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Wie hält es eigentlich China mit Russland?

Von Bernhard Seyringer

Wirtschaft
China wahrt seine Interessen, mit Russland will man es sich nicht verscherzen, zu wertvoll sind die Handelsbeziehungen.
© adobe stock / Aleks Gedeiko

Hat Peking Russland beim Unterlaufen westlicher Wirtschaftssanktionen geholfen? Fast vier Monate nach deren Verhängung lässt sich eine Zwischenbilanz ziehen.


In Peking weiß man um die populäre Rolle, die Wladimir Putin in Staaten des globalen Südens durch seine anti-westliche Agitation und den Überfall auf die Ukraine bekommen hat. China betrachtet sich traditionell als Schutzmacht dieser Länder. Nicht zuletzt deswegen, steht Peking auf Propagandaebene ganz deutlich hinter Putin: Chinesische Medien bezeichnen die westlichen Sanktionen abwechselnd als "Finanzterrorismus" oder "wirtschaftliches Hegemoniestreben", und kritische Stimmen, wie der frühere chinesische Botschafter in der Ukraine, Gao Yusheng, wurden sofort zensiert.

Blickt man allerdings auf konkrete wirtschaftliche Hilfestellungen, wird die Solidarität mit Moskau etwas durchwachsener. Russland ist zweifellos der wichtigste Partner zur Destabilisierung des westlich-geprägten Modells der internationalen Beziehungen. Aber Chinas wesentliche Interessen sind dabei Chinas Interessen. Nicht Freundschaft mit Russland. Eine häufig diagnostizierte Achse Moskau-Peking ist nicht im Entstehen.

Chinesische Unternehmen in Russland

Die Universität Yale kategorisierte die Veränderung der Geschäftstätigkeit von ungefähr 1.200 internationalen Unternehmen in Russland seit Verhängung westlicher Sanktionen, Ende Februar. Von den aktuell 247 internationalen Unternehmen die ihre Geschäftstätigkeiten in Russland unverändert fortsetzen, hält China mit 39 den größten Anteil. Darunter sind so bekannte Namen wie Alibaba, Tencent, der Halbleiterhersteller Smic, der Fahrdienstleistungsanbieter Didi Chuxing oder die E-Commerce Plattform JD.com und der Mobilkommunikationsgigant China Mobile.

Von den 161 internationalen Unternehmen, die zukünftige Investitionen zurückstellen, aber in aktuellen Geschäftsfeldern weiterhin aktiv bleiben, sind mit Huawei, dem Kreditkartenanbieter UnionPay oder dem Smartphone-Hersteller Xiaomi nur wenige chinesische.

UnionPay hatte Ende April bekanntgegeben, dass es die Anfragen der russischen Sberbank und Alfa Bank zur gemeinsamen Ausgabe von Kreditkarten vorläufig abgelehnt hat.

Das einzige chinesische Unternehmen (von 164 internationalen), das sich aus einem 500-Millionen-Dollar-Investitionsprojekt zurückzieht, ist die staatliche Sinopec. Das Unternehmen plante ein Joint-Venture mit Sibur, einem petrochemischen Unternehmen, das sich auf der Liste westlicher Sanktionen befindet und dem russischen Oligarchen Gennady Timchenko zuzuordnen ist.

Wobei Sinopec gleichzeitig Ende April bekannt gab, mit dem staatlichen Ölunternehmen Cnooc und der China National Petroleum Corp. Teil eines Konsortiums zu sein, das in Verhandlungen zur Übernahme des 27,5 Prozent Anteils von Shell am russischen Sakhalin-2-Öl- und Gasfeld steht.

Pragmatisch mit Rückkehr-Optionen

Von den 474 internationalen Unternehmen, die die Geschäftstätigkeit, mit klarer Rückkehr-Option, vorübergehend aussetzen, sind vier aus China. Neben der AIIB (Asian Infrastructure Investment Bank) handelt es sich ausschließlich um Unternehmen aus dem Bereich der Finanzdienstleistungen. Am 1. Juni gab die AIIB zusätzlich bekannt, dass das jährliche Treffen nicht in Moskau stattfinden wird.

Nur ein chinesisches Unternehmen hat seine Geschäftstätigkeit in Russland (und der Ukraine) vollständig eingestellt: Der Drohnenhersteller DJI Technology Co. Das hat jedoch weniger mit Solidarität mit der Ukraine zu tun als mit der Tatsache, dass einerseits die Software für DJI Drohnen nach wie vor in Kalifornien programmiert wird und andererseits bekannt wurde, dass eine Sicherheitslücke bei den von der ukrainischen Armee verwendeten Drohnen, Informationen an die russische Armee lieferte.

Anfang Mai hat China einen "Stresstest" angeordnet, um herauszufinden, wie das Portfolio an Sanktionen gegen Russland sich gegen China auswirken würde. Seither ist sämtlichen Funktionären auf Ministerebene und deren Familien, der Besitz von Immobilien, Unternehmensanteilen oder Konten bei ausländischen Banken untersagt.

Cips als teure Vorkehrung gegen Sanktionen

Ende Februar dieses Jahres haben russische und chinesische Medien mit Berichten begonnen, die eine Kooperation des chinesischen Cross-Border Interbank Payment System (Cips) mit Russlands SPFS als Reaktion auf Russlands Ausschluss aus dem Swift-System in den Vordergrund stellten. Es gab keine offiziellen Stellungnahmen dazu. Seit etwa fünf Jahren werden derartige Absichten von unterschiedlichen Analysten zyklisch prognostiziert.

Im April hatte sogar der russische Finanzminister Anton Siluanow derartige Absichten skizziert. Russland hatte einige Vorkehrungen gegen westliche Sanktionen getroffen: Mehrere Banken haben enorme Investitionen in sichere Kommunikationsverbindungen mit chinesischen Banken getätigt, um über eine Swift-Alternative im Krisenfall verfügen zu können. Zu enorm hohen Kosten.

Außerdem akzeptiert Russland seit April 2020 die chinesische Währung Yuan als Zahlungsmittel für die russischen Öl- und Kohleexporte nach China.

Keine echte Swift-Konkurrenz

Dazu ein Vergleich: Im April 2022 wurden Transfers via Swift zu 41,8 Prozent in US-Dollar, 34,7 Prozent in Euro und im Umfang von 2,1 Prozent in Yuan getätigt. Eine Anmerkung: Es hat allerdings drei Jahre gedauert, von Februar 2019 bis zum Februar 2022, bis der Yuan-Anteil von 1,9 auf 2,1 Prozent gestiegen ist.

Cips stellt trotz großer Investitionen der chinesischen Zentralbank seit 2015 nach wie vor keine ernsthafte Konkurrenz zum US-amerikanischen Chips (Clearing House Interbank Payments System) dar.

Auch wenn chinesische Medien behaupten, das Transaktionsvolumen von Cips sei im Jahr 2021 um 50 Prozent gestiegen. Chips hat nahezu zehnmal so viele Mitglieder und das Vierzigfache an Transaktionen. Außerdem werden 80 Prozent der Kommunikation über Cips trotzdem via Swift durchgeführt.

Chinas Interessen sind vor allem Chinas Interessen. Insgesamt versucht das Reich der Mitte weniger mit komplexen Hochtechnologielösungen, zu deren Realisierung einfach die Zeit fehlt, die westlichen Sanktionen zu unterlaufen, als mit Kooperationen auf regionaler Ebene.

Kooperationen statt Hochtechnologie

Mehrere Provinzen haben Kooperationen mit russischen Unternehmen bekanntgegeben. Der chinesische Botschafter in Russland, Zhang Hanhui, betonte in einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur Tass, dass vor allem auf die Bereiche Energie, Militär- und Weltraumtechnologien fokussiert werden soll.

Der dafür notwendige Zahlungsverkehr wird über Banken abgewickelt, die nicht mit dem US-Dollar-System verbunden sind. Ein bekannter Akteur ist die Bank of Kunlun, die sich bereits seit 2012 auf der Sanktionsliste des US-Handelsministeriums befindet, wegen Bereitstellung finanzieller Dienstleistungen für iranische Banken.

Angesichts dessen ist es mehr als erstaunlich, dass die Handelsministerin der USA, Gina Raimondo, keine systematischen Versuche Chinas erkennen kann, die Sanktionen zu umgehen.