der Reaktorruine, zeigt Kazuyoshi Kiyonobu über flaches Land. Der Wind des Pazifiks weht dem Stadtbeamten ins Gesicht, hinter seiner Brille kneift er die Augen zusammen. "Hier standen Wohnhäuser. Der Tsunami hat sie alle geschluckt." Kiyonobu, der selbst einige Kilometer landeinwärts wohnt, ging vor der Nuklearkatastrophe regelmäßig an den Strand, wo Fischerboote anlegten. 70.000 Menschen lebten damals noch hier.

Heute will der in Minamisoma für Wirtschaftsentwicklung zuständige Kiyonobu nach vorne schauen. Mit dem Pazifik im Rücken blickt er über das 1000 mal 500 Meter große Gelände. "Die Zentralregierung in Tokio finanziert uns das alles. Wir sollen Japans neuer Hub für Robotik werden. Die Ursprungsidee war, dass hier all das gebaut wird, was wir damals gut hätten gebrauchen können." Es ist ein Gelände, das auf seine Weise weltweit einmalig sein dürfte.

Seit Sommer 2018 ist das "Fukushima Robot Test Field" operativ, vollständig eingeweiht wurde es heuer. Für 15 Milliarden Yen (rund 117 Millionen Euro) wurden auch 13 moderne Büros für Unternehmen gebaut, die hier ihre Entwicklungen ausprobieren. Konzerne wie der einstige Telefonmonopolist NTT, der Onlinehandelgigant Rakuten oder das Multitechunternehmen Hitachi gehen bereits ein und aus.

Vor dem Bürokomplex ragt eine Brücke empor, daneben ein Tunnel, davor eine Straßenkreuzung mit Häusern. Weiter hinten ein großes Wasserbecken, ein Hochhaus, ein Flugfeld, von dem aus eine 13 Kilometer lange Strecke entlang der Küste zu einem Landeplatz bespielbar ist. "Das ist zum Simulieren von Rettungen, Überwachungsaktionen, Lieferungen oder was auch immer an Robotern ausprobiert werden muss", erklärt Kiyonobu. "Wir haben das Okay der Anwohner und anliegenden Dörfer, dass hier getestet werden darf. So viel Freiheit hat man sonst nirgendwo."

Diese Alleinstellungsmerkmale sollen nun auch Betriebe aus dem Ausland anziehen. Denn Minamisoma wurde durch die Katastrophe besonders in Mitleidenschaft gezogen. Nach den Kernschmelzen wurde der Ort evakuiert, ein Jahr und viele Dekontaminierungskommandos später bewarb die Regierung eine kollektive Rücksiedlung. Einige, aber längst nicht alle, sind zurückgekehrt.

"Vielleicht will einfach niemand nach Fukushima"

Dass der Ruf von Fukushima nach wie vor nicht der beste ist, bereitet auch Masamitsu Tadano von Kyoei Seiki Kopfschmerzen. Für seinen Betrieb sei dies sogar das größte Problem. "Ich weiß, dass wir unsere neuen Entwicklungen noch deutlich verbessern können. Uns fehlen die Leute dazu." Seit sieben Jahren, sagt der gestandene Unternehmer, der seit 40 Jahren den Betrieb leitet, suche er immer wieder nach jungen Ingenieuren, die moderne Ausbildungen absolviert haben und mit Themen wie Navigation oder dem intelligenten Austarieren von Schleppgewicht arbeiten können.

"Ich habe Ausschreibungen gemacht, die Leute würden an die sechs Millionen Yen im Jahr kriegen, plus Sozialleistungen." Das sind etwa 47.000 Euro. In einem Land, wo knapp 40 Prozent irregulär beschäftigt ist, aber fast jeder der jüngeren Generation an der Uni war, müssten sich eigentlich viele Bewerber finden. Aber es gehen keine Bewerbungen ein. "Vielleicht ist die Nachfrage nach diesen Leuten zu hoch. Vielleicht will einfach niemand nach Fukushima", sagt Tadano.

Arbeitskräftemangel ist ein Problem der ganzen Region, das sich durch die Katastrophe zuspitzte. Kamen Anfang 2011 auf jeden Arbeitssuchenden noch 0,5 Jobausschreibungen, stieg der Wert bis Anfang 2014 auf 1,5 an. Immerhin: Nach 2014 ist der Quotient nicht mehr gestiegen, wofür auch die Rücksiedlungen in die Region verantwortlich sind. Die Arbeitskräfte laufen der Region also nicht mehr davon. Auch hieran zeigt sich, dass es in Fukushima nun bergauf geht, wenngleich die Steigung beträchtlich ist. "Wir freuen uns über jeden qualifizierten Interessenten", sagt Tadano wieder im Werkraum.

Hoffnung, doch noch fündig zu werden, macht ihm ein Gesetz, das Ende 2018 durch das nationale Parlament in Tokio ging und seitdem der bisher arg vernachlässigten Anwerbung ausländischer Fachkräfte dienen soll. Fukushima dürfte da besonders profitieren. "Das mit der Sprache würden wir schon irgendwie hinkriegen", sagt Tadano, der selbst kein Englisch spricht, "solange die Qualifikationen stimmen." Er denkt wieder laut: "Vielleicht wagen ja ein paar Ausländer das, wovon sich viele der Evakuierten schon verabschiedet haben, und ziehen nach Fukushima."