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Handel als Sicherheitsgarantie

Von Felix Lill

Wirtschaft

Taiwan leidet unter Sanktionen aus Peking, versucht sich aber, in westliche Wirtschaftsräume zu integrieren.


Eine "fairere, wohlhabendere und widerstandsfähigere" Volkswirtschaft soll entstehen. Es sind große Versprechen, die diese Tage aus Washington und Taipeh kommen. Als am vergangenen Donnerstag durchdrang, dass die USA und Taiwan in Kürze Verhandlungen über intensivierte Wirtschaftsbeziehungen aufnehmen werden, war die Stimmung in Taipeh auffallend optimistisch. "Beide Seiten zeigen große Ambitionen und hoffen", so heißt es in einem Statement der taiwanischen Regierung, "schnellstmöglich ein Handelsabkommen zu unterzeichnen."

Für Taiwan wäre ein umfassender Wirtschaftsdeal mit der größten Volkswirtschaft der Welt ein diplomatischer und wirtschaftspolitischer Durchbruch. Kaum ein Staat der Welt erfährt einerseits so viel Sympathie, ist zugleich aber so isoliert wie die Insel südöstlich der chinesischen Küste. Weil nämlich das viel größere und einflussreichere Festlandchina den Standpunkt vertritt, das demokratisch regierte Taiwan gehöre zur von Peking aus regierten Volksrepublik China, unterhalten die meisten Staaten der Welt seit Jahrzehnten keine offiziellen Beziehungen mehr zu Taiwan.

Die Spannungen um Taiwan erreichten Anfang August einen neuen Tiefpunkt, als mit Nancy Pelosi die dritthöchste Person im US-amerikanischen Staat zu einem offiziellen Besuch in Taiwan eintraf. In Peking wurde dies als Verletzung der chinesischen Souveränität gewertet, in der taiwanischen Hauptstadt Taipeh dagegen als ein erhörter Hilferuf. Denn China hat über die letzten Jahre immer wieder gedroht, sich Taiwan notfalls unter Zwang einzuverleiben. Und seit dem Ukraine-Krieg besteht die akute Sorge, das mit Moskau befreundete Peking könnte ähnliche Schritte planen. Dabei leidet Taiwan derzeit auch ohne militärischen Angriff.

Sanktionen aus China

Da sind nicht nur die bedrohlich wirkenden Militärmanöver, die Peking seit Nancy Pelosis Besuch rund um die Insel durchgeführt hat. Zudem sind wirtschaftliche Sanktionen gegen Taiwan erhoben worden. So kann Taiwan, das rund 40 Prozent seiner Exporte und ein gutes Fünftel seiner Importe mit Festlandchina handelt, derzeit keine Zitrusfrüchte und mehrere Fische mehr aus China beziehen. Auch der für den Bausektor wichtigen Rohstoff Sand wird derzeit nicht geliefert. Und die Sanktionen könnten noch zunehmen. Das stark exportorientierte Taiwan, dessen Volkswirtschaft zu rund 70 Prozent von der Ausfuhr von auf der Insel produzierten Gütern besteht, ist durch solche Sanktionen extrem verwundbar. Und indem Taiwan von kaum einem Staat diplomatisch anerkannt ist, hat es Schwierigkeiten, Handelsverträge zu schließen, die Zölle reduzieren und den ökonomischen Austausch mit der Welt erleichtern würden. So bahnt sich mit der Nachricht, dass nun mit den USA ein Handelsabkommen gesichert werden soll, eine Art politische Sensation an.

Tatsächlich hat Taiwans Regierung in letzter Zeit auch auf ökonomischer Ebene die Nähe mehrerer westlich orientierter Staaten gesucht. Neben Gesprächen mit den USA traf sich im Juni eine Delegation mit Vertreterinnen der EU, um über Handels- und Investitionshürden zu diskutieren. Diese Tage reist ein Parlamentarier aus Japan nach Taiwan, um eine Intensivierung des Austauschs zu eruieren. In Peking werden all diese Schritte kritisiert. Dabei sind die intensivierten Bemühungen der taiwanischen Regierung, sich weiter in die Weltwirtschaft zu integrieren, auch eine Reaktion auf die offensichtlich steigende Nervosität mehrerer heimischer Unternehmen.

Inmitten der jüngsten Sanktionen aus Peking ist eine Debatte darüber entflammt, ob sich taiwanische Konzernchefs allzu opportunistisch verhalten. Mit Blick auf die wichtigen Absatzmärkte oder Produktionsstandorte in Festlandchina kritisierten sie die Politik Pekings kaum, teilten aber umso häufiger gegen die taiwanische Regierung aus. So berichtete das Nachrichtenportal Taiwan News Ende der Woche, dass etwa der Vorsitzende der Taiwan Glass Group gegenüber der Regierung in Peking beteuert habe, die kürzliche Anordnung, im chinesischen Sichuan aktive Unternehmen mögen für zunächst sechs Tage die Produktion einstellen, sei zwar hart. Aber man werde ausharren. Wenn sich dieses und weitere Unternehmen wiederum Unterstützung von der taiwanischen Regierung wünschten, zeigten sie deutlich weniger Verständnis für politische Umstände.

Sorge um Standort

Taiwan News spricht von "Doppelmoral." Immer wieder muss sich Taiwans Politik Sorgen um die Attraktivität des heimischen Wirtschaftsstandorts machen. Indem Festlandchina Anspruch auf die Insel erhebt, ist der Status der langfristigen Rechtssicherheit unklar. Gegen die moderne Infrastruktur Taiwans steht der eher kleine Markt von nur 23 Millionen Einwohnern. Hinzu kommen die Erfahrungen mit Sanktionspolitik aus China, von dem Taiwan nunmal ökonomisch stark anhängig ist. Für Taiwan spricht aus westlicher Sicht wiederum die seit der Demokratisierung in den 1980er Jahren liberale Orientierung von Gesellschaft und Staat.

Auch mit diesem Argument versucht Taiwans Regierung, Anschluss zu finden. Edward Tao, offizieller Vertreter Taiwans in der australischen Hauptstadt Brisbane, forderte diese Tage von der australischen Regierung, diese solle Taiwan bei der Eingliederung in regionale Handelsabkommen helfen. "Wir wollen nicht alle unsere Eier in einen einzigen Korb legen", sagte Tao zudem - man wolle sich mit Blick auf China diversifizieren. Konkret geht es hierbei um das CPTPP (Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership), ein Freihandelsabkommen, dem zehn Pazifikanrainerstaaten angehören, unter anderem Kanada, Mexiko, Singapur, Japan und Australien. Die australische Regierung, deren Beziehungen zu Peking sich über die vergangenen Jahre ebenso verschlechtert haben, hatte im Februar bereits vorgeschlagen, unter anderem Taiwan in das Abkommen aufzunehmen.

Bei ihren Beziehungen zu Taiwan stehen diverse Staaten vor einem Dilemma: Ein allzu intensiver Austausch erzürnt das in Peking regierte China, zu dem viele Staaten wegen des riesigen chinesischen Marktes aber möglichst intakte Beziehungen wünschen. So hat die US-Regierung zwar im Frühjahr mit dem Indo-Pacific Economic Framework (IPEF) das Vorhaben eines neuen Handelsmechanismus präsentiert, durch den diverse Staaten im Indopazifik wirtschafts- und sicherheitspolitisch enger an die liberale Welt gebunden werden sollen.

Taiwan aber blieb hiervon ausgeschlossen. Allerdings hält Taiwan auch einen anderen Trumpf in der Hand, der über die liberale Ausrichtung hinausgeht: Es ist der mit Abstand wichtigste Produzent für diverse Formen von Halbleitern, die mittlerweile in praktisch alle Elektroprodukte eingebaut werden. Da die Investitionskosten für Produktions- und Forschungsstätten enorm sind und das Innovationstempo hoch, gilt es als unwahrscheinlich, dass Taiwan in diesem Sektor mittelfristig an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen wird. Ein Handelsabkommen könnte wiederum auch die wichtigen Halbleiter günstiger machen.