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An den Haaren herbeigezogen

Von Barbara Ottawa

Wirtschaft

Firmen aus der Investmentindustrie glauben, ihre Branche verteidigen zu müssen - manchmal mit sehr eigentümlichen Argumenten.


Gehen wir einmal davon aus, dass der Kapitalmarkt notwendig ist. Eine Diskussion dieser Annahme würde philosophische Ausmaße erreichen und den Rahmen dieser Kolumne sprengen. Das derzeit in einem Großteil der Welt vorherrschende Wirtschaftssystem basiert auf der Möglichkeit, am sogenannten "Markt" Geld zu handeln, aufzutreiben und auch zu verlieren.

Eigentlich nicht erst seit der jüngsten Finanzkrise, aber heute in verstärktem Maße, werden Marktverwerfungen auf das Verhalten von Marktteilnehmern, den "Spekulanten", zurückgeführt.

Diesen wird vorgeworfen, durch Preistreiberei "Blasen" erzeugt zu haben, also unrealistische Preisniveaus, die praktisch nur mit Luft oder besser gesagt Annahmen, also Spekulationen, gefüllt, leicht platzen können.

Ähnlich wie die als "Heuschrecken" beschimpften Private-Equity-Investoren, das sind Geldgeber für Unternehmen abseits der Börse, sehen sich "Spekulanten" immer mehr dazu genötigt, ihre Vorgehensweise zu verteidigen.

Der Markt brauche Investoren, die sich trauen, ein Risiko einzugehen, um sich selbst regulieren zu können, sagen die einen. Kritiker haben jedoch längst aufgehört, an die Theorie des selbst regulierenden Marktes zu glauben, oder haben das nie getan.

Die große Frage ist, wo der "normale" Investor endet und der Spekulant beginnt: Beide versuchen, Schwächen im Markt zu nützen, um ihre Rendite zu steigern. Manche kreieren mit ihrer Vorgehensweise solche Markt-Ineffizienzen, die andere Investoren mitreißen können.

Und deshalb ist der Vergleich zwischen Spekulationen eines Spielers im Fußball und jenen am Kapitalmarkt, wie er von einem Finanzunternehmen jüngst getätigt wurde, unzulässig.

Die Schweizer Investmentberatung Siglo zitierte in ihrem Newsletter Fernseh-Sportkommentare wie "Federer antizipiert den Stoppball, Djokovic spekuliert auf den Passierball ...". Solche Spekulationen würden von den Zuschauern "bewundert", während jene am Kapitalmarkt "verpönt" seien.

"Anstatt über die Spekulanten zu urteilen, sollten wir uns über sie freuen, da sie neue Informationen über Anlagen in den Markt tragen, Liquidität zur Verfügung stellen und dabei meist Risiken eingehen", fordert Siglo auf.

Bis zu einem gewissen Grad mag das stimmen, aber gerade wenn diese "Informationen" zu einer Panik an den Märkten führen oder zu irrationalem Verhalten, spätestens dann sind die Auswirkungen einer Spekulation an den Märkten wesentlich weitreichender als die bei einem Fußballspiel.

Ob hier strengere Regeln helfen, ist eine weitere philosophische Frage. Wichtig wäre aber, dass sich Anleger der möglichen Auswirkungen ihrer Handlungen bewusster werden, und zwar auch über einen längerfristigen Zeitraum. Wenn die Wirtschaft einen Kapitalmarkt braucht, dann einen stabileren, als sie ihn derzeit vorfindet.

Barbara Ottawa ist freie Journalistin und berichtet vorwiegend über Investitionen und Pensionskassen.