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Humanics Brautschau im Norden Englands

Von Bernd Vasari aus Flimby

Wirtschaft
Die begehrten Premium-Modelle aus der nordenglischen Fabrik.
© New Balance

Österreichs größter Schuhhändler will künftig auch in die hochpreisige Welt der Premium-Sneaker vorstoßen. Doch der Hersteller New Balance muss davon erst überzeugt werden.


Es regnet. Vertikal. Grau. Grauslich. Die Landschaft ist monoton. Auf grünen Wiesen grasen weiße Schafe. In den Dörfern fügt sich ein braunes Backsteinhäuschen neben das andere. Drei Autostunden entfernt liegt Manchester, nach London dauert es noch länger. Doch wozu der Glanz der quirligen Großstädte, wenn man wie hier, in Englands nordwestlicher Grafschaft Cumbria, auf eine lange Tradition feinster Handwerkskunst stolz sein kann?

Es ist eine Handwerkskunst, die auch New Balance zu schätzen weiß. Vor 40 Jahren baute der US-amerikanische Schuhkonzern seine einzige europäische Fabrik im Küstenort Flimby. Heute werden hier die erfolgreichsten Modelle des Konzerns gefertigt. Die begehrten Premium-Sneakers "Made in England" dürfen jedoch nur in ausgewählten Geschäften verkauft werden. Weltweit stehen Schuhhändler Schlange, um dieser Auswahl anzugehören. Seit einiger Zeit versucht es auch Österreichs größter Schuhhändler Humanic. Ein Besuch bei New Balance soll die Chancen erhöhen. Die "Wiener Zeitung" war dabei auf der Reise in den hohen Norden.

Die schneeweißen Sneaker des Ministers

"Corona hat den Hype um Sneakers vergrößert", sagt Nino Scherz, Produktmanager bei Humanic. "Die Menschen kauften die bequemen Schuhe vor allem zum Spazierengehen und zum Wandern. Bälle oder Hochzeiten haben ja nicht stattgefunden." Der Trend erfasste auch die Arbeitswelt, wie hierzulande Wolfgang Mückstein eindrucksvoll vorführte. Bei seiner Angelobung zum Gesundheitsminister erschien er in der Hofburg mit Anzug und schneeweißen Sneakers - von New Balance.

"Humanic muss mitziehen", erklärt Scherz. "Wir haben bewusst unser Profil geschärft." Der heimische Schuhhändler bietet zehn verschiedene Modelle von New Balance zum Verkauf an. Mit Erfolg. New Balance liegt bei den Verkäufen an zweiter Stelle, hinter der Schuhmarke On. Als nächster Schritt soll aber auch der 200 bis 300 Euro teure Premium-Schuh von New Balance an Land gezogen werden.

Der Küstenort Flimby in der Grafschaft Cumbria.
© Bernd Vasari

Doch dafür gelten eigene Regeln. "Wir erschaffen gerade eine Premium-Welt, um im Bewertungssystem des Herstellers aufzusteigen", sagt Scherz. So gestaltete der Künstler Filius de Lacroix die gesamte Grazer Filiale in der Herrengasse: Jung, hip, sportlich, bunt. "Wir wollen nicht mehr beliebig sein", sagt Scherz. Das Ziel ist es nun, die Durchschnittspreise zu erhöhen, günstige Schuhe soll es nicht mehr geben. Auch die Sparte Wellness soll deutlich reduziert werden.

Das richtige Image ist wesentlich für ein höheres Ranking. Und je höher das Ranking, desto mehr Premium-Schuhe. Wie umkämpft und undurchsichtig der Markt derzeit ist, hat Humanic zuletzt von Nike erfahren. 80 Prozent der bestellten Ware wurden im dritten Quartal storniert, sagt Scherz. Gleichzeitig stapelt sich die Ware in den Lagern des größten Sportartikelherstellers. Auch mit Adidas ist es schwierig. Humanic muss daher auf andere Partner zugreifen. Mit New Balance soll es nun klappen.

"Wir sind stolz auf unser Produkt", sagt Kevin Johnson, technischer Zeichner bei New Balance, Glatze, kugelrunder Bauch, darüber ein grünes New-Balance-Shirt. "Premium, international, erfolgreich", fügt er in breitem nordenglischem Dialekt hinzu und reicht New-Balance-Sneakers, ohne die niemand die Fabrik in Flimby betreten darf.

Oasis, Grabsteine, Irische See

Er führt durch die Halle, während Oasis aus den Boxen ballert. Es geht vorbei an Nähmaschinen, an Stellagen, prall gefüllt mit Stoffen und Leder. Lieferkettenprobleme verneint Johnson trocken und geht weiter. Wie beim Kekse backen werden die Muster ausgestochen. Stolz hält er das flache Schuhdesign in die Höhe.

Dann wird der Schuh geformt und geklebt. Und fertig ist der Premium-Schuh, von dem hier 350.000 Paare pro Jahr produziert werden und der in den Kanälen von Influencern, Sportlern und Popstars ins Rampenlicht gestellt wird.

Die Welt der Fabrikarbeiter ist hingegen eine andere. 280 Beschäftigte arbeiten hier vier Tage die Woche von 7 bis 17 Uhr, fast alle kommen aus der Gegend. Hinter der Fabrik stehen Picknickbänke, um einen hüfthohen Strauch wurden Grabsteine von ehemaligen Mitarbeitern platziert, die Bindung geht über den Tod hinaus.

Fabrikarbeiterinnen: Stolz auf Handwerkskunst.
© New Balance

Es sind bodenständige Menschen, die hier in der Fabrik mit Blick auf die Irische See arbeiten. Menschen, die auf Arbeitsmoral hohen Wert legen, Rugby lieben, Meisterschaften im Schottisch Motocross besuchen und am Abend beim Pub-Quiz alles geben. Wer hier aufwächst, arbeitet im nahen Atomkraftwerk, in der Fabrik, die Zigarettenfilter herstellt, oder bei New Balance. Die Arbeitslosenquote in der Grafschaft liegt bei 3,1 Prozent, ein Prozent unter dem landesweiten Durchschnittswert.

Lange Zeit galt New Balance als bieder, unmodern, als Vatis uncooler Schuh. Bis vor kurzem, als 2020 mit dem Modell 327 die Siebziger-Jahre zitiert wurden. Die in England designten Schuhe bekamen eine dickere Sohle und Noppen an der Hinterseite. Es wurde das meistverkaufte Modell von New Balance. Der 1906 gegründete Konzern war nun in einer Liga mit Adidas, Nike oder Puma. Und ist es bis heute.

Eine seltene Einladung

Die Bodenständigkeit will sich das Unternehmen aber bewahren, die Fabrik in Flimby ist daher von hoher Bedeutung für den US-Konzern. Zum 40. Jubiläum wurde eine eigene "Made in UK for over 40 years"-Linie herausgebracht und dazu ein Video veröffentlicht mit dem Titel "From Flimby to the World", von Flimby in die Welt. Gezeigt werden hemdsärmelige Fabrikarbeiter und die raue Landschaft der Umgebung zu den schwülstigen Klängen eines Männerchors.

Kevin Johnson führt durch die Fabrik.
© Bernd Vasari

New Balance lädt nur selten Geschäftspartner in seine Fabrik ein. Die Einladung ist daher ein gutes Zeichen für Humanic, das seine letzte Schuhfabrik im Jahr 1992 schloss, aber wie New Balance auf seine lange Tradition verweist. Während die Fabrik ihr 40-jähriges Jubiläum feiert, wird der österreichische Schuhhändler heuer 150 Jahre alt. Ob Tradition verbindet? Mit einer herzlichen Umarmung schließt die Führung in Flimby.

"Die Reise hilft uns enorm", sagt Einkaufsleiterin Christina Wittmann. Der Ball liege nun bei New Balance. Wittmann ist aber zuversichtlich, dass einige Premium-Modelle "Made in England" in der Herbst/Winter-Kollektion 2023/24 des heimischen Schuhhändlers zu sehen sein werden. Vor allem in der Grazer Filiale in der Herrengasse. Im November gibt es ein Strategiemeeting. Dann könnte das Ziel erreicht sein. Wittmann ist optimistisch: "Wir stehen kurz vor der Vertragsunterzeichnung." Ob es New Balance genauso sieht, bleibt abzuwarten.

(Die Reportage entstand im Rahmen einer Pressereise auf Einladung von Humanic, Anm.)