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Gemeinsam gegen den Weltkonzern Starbucks

Von WZ-Korrespondentin Nicole Hofmann

Wirtschaft
In der Starbucks-Filiale in Buffalo wird ein "Sip In" abgehalten, bei dem die Baristas um die Solidarität ihrer Kundschaft werben.
© reuters / Lindsay DeDario

Seit einem Jahr versuchen sich die Mitarbeiter des Kaffeehaus-Riesen Starbucks zu organisieren.


"No Contract - No Coffee" steht auf Plakaten und Stickern in der Starbucks Filiale im angesagten Stadtteil Shaw in Washington D.C. Schon von weitem ist an diesem "Labor Day", dem traditionellen Tag der Arbeit am 5. September, zu sehen, dass hier nicht das vertraute Starbucks-Ambiente herrscht. Es findet ein "Sip In" ("sip" bedeutet auf Englisch nippen oder schlürfen) statt, bei dem die erste gewerkschaftlich organisierte Filiale der Hauptstadt um die Solidarität ihrer Kundschaft und Nachbarschaft wirbt.

Viele Besucher, die dicht gedrängt ihren Kaffee trinken, tragen Gewerkschaftsleibchen. Manche von ihnen sind Stammkunden. Wie Elliot, der im benachbarten Bürogebäude arbeitet und hier immer seinen Morgenkaffee trinkt. Heute ist er trotz Feiertag in die Stadt gekommen, um "seine" Baristas zu unterstützen. Euphorisch spricht er über "die Bewegung", also die landesweite gewerkschaftliche Organisierung von Starbucks-Angestellten. "Das ist etwas Neues. Es sind die Jungen, es sind die Frauen, die sich hier gegen einen Milliardenkonzern behaupten. Das ist auch für mich inspirierend", sagt Elliot. Weil Feiertag ist, hat er sich heute einen Iced Vanilla Latte gegönnt, an dem er bedächtig nippt.

Überhaupt ist die Stimmung volksfestartig, nur die Baristas selbst haben keine Zeit für Diskussionen. Sie müssen Bestellungen aufnehmen, Kaffee zubereiten, abkassieren und Namen ausrufen. Aber sie freuen sich über die Unterstützung, besonders wenn sich die Kunden mit Namen wie "Keep it Up" oder "Union Strong" ausrufen lassen - eine Geste, die sich inzwischen landesweit durchgesetzt hat, um beim alltäglichen Kaffeekauf seine Solidarität auszudrücken.

Die Filiale in Washington ist erst seit kurzem gewerkschaftlich organisiert. Begonnen hat alles in Buffalo, New York, Ende 2021. "Als sich die ersten Baristas aus Buffalo bei uns gemeldet und erklärt haben, sich organisieren zu wollen, haben wir zuerst einmal gefragt, ob sie sich wirklich sicher sind", erinnert sich Rebecca Hess, Funktionärin der Gewerkschaft Workers United. "So ein Prozess ist nicht leicht. Es ist mit großem Widerstand zu rechnen. Wir dachten, das halten die nicht durch. Sie haben nur gesagt: ‚Wir schaffen das.‘" Als die Abstimmung zugunsten des Gewerkschaftsbeitritts in Buffalo gegen alle Widerstände gelang, verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Im ganzen Land folgten weitere Filialen dem Beispiel. Inzwischen sind mehr als 230 Starbucks-Filialen gewerkschaftlich organisiert.

Land ohne Gewerkschaft

Dass diese Bewegung so viel Beachtung erfährt, hängt auch damit zusammen, dass sie für die USA völlig untypisch ist. Denn nur rund 10 Prozent der Arbeitnehmer sind hier gewerkschaftlich organisiert, davon nur 1,6 Prozent im Beherbergung- und Gastronomiesektor. Die Gewerkschaftsbewegung ist traditionell schwach und seit der erklärt antigewerkschaftlichen Politik von Ronald Reagan in den 1980er Jahren nicht mehr auf die Beine gekommen.

Mit dem "National Labors Relation Act" gibt es zwar ein Gesetz, das das Recht auf gewerkschaftliche Organisation sicherstellen soll, aber die rechtliche Grundlage ist prekär. So gibt es als Sanktion bei einer Motivkündigung wegen gewerkschaftlicher Tätigkeit nur die Wiedereinstellung und keine Strafen, wie sie sonst im US-Schadenersatzrecht üblich sind. Eine rechtswidrige Kündigung von Aktivisten ist so für ein Unternehmen oft die günstigste Möglichkeit, um die Gewerkschaft vom Betrieb fernzuhalten.

Für die Einhaltung des Gesetzes ist die Arbeitsbehörde, das National Labor Relation Board (NLRB), zuständig. Mit Joe Biden sitzt derzeit jemand im Weißen Haus, der im Wahlkampf versprochen hat, der gewerkschaftsfreundlichste Präsident der US-Geschichte werden zu wollen. Tatsächlich setzte er mit Jennifer Abruzzo eine durchsetzungsstarke Juristin an die Spitze der Arbeitsbehörde, die sich als Gewerkschaftsanwältin einen Namen gemacht hatte. Unter großer medialer Beachtung entmachtete Abruzzo auch unverzüglich von Trump ernannte Behördenmitarbeiter.

Weitergehende Pläne für eine gewerkschaftsfreundliche Politik scheiterten aber auch an Widerständen von demokratischer Seite. So gab es keine Budgeterhöhung für die ausgehungerte Arbeitsbehörde. Auch ursprünglich geplante Sanktionen bei Verstößen von Unternehmen gegen Gewerkschaftsrechte, das so genannte "Union Busting", wurden stillschweigend gestrichen, bevor man den Republikanern entsprechende Gesetzesentwürfe präsentierte.

Kaffee als Wohlfühlerlebnis

Starbucks ist die größte Kaffeehauskette der Welt mit einem jährlichen Umsatz von zuletzt fast 30 Milliarden US-Dollar. Allein in den USA unterhält sie fast 9.000 Filialen und beschäftigt rund 70.000 Mitarbeiter. Das in Seattle gegründete Unternehmen versucht in seiner Öffentlichkeitsarbeit ein liberales, inklusives und antirassistisches Image zu vermitteln. Am "Pride Day" werden Filialen in Regenbogenfarben geschmückt, im Zuge während der "Black Lives Matter"-Bewegung wurden Sticker angebracht. Starbucks nennt seine Angestellten "Partner" und ist stolz darauf, Vergünstigungen wie College-Förderungen anzubieten, obwohl diese nicht vorgeschrieben sind. Zur Unternehmensphilosophie gehört das "Starbucks-Erlebnis": die Starbucks-Filiale als dritter Ort neben Arbeit und Zuhause, an dem man sich wohl und sicher fühlt.

Dass nun ausgerechnet die Starbucks-Mitarbeiter, deren Bezahlung zwar niedrig, aber branchenüblich ist, sich gegen alle Widerstände gewerkschaftlich zu organisieren versuchen, scheint damit also zumindest auf den ersten Blick überraschend. Spricht man mit Betroffenen, stößt man aber auf viele verschiedene Gründe für das Engagement in der Gewerkschaft. Viele Baristas beginnen während des College-Studiums bei Starbucks zu arbeiten. Der Stundenlohn von 12 bis 15 Dollar brutto bietet aber selbst bei Vollzeit keine Grundlage, um alleine davon zu leben.

Mandy Robinson ist im letzten College-Jahr und arbeitet seit fünf Jahren rund 30 Stunden in der Woche in einer Starbucks-Filiale in Baltimore, Maryland. "Wir haben hier eine irre Fluktuation", erzählt sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Ich habe es mir einmal ausgerechnet: Alle 90 Tage hat ein Viertel der Belegschaft gekündigt." Das Gehalt ist aber nur ein Faktor. Der individuelle Arbeitsvertrag sieht zwar grundsätzlich das Beschäftigungsausmaß vor, allerdings obliegt es der jeweiligen Filialleitung, in welchem Ausmaß und zu welchen Zeiten diese Stunden abgerufen werden. "Manchmal sagen sie dir kurzfristig ab, manchmal rufen sie dich kurzfristig rein. Du weißt auch nie, mit wie viel Geld du am Ende rechnen kannst", sagt Robinson.

Diese Erfahrung hat auch Tyler Hofmann gemacht. Der 26-Jährige hat in den vergangenen fünf Jahren fünf verschiedene Filialleiter in seiner Starbucks-Filiale in Richmond, Virginia, erlebt. "Die Filialleiter können sich hier kleine Königreiche aufbauen. Sie vergeben willkürlich günstige Zeiten an ihre Liebkinder - ein Einfallstor für Diskriminierungen aller Art", sagt Hofmann. Die Situation sei oft existenzbedrohend, da wesentliche Vergünstigungen wie die Möglichkeit der betrieblichen Krankenversicherung von Mindeststunden abhängig seien.

Aushilfsjob auf Lebenszeit

Den Anstoß zur aktuellen Organisationswelle hat vor allem die Belastung während der Corona-Pandemie gegeben. "Wir hatten die ganze Zeit offen, aber es wurden uns nicht einmal Masken zur Verfügung gestellt. Dauernd gab es Ausfälle wegen Corona. Wir waren total unterbesetzt, aber das Getränkeangebot wurde erweitert und der Arbeitsaufwand mit Abholservices und Lieferdienst immer weiter erhöht", fasst Robinson die Arbeitssituation in Covid-Zeiten zusammen. "Wir mussten uns für ein lächerliches Gehalt der Gefahr aussetzen und haben Starbucks einen Rekordumsatz beschert. Das war einfach nicht fair."

Experten wie John Logan, der als Assistenzprofessor an der San Francisco State University lehrt, sehen noch zwei Faktoren für den aktuellen Schub, den diese Bewegung erfährt. Einerseits führe der Arbeitskräftemangel im Dienstleistungssektor dazu, dass das Risiko des Arbeitsplatzverlustes als weniger existenzbedrohend erlebt werde, sagt Logan. Andererseits setze sich in dieser Generation die Erkenntnis durch, dass derartige Jobs nicht für alle Personen nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu etwas Besserem seien, weshalb der Anspruch steige, davon auch leben zu können. Dazu komme ein allgemeiner politischer Anspruch.

Dem stimmt auch Robinson zu. "Ich wusste nichts über Gewerkschaften. Aber warum soll ein Arbeitsplatz ein Platz ohne Demokratie sein? Das Konzept Gewerkschaften hat mir da gleich gefallen", sagt sie. "Es verschafft uns Augenhöhe, obwohl sie reich sind und wir nicht."

Die gewerkschaftliche Organisation einer Filiale ähnelt dem Prozess einer Betriebsratsgründung. Zunächst müssen Unterstützungserklärungen gesammelt und an die staatliche Arbeitsbehörde übermittelt werden. Dann legt die Behörde einen Wahltermin fest. Spricht sich die Mehrheit der Angestellten in der Filiale für den Beitritt zu einer Gewerkschaft aus, gilt sie als gewerkschaftlich organisiert. Starbucks wäre damit verpflichtet, mit der Gewerkschaft Löhne und Arbeitsbedingungen kollektiv zu verhandeln.

Doch was auf dem Papier so einfach aussieht, ist in der Praxis oft schwer umzusetzen. Neben der Fluktuation und der Zerstreutheit der Belegschaft auf viele tausend Filialen versucht auch die Starbucks-Geschäftsführung alles, um den Prozess zu stören. Howard Schultz, der das Unternehmen einst entscheidend entwickelt hat und nun nicht zuletzt wegen der drohenden Gewerkschaftsbewegung als CEO zurück an die Spitze des Unternehmens geholt wurde, macht aus seiner Meinung über Gewerkschaften keinen Hehl. "Wir wollen keine dritte Partei, die das Verhältnis von uns zu unseren Partnern stört", betont er immer wieder gegenüber Medien und zuletzt auch im September auf der Hauptversammlung in Seattle. Schultz räumt zwar ein, dass es ein Recht auf gewerkschaftliche Organisation geben könne, allerdings nur dann, wenn Unternehmen die Arbeitnehmer ausbeuten würden. Das treffe heutzutage und vor allem bei Starbucks nicht mehr zu. Vielmehr sei die aktuelle Gewerkschaftsbewegung in den USA eine Bedrohung für das freie Unternehmertum.

Druck und Drohungen

Starbucks selbst bestreitet, "Union Busting" zu betreiben. Der Konzern gibt allerdings Millionen dafür aus, um die Gewerkschaftsbewegungen mit Hilfe mehrerer großer Rechtsanwaltskanzleien einzuhegen. Bei jedem Schritt der gewerkschaftlichen Organisierung wird dabei interveniert. Erfährt die Geschäftsführung von gewerkschaftlichen Aktivitäten in einer Filiale, werden hochrangige Manager geschickt, die Starbucks "Unterstützungsmanager" nennt.

"Als wir angekündigt haben, dass wir genug Unterschriften haben, lungerten plötzlich lauter ‚Unterstützungsmanager‘ im Geschäft herum. Mit mir haben sie gar nicht geredet, weil ich der Organisator war, aber die anderen haben erzählt, dass ihnen Angst gemacht wurde und gleichzeitig Vergünstigungen versprochen wurden, wenn sie mit ‚Nein‘ stimmen", erzählt Hofmann über die Anfänge der Bewegung in seiner Starbucks-Filiale. "Einem Kollegen mit Krebs haben sie gedroht, ihm die Stunden so zu streichen, dass er seine Krankenversicherung verliert."

Versuchen sich die Mitarbeiter einer Filiale zu organisieren, gibt es oft auch Versammlungen, bei denen sich Angestellte Vorträge über die Nachteile von Gewerkschaften anhören müssen. "Dort werden gezielt Falschinformationen gestreut, etwa über die Höhe der Gewerkschaftsbeiträge", erklärt Gewerkschafterin Hess. Starbucks spricht dagegen von "objektiver Information".

In der Zeit vor der Abstimmung werden oft auch neue Mitarbeiter eingestellt, in der Hoffnung, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Mitunter werden auch ganze Filialen geschlossen oder die Organisatoren unter diversen Vorwänden entlassen. So erging es Hofmann. "Ich habe fünf Jahre lang ohne jede Beanstandung Vollzeit dort gearbeitet. Aber nach der Gewerkschaftsgründung wurde ich plötzlich dauernd verwarnt. Alles wurde beanstandet: meine Kleidung, mein Kontakt mit den Kunden, lauter Dinge, die bis dahin offenbar völlig in Ordnung waren."

In Memphis mussten im September sieben Baristas wieder eingestellt werden, nachdem ein Gericht in einem aufsehenerregenden Urteil darin gewerkschaftsfeindliche Motivkündigungen erkannt hatte. Hofmann hingegen wartet noch auf den Ausgang seines Verfahrens. "Meine Filiale hat trotz meiner Kündigung knapp, aber doch für die Gewerkschaftsgründung gestimmt", erzählt er stolz.

Die Zustimmung steigt

Derzeit laufen bei der Arbeitsbehörde mehr als 200 Verfahren. Zwischenzeitig hat sich die Starbucks-Geschäftsführung darauf verlegt, Angestellten von nicht organisierten Filialen Vergünstigungen und Lohnerhöhungen zu gewähren, die den organisierten Filialen vorenthalten bleiben. "Arbeitsbedingungen mit organisierten Filialen müssen mit der Gewerkschaft ausverhandelt werden. Leider können wir sie nicht einseitig gewähren", heißt es in einem Statement von Starbucks.

Gleichzeitig werden Vertragsverhandlungen mit organisierten Filialen hinausgezögert. Dadurch herrschen dort oft schlechtere Bedingungen. Ein Jahr nach einer Abstimmung kann in einer Filiale erneut abgestimmt werden. Bis dahin, so vermutet die Gewerkschaft, sollen Fluktuation und Frustration dafür sorgen, dass Filialen wieder gewerkschaftsfrei werden. Ob diese Taktik erfolgreich sein wird, ist unklar.

"Das ‚Union Busting‘ motiviert sogar einige Mitarbeiter, die das Unternehmen jetzt erst recht nicht damit durchkommen lassen wollen", meint Robinson. Auch die allgemeine Zustimmungsrate zu Gewerkschaften ist in den USA mit 71 Prozent so hoch wie seit den 1960ern nicht mehr. Neben der Bewegung bei Starbucks haben auch jene bei anderen Konzernriesen wie Amazon, Apple und Trader Joe’s dazu beigetragen.

Wie lange sich eine Bewegung ohne konkrete Verbesserungen aufrechterhalten lässt, bleibt freilich ungewiss. "Hier ist auch die Politik nach den Midterm-Wahlen Anfang November gefragt, die Einhaltung der Gesetze zu forcieren", sagt Gewerkschafterin Hess. Sie sieht allerdings auch bei einem Scheitern der Bewegung schon jetzt einen historischen Fortschritt: "In meiner 35-jährigen Arbeit für die Gewerkschaften hätte ich mir eine solche Bewegung niemals erträumt. Diese Kids, diese Generation lässt mich endlich wieder hoffnungsvoll in die Zukunft blicken."