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Das Bauchgefühl eint Mensch und Maschine

Von Gregor Kucera

Wirtschaft
Die Bilder wurden von der Künstlichen-Intelligenz-Anwendung DALL-E2 erstellt. Illustrationen: DALL-E2
© Illustrationen: DALL-E2

Die Intuition sei jene Fähigkeit des Menschen, die Künstliche Intelligenz nicht einfach kopieren könne, heißt es. Doch wenn man es genauer betrachtet, kann eine Maschine auch nicht erklären, warum eine Entscheidung getroffen wurde.


Nun soll es also so weit sein: Künstliche Intelligenz (KI) wird die Welt verändern. Disruptive Prozesse werden kommen und in (fast) allen Bereichen des Lebens Einzug halten. Nein, wir schreiben nicht das Jahr 1941, genauer gesagt den 12. Mai vor bald 82 Jahren, als Konrad Zuse den ersten programmierbaren Computer der Welt vor, den Zuse Z3, vorstellte. Oder das Jahr 2000, als das papierlose Büro schon da war und dann wieder verschwand, oder der Millennium-Bug (zu Deutsch "Millennium-Fehler") oder auch Y2K-Bug die Leben auf der Welt bedrohte. Aber gut Dinge braucht eben seine Weile und nun ist diese Weile vorbei und nun geht es los. Und ja, es scheint tatsächlich der Anfang gemacht, denn nun fließt auch bereitwillig Geld und große Konzerne wittern bereits das noch größere Geschäft. Doch wie wird Künstliche Intelligenz das Leben verändern und wie sieht es mit den Herausforderungen und den Gefahren aus?

Jobverluste und neue Arbeit

Es gab einmal eine Zeit, da sprach man stets von der Supermarktkassiererin, die durch Digitalisierung und Automatisierung bald ohne Job dastehen würde. Tatsächlich starb der Beruf der Drucker und Setzer durch den Einsatz von Computer schon viel früher aus - oder er wandelte sich dramatisch, wie man es sehen will. Auch jetzt scheint nicht klar, welche Berufe und Abläufe durch Künstliche Intelligenz dem größten Wandel ausgesetzt sein werden. Und selbstverständlich schafft die neue Technologie auch neue Jobs, keine Frage. Es sollte aber menschlich daher eher das Thema sein, wie eine Gesellschaft mit Arbeitslosigkeit umgeht, als mit den Menschen, die ohnehin weiterhin uneingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.

Programme, wie ChatGPT oder DALL-E, beide entwickelt vom US-amerikanische Unternehmen Open AI, sind gerade in aller Munde und setzen dazu an, das Verständnis von kreativer Arbeit in Schrift und Malerei einem breiten Diskurs zu unterziehen. ChatGPT ist der Prototyp eines Chatbots, also eines textbasierten Dialogsystems als Benutzerschnittstelle, der auf maschinellem Lernen beruht. Anwender geben Stichworte ein und erhalten einen fertigen Text. Schreibende Berufe und auch das Bildungssystem sehen darin eine Herausforderung, die allerdings durch neue (menschliche) Ideen wohl noch zu bewältigen ist. Denn die Texte, die das Programm aktuell auswirft, sind eher mit einer sehr nüchternen, sehr einfachen Zusammenfassung lexikalischer Inhalte zu beschreiben. Fragen sie das Programm, nach Trump und Putin, so antwortet es etwa, dass beide ehemalige Politiker wären (wenn es dann nur mehr um Details zu Putin geht, wird er dann schon als amtierend angeführt), die man nicht vergleichen könne, aber vielleicht doch hin und wieder in manchen Aspekten und auch wieder gar nicht. Meinung ist es nicht, was die Chat-Bots haben sollen. Das ist ja auch durchaus gut so.

Warum aber sollte dann ein Konzern wie Microsoft Milliarden für eine Beteiligung an OpenAI ausgeben? Wenn man sich mit ChatGPT beschäftigt, so ist es jetzt schon möglich, dass das Tool durchaus beeindruckende Inhalte auswirft. Ein Essay wie Shakespeare für den Social Media-Auftritt, einen Artikel zum Recycling oder auch gleich Uni-Prüfungen. Kürzlich hat das Programm sogar die Abschlussprüfung im Fach Business Administration an der Wharton Universität in Pennsylvania bestanden. Der prüfende Professor Christian Terwiesch zeigte sich begeistert von den Fähigkeiten der KI. So waren die Antworten von ChatGPT kaum von menschlichen zu unterscheiden und veränderten sich je nach Input des Fragestellers. Nachhilfe braucht der Bot allerdings noch in Mathematik, insbesondere Stochastik, so der Professor. Bei manchen Berechnungen liegt die KI laut Terwiesch noch hinter dem Niveau der sechsten Klasse. Diese Beispiele zeigen folgendes - die Menschen müssen neue Kompetenzen erwerben, um die KI wirklich sinnvoll einzusetzen. Man muss sich vom Bild des "dummen Blechtrottels" lösen und Chancen ergreifen. Und, das ist wohl noch wichtiger, es bedarf auch einer Änderung im Umgang mit Mitarbeitern. Digitalisierung muss unterstützen, nicht ersetzen.

DALL-E wiederum erstellt aus Textbeschreibungen Bilder. Der Name bildet ein Kofferwort aus dem kleinen animierten Roboter Wall-E aus dem gleichnamigen Film und dem spanischen Surrealisten Salvador Dalí. Die Ergebnisse können sich durchaus sehen lassen - wie etwa auch hier die Bebilderung dieses Artikels. Wird somit aber auch jeder Mensch der zumindest drei Worte richtig schreiben kann, zum Künstler? Werden nun Journalisten und Autorinnen, Malerinnen und Grafiker arbeitslos? Auch wenn es so manche Regierung oder auch Geschäftsführer freuen würde, dem ist nicht so - noch nicht. Und darin liegt auch nicht das große Geld. Derzeit wird eher darüber diskutiert und geklagt, ob die Unternehmen Urheberrechtsverletzungen begangen haben, als sie geschützte Werke digital erfasst und verwertet haben, um ihre Programme zu trainieren. Immerhin muss eine Maschine mal mit Gustav-Klimt-Bildern gefüttert werden, um Klimt imitieren zu können.

Das Geld, das man mit Künstlicher Intelligenz verdienen kann, findet sich in anderen Bereichen - man könnte überspitzt wieder einem die überstrapazierten Worte Pharma, Porno und Waffen hernehmen, aber nicht nur diese. Maschinell erstelle Sexvideos, automatisierte Diagnosen in der Krebstherapie, Computerprogramme, die Nebenwirkungen errechnen und Tierversuche obsolet machen oder automatisierte Killer-Drohnen. Dies verspricht Geld. Die großen IT-Konzerne wiederum träumen vom Ende der Call-Center und dem KI-Fragenbeantworter.

Drücken Sie eine Taste

Wer kennt es nicht, den lästigen Kunden, der sich aktuell durch Chat-Bot-Fragen oder "Wenn ja, dann drücken Sie die Taste 7"-Ansagen quälen müssen. "Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie wissen wollen..." - Nein, das andere wollte man wissen. Also nochmal. Deutlicher. Man muss erraten, wie es die Maschine gerne hätte. Genau das sollte es ja eben nicht sein. Die Maschine sollte raten und verstehen und wissen und unterstützen. Wie fein, wäre eine Maschine, die Probleme versteht und lösen kann. Wer schon einmal das Vergnügen hatte, aktuelle Bots am Telefon zu haben, sehnt sich ebenso danach - obwohl nein, eigentlich will man derzeit lieber wieder echte Menschen. Das ist ein anderes Thema.

Sprach- und Schrifterkennung in Echtzeit ist aber aktuell auch ein Thema. In sein Mobiltelefon in seiner eigenen Muttersprache sprechen und in Echtzeit bekommt das Kiswahili-sprechende Gegenüber seine passende Übersetzung und vice versa. KI als Richter - einfache Regeln, ein Gesetzbuch, klare An- und Aussagen und fertig ist das faire und gerechte Urteil. Rechnungswesen und Buchhaltung ein Spaß für die Maschine. Alles möglich. Das große Problem liegt aber wieder einmal am Menschen. Wie kann man Künstliche Intelligenz so programmieren, dass sie alle Menschen gleichbehandelt und dann auch noch nach Möglichkeit gut. KI entscheidet aufgrund der Daten, mit denen sie gefüttert wird. Sind diese falsch, ist das System zum Scheitern verurteilt. Wer Menschen durch gefälschte Videos mit gefährlichen Botschaften in die Irre locken will, der kann dies derzeit tun. Es ist ja nicht so, dass dies nicht schon passiert wäre. Falsche Worte in den Mund legen in digitalen Zeiten. Der Maschine ist es egal, ob es eine Rede eines Politikers, ein Animationsfilm oder ein Porno ist. Alles möglich und alles machbar.

Wenn weiße Männer, egal welchen Alters - es ist lediglich ein schnelles Beispiel -, die weder Diversität kennen oder entsprechende Ausbildungen haben, eine KI programmieren würden, die die - möglicherweise tödlichen - Nebenwirkungen von Medikamenten für Frauen aus dem asiatischen Raum simulieren und erkennen sollte, dann könnte dies ein relevantes Problem sein. Nicht, dass dies nicht schon ohne Maschinen und Algorithmen bislang ein Problem gewesen wäre und ist. Aber aller Hass und alle Vorurteile lassen sich durch KI maschinell potenzieren.

Hilfsmittel und Weggefährte

Viele sehen KI als Hilfsmittel für die menschliche Intelligenz, nicht als Ersatz. Um im KI-Zeitalter einen Schritt voraus zu sein, müssen Fachleute lernen, menschliches und maschinelles Denken in Einklang zu bringen. Organisationen müssen ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, die richtigen Informationen zur richtigen Zeit zu verwenden und Maßnahmen zu ergreifen. Es geht darum, ihren Instinkt zu nutzen, um Daten zu nutzen und diese Informationen in zeitnahe Geschäftsentscheidungen umzuwandeln. KI ist noch nicht bereit, das menschliche Gehirn zu ersetzen, aber sie ist zu einem effektiven Mitarbeiter gereift. Und auch wenn das ganz große Ziel mancher "großer Denker der IT-Welt" die Schaffung der Untersterblichkeit ist - zumindest wenn man sein eigenes Gehirn in einer Maschine ewig weiterleben lässt -, es bleibt mehr als fraglich, ob das jemals passieren wird.

Die wichtige Frage ist: Kann menschliche Intelligenz mit KI kombiniert werden, um etwas zu produzieren, was Experten erweiterte Intelligenz nennen? Augmented Intelligence ist kollaborativ und stellt gleichzeitig eine kollaborative Anstrengung im Dienste der Menschheit dar. Und können es gesellschaftliche Strukturen schaffen, eine solidarische Koexistenz zu ermöglichen und sich entsprechend wandeln.

Oder wie meinte der Wissenschafter Stephen Hawking: "Der Erfolg bei der Schaffung einer effektiven künstlichen Intelligenz könnte das größte Ereignis in der Geschichte unserer Zivilisation sein. Oder das schlimmste. Wir können also nicht wissen, ob uns die KI unendlich helfen wird oder ob wir von ihr ignoriert und an den Rand gedrängt oder möglicherweise von ihr zerstört werden."

Was sich immerhin nachweislich wandelt, ist die Skepsis gegenüber der Technik. Natürlich gibt es schon heute ältere Menschen, die kein Problem mit Pflegerobotern hätten, aber für deren Enkel wird es möglicherweise schon selbstverständlich sein. Nicht nur die Maschinen müssen lernen, auch die Menschen. Und da vielfach schon an der zwischenmenschlichen Kommunikation wahrhaft grandios gescheitert wird, ist dies eine große Herausforderung. Nichtsdestotrotz ist es wert, den Weg zu beschreiten. Keine Angst vor dem Digitalen und dem Neuen, egal ob Mensch oder Maschine.

Alle Versuche, in den sozialen Netzwerken eine Maschine menschlich kommunizieren und antworten zu lassen, mündeten in ein Desaster. Und, auch das ist wichtig festzuhalten, nicht, dass dies immer absichtlich oder vorsätzlich passiert wäre. Denkt man immer nach, bevor man redet? Überlegt man, wägt ab und ist respektvoll? Eben. Es passiert dem Menschen, dann kann es der Maschine erst recht passieren. Wie also kann man Menschen dazu bringen, die Maschinen auch wirklich zum Wohle aller Menschen einzusetzen?

Für die Maschine wäre es kein Problem. Und am Ende verbindet beide Seiten ja das Bauchgefühl. Auch eine Maschine kann nicht sagen, warum sie eine komplexere Entscheidung traf. Sie verknüpft Inhalte. Woher diese Inhalte kamen, wer also Urheber war, und zwar ganz am Anfang, das weiß die KI genauso wenig wie der Mensch, der aus dem Bauch heraus handelt. Einem Schachcomputer ist die Urheberschaft genauso egal wie seinem menschlichen Gegner. Der Zug wird gemacht. Und solange es ein Spiel ist, ist Alles relativ unproblematisch, aber im echten Leben muss man die Regeln und Gesetze, die Haltungen und Algorithmen, vorab diskutieren, transparent machen und verbriefen, sonst wird es schwer, das Zusammenleben mit klügeren, maschinellen Gegenübern.