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"Angelsächsisches Modell ist nicht diskreditiert"

Von Alexander U. Mathé

Wirtschaft
Susan Jane le Jeune d’Allegeershecque, zuvor Personalchefin im Außenamt in London, seit September Botschafterin in Wien.
© A. Göd

Britische Botschafterin im Interview mit der "Wiener Zeitung".


"Wiener Zeitung":Österreich ist gegenüber Großbritannien am anderen Ende des politischen Spektrums angesiedelt und will gemeinsam mit Deutschland und Frankreich eine Finanztransaktionssteuer durchsetzen. Im angelsächsischen Kapitalismus ist ein Schuldiger für die Krise gefunden. Wie sieht man das in London?Susan le Jeune:Letzteres ist ein Gefühl, das auch von manchen in Großbritannien geteilt wird. Das Modell ist allerdings nicht komplett diskreditiert, auch wenn bestimmte Aspekte nachweislich nicht besonders hilfreich für eine starke Wirtschaft waren. Probleme wurden dort ausgemerzt, wo es sie gegeben hat. Der Liikanen-Report der EU-Kommission deckt sich mit den Ergebnissen unseres eigenen Komitees: Privatkundenbanken und Investmentbanken müssen getrennt werden, so, dass Privatkunden nicht dem wesentlich höheren Risiko der Investmentbank ausgesetzt sind. Auch beim Referenzzinssatz im Interbankengeschäft, dem skandalbelasteten weil manipulierten Libor, wird die britische Regierung eingreifen. Also: Immer wenn uns etwas Schädliches aufgefallen ist, haben wir schnell gehandelt. Es wäre weit hergeholt, das Modell als Ganzes abzuschreiben. Was die Finanztransaktionssteuer betrifft, stimmen wir tatsächlich nicht überein, aber das ist nur ein kleiner Teil unserer Beziehungen zu Österreich. In anderen Angelegenheiten gehen wir sehr konform, etwa bei der Haushaltsdisziplin und der Notwendigkeit einer Bankenunion.

Fühlt sich Großbritannien als Sündenbock in Europa? Steht es davor, sich weiter zu isolieren, immerhin wird ja darüber diskutiert, das Volk über künftige EU-Entscheidungen abstimmen zu lassen. Vielleicht steht ja sogar ein EU-Austritt im Raum?

Ich glaube nicht, dass Großbritannien die EU verlassen würde. Wir haben ein Gesetz, dem zufolge das britische Volk die Möglichkeit hat, über jeglichen weiteren Kompetenztransfer von London nach Brüssel abzustimmen. Dazu ist es bisher noch nicht gekommen und dazu wird es voraussichtlich auch in Zukunft nicht kommen. Auch wenn manche Politiker ein Referendum über den Verbleib in der EU ansprechen, herrscht im Land grundsätzlich nicht eine Stimmung, in der ein Austritt aus der EU infrage käme. Unsere Regierung ist der Überzeugung, dass unser Platz in Europa ist. Aber die EU ist auch eine flexible Organisation. Es gibt unterschiedliche Gruppen innerhalb der EU - etwa die Schengen-Gruppe, der wir nicht angehören - und das funktioniert gut.

Dabei hat doch Kommissionspräsident Barroso erklärt, die EU föderaler machen zu wollen. Das wird Sie nicht begeistern?

Das ist nicht das Modell, das wir favorisieren würden, aber wir haben volles Verständnis dafür, dass das die Länder der Eurozone anstreben. Wenn man die wirtschaftliche Seite betrachtet, so ist es der absolut richtige Weg, um die Eurozone zu stärken.