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Oligarchen büßen ihre Unabhängigkeit ein

Von Marijana Miljković

Wirtschaft

Reiche Russen werden vom Westen sanktioniert, doch Putins Freunde trifft das kaum, kritisiert Expertin Schimpfössl.


Russische Oligarchen sind seit Jahrzehnten Teil des westlichen Jetsets und bestens mit Politikern aller Couleurs vernetzt, obwohl ihr Vermögen mutmaßlich aus fraglichen Quellen stammt. Ihr Geld steckt in Luxusimmobilien, Tourismusressorts und Unternehmen, weltweit und auch in Österreich. Jetzt stehen etliche von ihnen auf der Sanktionsliste der EU, USA und Großbritanniens, weil sie im Verdacht stehen, Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine zu finanzieren. Die in Großbritannien lebende österreichische Soziologin Elisabeth Schimpfössl machte die reichen Russen zu ihrem Forschungsobjekt. Im Interview mit der "Wiener Zeitung" erklärt sie, wem die Sanktionen wehtun.

"Wiener Zeitung": Wie kommt es dazu, dass eine kleine Elite so reich werden konnte, oder anders gefragt: Wie wird man Oligarch?Elisabeth Schimpfössl: Es kommt darauf an, ob man unter Oligarchen versteht, wer vor zwei Wochen als ein solcher galt oder wie es die Weltgemeinschaft umdefiniert hat. Ein typischer Oligarch, wie der Begriff die vergangenen 30 Jahre in Russland angewandt wurde, wird man heute nicht mehr. Die meisten Oligarchen sind in den 1990ern reich geworden, viele durch Privatisierungen. Sie waren also vor dem russischen Präsidenten Wladimir Putin da, was zwar nicht heißt, dass sie unabhängig von ihm sind, aber doch einen gewissen Drang haben, unabhängig zu sein. Denn man kann solche Vermögen nicht halten, wenn man nicht ständig guten Kontakt zum Kreml und zu Putin pflegt.

Wer sind die Oligarchen, die seit zwei Wochen als solche gelten?

Das sind die, die wir früher als "Putin-Cronies" verstanden hätten. Man könnte manche von ihnen in Hinblick auf ihre Verquickungen in die Politik und ihren Reichtum zwar auch als Oligarchen bezeichnen, die meisten davon aber sind "Kinder Putins".

Wie ist das zu verstehen?

Putin hat Leute, denen er vertraut und derer Loyalität er sich sicher sein kann, groß gemacht. Diese "Cronies" sind in den 2000er Jahren aufgekommen. In dieser Hinsicht waren die drei Namen, angebliche Oligarchen, die der britische Premier Boris Johnson am 1. März auf die individuelle Sanktionsliste gesetzt hat, reine Augenauswischerei. Die Rotenbergs (Boris, früher Putins Judo-Partner, und Igor, Anm.) und Gennady Timchenko sind einzig dank Putin groß geworden und hängen daher an seiner Nabelschnur. Keiner der drei ist in Großbritannien aktiv, und die Sanktionen gehen ins Leere. Zu dieser Kategorie von Oligarchen zählt auch Putins ehemaliger Koch Jewgeni Prigoschin. Auch Prigoschin wurde dank seiner Bekanntschaft zu Putin Milliardär. Sein Portfolio ist inzwischen breit gefächert. Parallel zu seiner Restaurantkette hat er zwei Großprojekte in die Welt gesetzt: die Wagner-Gruppe, eine private Söldner-Armee, die in vielen afrikanischen Ländern aktiv ist, und die Troll-Fabriken in Sankt Petersburg, die Fake News am Fließband herstellen. Prigoschin hat mehrfach öffentlich verkündet, dass ihm der Westen komplett egal ist. Weit härter treffen die Sanktionen die Oligarchen, die sich in London herumtummeln.

Sind die Oligarchen aus London nicht wegzudenken?

Es hat sich dank der Geldflüsse reicher Russen eine Riesenindustrie herausgebildet. Das sind Vermögensberater, Makler, PR-Manager, Rechtsanwälte, die sich auf diese Klientel spezialisiert haben. Die Rechtslage ist so schludrig, dass sich Wege finden, nicht ganz so sauberes Geld gerade noch durch legale Prozesse reinzuwaschen. Diese Lobby will es sich nicht mit den Russen verscherzen, sie wollen das Geld weiter fließen sehen.

Wem tun die Sanktionen denn richtig weh?

Die Politiker haben an Putins Nabelschnur hängenden Männer auf die Liste gesetzt. Denen tut das, wie gesagt, nicht rasend weh, aber es klingt gut. Nach öffentlichem Druck hat die britische Regierung inzwischen aber doch weitere Oligarchen auf die Liste gesetzt. Erst Alisher Usmanov und Kirill Shamalov, seit Neuestem auch Roman Abramowitsch und Oleg Deripaska. Ich habe dennoch die Befürchtung, dass sich Großbritannien in dieser Hinsicht davonstehlen will. Sie haben groß eine Kleptokratie-Sonderermittlung angekündigt. Aber solche Dinge haben wir schon in Form des Unexplained Wealth Orders aus dem Jahr 2018. Die Regierung hat es jedoch verabsäumt, Ressourcen zu verteilen, um diese Maßnahmen auch umsetzen zu können. Wirklich hart wäre es, gegen Steuerparadiese wie die British Virgin Islands vorzugehen, aber das würde dann ja nicht nur Russen treffen.

Österreich ist wirtschaftlich und politisch ebenfalls stark mit Russland verbandelt. Offiziell ist derzeit jedoch nicht bekannt, wie viel russisches Vermögen zum Beispiel in Immobilien steckt und was davon wirklich eingefroren ist, und oftmals werden Häuser über Stiftungen und Firmen gekauft, die in der EU registriert sind, um die Herkunft von Geld und Eigentümer zu verschleiern. Welche Konsequenzen haben die Sanktionen für reiche Russen hierzulande?

Ich glaube nicht, dass es in Österreich jemals dazu gekommen ist, dass dieses Geld allumfassende Folgen auf die Gesellschaft hatte. In London führten die Immobilien-Investitionen, nicht nur die der Russen, dazu, dass die Hauspreise in die Höhe geschnellt ist. Außer, dass sich Wolfgang Schüssel und Konsorten andere Verdienstmöglichkeiten suchen müssen, sehe ich keine Konsequenzen.

Zuletzt berichteten Medien, dass der Industrielle Oleg Deripaska sein Hotel in Lech an seinen Cousin verkauft hat und dass der ehemalige russische Vizepremier, Igor Schuwalow, seine Villa am Attersee geräumt habe; Roman Abramowitsch wurde auch schon lange nicht mehr am Fuschlsee gesehen. Sind das alles Folgen der Sanktionen?

Ich würde einmal sagen, bei Deripaska war es eine Vorsichtsmaßnahme. Aber ich glaube, er fürchtet sich nicht rasend in Österreich, und bisher fehlte sein Name auf der Sanktionsliste der EU. Schuwalow würde ich nicht als klassischen Oligarchen bezeichnen. Eine von Abramowitschs Töchtern hat sich in den Sozialen Medien gegen den Krieg ausgesprochen, was verständlich ist. Was deren Immobilien betrifft, tut ihnen das nicht weh, bei den Milliarden an Vermögen, das sie in irgendwelchen Steuerparadiesen geparkt haben.

Was bringen die Sanktionen dann?

Für die an der Nabelschnur Putins sind die Sanktionen hart in dem Sinn, dass sie nicht ihren Lebensstil des Jetsets weiterführen können. Für die richtigen Oligarchen hat es ganz andere Konsequenzen, da geht es auch darum, wie sie eine gewisse Unabhängigkeit vom Kreml bewahren. In Russland zu sitzen und dem Kreml ausgeliefert zu sein, ist nicht in deren Interesse. Denn sie tragen ihre Rechtsstreitigkeiten lieber in London aus als vor den korrupten Gerichten in Russland.

Geht es hier um Eigentum, das ihnen gegebenenfalls in Russland weggenommen wird?

Ja, vor allem wenn es um ihre Unternehmen, ihre Imperien geht. Es geht ihnen allen gar nicht so darum, aus Russland wegzugehen, viele wollen ja auch nicht weg. Aber die Unsicherheit und Willkür des Kremls hat sie dazu gebracht, sich das Leben so zu organisieren, innerhalb von zwei Tagen schon woanders leben zu können: die Kinder in der Schule eingeschrieben, der Koch mit der heißen Suppe wartend, und so weiter.

Wie finanzieren die Oligarchen Putins Krieg?

Die VTB zum Beispiel wurde als Hausbank Putins bezeichnet. Zu diesen Hausbanken muss ich ausholen. Viele Oligarchen der 1990er Jahre haben neben ihren anderen Wirtschaftsaktivitäten ihre eigenen Banken aufgebaut, um ihre Geschäfte zu finanzieren. Diese Banken finanzieren auch Unternehmungen vom Kreml, ob sie wollen oder nicht. Die erste Privatbank auf der US-Sanktionsliste war die Alfa-Banka und deren Gründer Mikhail Fridman und Petr Aven. Interessante Wahl, dachte ich, weil sie Pioniere darin waren, im Westen groß zu werden - Aven etwa mit seiner Kunstsammlung - während sie nie ihre Wirtschaftsinteressen in Russland aufgegeben haben. Danach landeten andere Banken auf der Liste, was natürlich Sinn macht, weil in manchem Sinne jede Oligarchen-Bank eine Hausbank des Kremls ist.