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"Deutsche Arbeitsmoral" - doch kein leuchtendes Vorbild für Griechenland

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Dieser Schuss ging nach hinten los: "Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig", hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel Ende Mai in Richtung Spanien, Portugal und vor allem Griechenland gewettert. Damals hatten die Verhandlungen über neue Hilfen für das überschuldete Land eben erst begonnen.

Die Intention war klar: Merkel wollte sich ihren Wählern als Vorkämpferin vermeintlich deutscher Tugenden präsentieren: Härter arbeiten als andere, später in Pension gehen, weniger Urlaub machen - wie sonst ließen sich die Exporterfolge deutscher Unternehmen und die Schwäche der südeuropäischen Ökonomien erklären?

Da Fleiß und Schweiß, dort Faulheit und Schlendrian: Ein gängiges Klischee, das aber durch Fakten nicht gedeckt ist. Die Griechen machen nicht mehr Urlaub als die Deutschen (oder Österreicher), sondern weniger.

Die OECD führt die griechischen Arbeiter mit durchschnittlich 2119 Arbeitsstunden pro Jahr und Person. Nur die Koreaner arbeiten unter 33 Nationen mehr. Österreich käme (die Zahlen stammen aus 2009) mit 1621 Stunden auf Platz 27 und die Deutschen belegen mit 1390 Arbeitsstunden gar nur den vorletzten Platz vor den Niederlanden.

Wie das? Deutschland, Niederlande, Österreich: ausgerechnet drei der produktivsten Volkswirtschaften sind bei der Arbeitsleistung weit hinten? Immerhin steht außer Zweifel, dass die Wettbewerbsfähigkeit zwischen dem starken Norden und schwachen Süden eklatant auseinanderklafft.

Zeitbombe Pensionen

Das hohe Maß an Überstunden in Österreich und Deutschland, die bei den OECD-Zahlen nicht vergleichbar einfließen, sind nicht die einzige Erklärung. Denn die Gleichung längeres Arbeiten, höhere Wirtschaftsleistung stimmt nur bedingt. "Die südeuropäischen Volkswirtschaften sind äußerst ineffizient", erklärt Gerhard Rünstler vom Wirtschaftsforschungsinstitut. Die Hauptgründe für die hohe Produktivität Deutschlands seien die moderne Technologie, der hohe Kapitalstock pro Arbeiter sowie die effiziente Organisation.

In Griechenland fehlen diese Voraussetzungen, dafür gibt es zu viele staatliche oder staatsnahe Unternehmen mit viel zu vielen Beschäftigten. Der Währungsfonds fordert nicht von ungefähr Privatisierungen: Damit sollen nicht nur Einnahmen lukriert, sondern auch diese Missstände beseitigt werden.

Dass die Griechen früher in Pension gehen, ist mit Zahlen ebenfalls nicht belegbar. Österreichs Männer verabschieden sich mit 58,9 Jahren in den Ruhestand, die Griechen mit 61,9 - fast zeitgleich mit den Deutschen (61,8 Jahre). Dennoch tickt für die Griechen wegen zu großzügiger Regeln eine Zeitbombe: "Das Pensionssystem ist das am gröbsten unterfinanzierte in Europa", sagt Rünstler.