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Schuldenkrise lässt Tabus in Europa wackeln

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Wirtschaft

Schuldenschnitt für Griechenland wird geprüft. | Mehr Gewicht für Euro-Rettungsschirm.


Brüssel. Bloß mit einem zweiten Hilfspaket für Griechenland ist die Schuldenkrise in der Eurozone offensichtlich nicht mehr einzufangen. Daher haben die Euro-Finanzminister am Dienstag sinngemäß beschlossen, dass zur Rettung des griechischen Patienten noch tiefer in die Trickkiste gegriffen werden muss als bisher angenommen. Ohne Tabus sollen alle Optionen für die Stabilisierung der Eurozone geprüft werden. Ein teilweiser Zahlungsausfall griechischer Staatsanleihen und damit ein Schuldenschnitt standen plötzlich ebenso als mögliche Auswege im Raum wie verstärkter Einsatz des Eurorettungsschirms „European Financial Stability Facility” (EFSF).

Dass aber bloß eine Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, um progressivere Rettungsmaßnahmen als bisher auszuarbeiten, kam bei den Märkten nicht besonders gut an. Auch dass die konkreten Vorschläge „in Kürze” vorgelegt werden sollten, ließ Interpretationsspielraum offen. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble meinte, das Hilfspaket müsse „spätestens in der zweiten Augusthälfte” beschlossen werden. Die österreichische Ressortchefin Maria Fekter sprach von „Anfang September”. Der Eurokurs war angesichts der eher noch gestiegenen Unsicherheit über die Rettungsbemühungen der Eurominister vorübergehend auf ein Viermonatstief von deutlich unter 1,40 Dollar pro Euro gefallen. Erst als Gerüchte über ein neuerliches rasches Sondertreffen der Finanzminister und womöglich sogar der Staats- und Regierungschefs die Runde machten, erholte sich die europäische Gemeinschaftswährung wieder etwas.

Beteiligung schwierig

Denn Einigkeit herrschte bloß darüber, dass die Beteiligung der Banken (des Privatsektors) am neuen griechischen Hilfspaket extrem schwierig zu bewerkstelligen ist. Weil die Rettungspakete sonst daheim nicht mehr durchsetzbar wären, ist sie für Deutschland, Österreich, die Niederlande und Finnland aber Pflicht. Zudem öffnen die Beschlüsse der Minister die Tür einen Spalt weit für den Aufkauf von griechischen Ramschanleihen zum Marktpreis oder leicht darüber durch den EFSF. Das hätte de facto einen teilweisen Ausfall der griechischen Schuldverschreibungen zur Folge, weil die derzeitigen Inhaber der Papiere deutlich weniger dafür bekommen würden, als bei der Ausgabe erwartet. Denn fünf- und zehnjährige griechische Staatsanleihen notierten am Dienstagnachmittag um die 50 Prozent ihrer Ausgabekurse. Im Gegenzug für den Schuldenschnitt erhielten die bisherigen Gläubiger erstklassige EFSF-Papiere mit Triple-A-Rating im Umfang des reduzierten Betrags von beispielsweise 60 Prozent der ursprünglichen Forderung.

Viele offene Fragen

Nachteil dieser Option ist freilich eine sofortige Abstufung Griechenlands durch die Ratingagenturen auf „Selective Default” (SD/
„Teilweiser Ausfall”). Den hatten die Finanzminister bisher unbedingt verhindern wollen. Laut den Beschlüssen vom Dienstag ist nur noch die Europäische Zentralbank (EZB), die eine Ansteckung auf andere Euroländer befürchtet, gegen die Ausfall-Option. Auch wären griechische Banken unmittelbar vom frischen Geld der EZB abgeschnitten, die Anleihen eines SD-Landes nicht mehr als Sicherheit annehmen dürfte. Um einen Crash des griechischen Bankensystems und die Ansteckung zu vermeiden, müsste die SD-Bewertung so kurz wie möglich gehalten werden, orakelte ein Experte - womöglich nur ein paar Stunden.

Ob diese Variante am Ende Teil der Lösung sein wird, ist noch offen. Sicher sei nur, es werde keine einfache Lösung geben, wie es hieß. Der niederländische Finanzminister Jan Kees de Jager meinte, ein teilweiser Zahlungsausfall Griechenlands sei „nicht mehr ausgeschlossen”. Fekter sagte, er solle „tunlichst vermieden” werden, das Risiko bestehe aber. Das Ergebnis der Arbeitsgruppe könne nicht vorweggenommen werden. Alle Modelle der Privatsektorbeteiligung sollten geprüft werden, sagte Schäuble.