Zum Hauptinhalt springen

Keine Extrawurst für Diabetiker

Von Claudia Peintner

Wirtschaft
Von der Milka-Schokolade bis zur Mannerschnitte, in fast jedem größeren Supermarkt findet sich ein Regal mit gekennzeichneten Diabetiker-Produkten.

Deutschland verbietet Diabetiker-Ware ab 2012 - Sortiment in Österreich schrumpft.


Wien. Begonnnen hat alles mit einer heftigen Verkühlung, starkem Durst und trockener Haut. Der Wiener Sebastian F. leidet seit 14 Jahren an Diabetes. Er muss Insulin spritzen und sollte Süßes nur in Maßen zu sich nehmen. "Im Supermarkt kaufe ich schon regelmäßig Diät-Limonaden oder Aufstriche und Marmeladen für Diabetiker", erzählt der 29-Jährige. Diät-Schnitten oder Diät-Schokolade konsumiert er nicht. Wenn genascht wird, dann normale Kekse oder ein Eis.

Ärzte und Ernährungswissenschaftler setzen sich schon seit Jahren dafür ein, den Ausdruck "Diabetiker-Produkte" aus den Supermarktregalen zu verbannen: Das Problem: "Diabetiker-Lebensmittel werden als Freibrief zum Naschen gesehen - dabei sind sie ungesünder als herkömmliche Süßigkeiten", sagt Birgit Beck, Ernährungswissenschafterin beim VKI (Verein für Konsumenteninformation). Sie enthalten oft mehr Fett und Kalorien.

Für Zuckerkranke ist das nicht unproblematisch. Denn Diabetes wird heute nicht mehr nur als Störung des Zuckerstoffwechsels gesehen, auch der Fett- und Eiweißstoffwechsel sind beeinträchtigt. "Vor allem Typ2-Diabetiker sollten Fett reduzieren. Das schaffen sie nicht, wenn sie kalorienreiche Diät-Süßigkeiten essen", sagt Beck.

Fructose macht fett

Tatsächlich wird bei Diabetiker-Lebensmitteln herkömmlicher Zucker (Saccharose) oft durch Fruchtzucker (Fructose) ersetzt. Experten, wie auch Bernhard Ludvik, Facharzt für Stoffwechselerkrankungen am Wiener AKH, weisen darauf hin, dass die verstärkte Aufnahme von Fructose über industriell gefertigte Lebensmittel Fettleibigkeit fördert.

Schätzungen zufolge gibt es in Österreich 400.000 bis 500.000 Diabetiker. Die Ansicht, dass zuckerkranke Menschen bei der Ernährung auf Industriezucker verzichten müssen, gilt mittlerweile als überholt. "Bis zu zehn Prozent des täglichen Kalorienbedarfs darf Zucker in verpackter Form zu sich genommen werden, etwa durch Mehlspeisen oder Schokolade", sagt Ludvik. Statt Limonade mit Zuckerersatz sollte man ungesüßten Tee oder verdünnten Fruchtsaft trinken. Weiters eignen sich für Diabetiker Kohlenhydrate, die langsam absorbiert werden - sprich verhindern, dass der Blutzucker rasch hochsteigt, wie etwa Vollkornprodukte.

Spar gab Diabetiker-Idee auf

Viele Diabetiker-Waren in österreichischen Supermärkten kommen aus Deutschland. Die Regierung beschloss dort im Oktober 2010 im Zuge einer Änderung der Diätverordnung die Streichung der spezifischen Anforderungen an Diabetiker-Lebensmittel.

Konkret heißt das: Bis spätestens Oktober 2012 müssen die Hersteller von Diabetiker-Kost nicht nur bei bestimmten Produkten die Rezepturen ändern, sondern auch ihre Hinweise auf den Verpackungen. Viele Experten werten dies als endgültiges Aus von Diabetiker-Ware im Regal.

Die Firma Schneekoppe hat im Zuge der neuen Rechtsvorschriften eine Sortimentsstraffung vorgenommen. Der Handel habe in Deutschland auf die Neuregelung "mit Auslistungen und vielfach mit Auflösung des Diätregals reagiert", heißt es. Schokoladen sei etwa nur noch in ausgesuchten Geschäften zu erhalten.

Die Sortimentsreduktion wirkt sich auch auf das österreichische Angebot aus. Von einem rechtlichen Verbot ist man hierzulande jedoch wieder weit weggerückt. Vor einem Jahr hieß es noch vom Gesundheitsministerium: Man ist mit der "Abschaffung dieser Lebensmittel einverstanden." Es werde jedoch ein "gemeinsames Vorgehen mit Brüssel" gewünscht und daher auf "eine entsprechende EU-Richtlinie" gewartet.

Diese hat die EU mittlerweile verworfen. Und im Gesundheitsministerium gibt man sich damit zufrieden, dass seit Mitte Dezember ohnehin eine neue EU-Verbraucherinformationsverordnung gilt. Kalorien- und Nährwertangaben sind nun für alle Produkte verpflichtend.

Für die heimischen Supermarktketten haben Diabetiker-Produkte keine besonders hohe Umsatzbedeutung, sagt Spar-Sprecherin Nicole Berkmann. Aber sie würden im gut sortierten Lebensmittelhandel einfach dazugehören, weil es Kunden gibt, die aktiv danach suchen.

Dass hinter den Produkten ein Aberglaube verpackt ist, hat mittlerweile auch der Handel erkannt. Spar sehe die Produktgruppe sehr kritisch, so Berkmann. Ein Erfahrungsbericht des Unternehmens: Spar wollte ursprünglich eine eigene Diabetiker-Linie auf den Markt bringen. Ein wissenschaftlicher Beirat bestehend aus Ärzten riet dem Unternehmen jedoch davon ab: Die Produkte seien kontraproduktiv. Diabetiker sollten besser ihre Ernährung umstellen.