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Lokal saufen: Zum Wohl des Kiez

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Ein Schluck für das Integrationstheater, einer für den "Kotti".


Berlin. Fast nirgendwo in Europa wird so viel Bier pro Kopf getrunken wie in Deutschland. Doch der Bierdurst kommt nicht mehr den lokalen Brauereien zugute, sondern fließt zumeist in die Headquarter der internationalen Großkonzerne.

Wer Beck’s, Löwenbräu oder Franziskaner trinkt, hilft etwa Anheuser-Busch Inbev mit Sitz im belgischen Löwen, notiert an der Brüsseler Euronext-Börse.

Wer Paulaner trinkt, lässt für den niederländischen Heineken-Konzern die Kassen klingeln (zu dem auch die österreichische Brau-Union gehört). Der Trinker des Hamburger Traditionsbiers Astra hilft wiederum der dänischen Carlsberg-Konkurrenz. Doch wer ein Quartiermeister-Bier trinkt, hilft sich selbst - beziehungsweise seinem Viertel.

Erdacht wurde der Quartiermeister von Sebastian Jakob, damals Jura-Student in Berlin. Das Bier, dessen Gewinn im Viertel - oder Quartier - ausgeschüttet wird, ging im Frühherbst 2010 an den Markt in Berlin. Die Idee: Das Bier wird von einer lokalen Brauerei zugekauft, das Quartiermeister-Team kümmert sich um das Marketing und den Vertrieb in Berlin. Und über den Gewinn entscheidet weder der inzwischen gegründete Verein noch die Geschäftsführung - nicht einmal die Konsumenten, sondern die User im Netz.

Internet-Community entscheidet über Gewinn

Vier Mal im Jahr gibt es im Internet eine Abstimmung darüber, welche Projekte mit der Bierzeche gefördert werden sollen. Damit es nicht Kraut und Rüben hagelt, gibt es allerdings eine Vorab-Selektion. "Wir haben eine Förderkommission, da sitzen zehn Leute aus dem Berliner sozialen Sektor", erzählt Quartiermeister-Geschäftsführer Peter Eckert der "Wiener Zeitung". Von diesen zehn Personen kommt jeweils ein Vorschlag, dann werden noch Vorschläge auf der Homepage gesammelt, schließlich werden die Projekte auf der Quartiermeister-Homepage vorgestellt, und jeder Internet-Benutzer kann sich an der Wahl beteiligen.

Nur bei dem geografischen Bezug ist man bei Quartiermeister streng: "Inhaltlich können die Projekte ganz verschieden sein, wichtig ist aber, dass es einen Bezug zu Berlin haben soll. Im Idealfall ist es sogar noch regionaler. Der Grundgedanke ist, man geht bei sich im Kiez, also in seinem Stadtteil, in eine Kneipe, trinkt dort unser Bier, und sieht dann auch im selben Stadtteil, wofür unser Geld verwendet wird. Beispielsweise für Bildungsprojekte, Patenschaftsprojekte oder Kulturveranstaltungen. Die Grundregel besagt eigentlich nur, dass es dem nachbarschaftlichen Leben gut tun soll."

Lokal ist auch bei der Produktion wichtig: Das Bier in Berlin selbst kommt aus einer kleinen inhabergeführten Brauerei in Brandenburg. "Die macht unsere Etiketten und Bierkorken drauf. Wir vertreiben es dann als Markenhalter", erklärt Eckert. Seit 2012 ist Quartiermeister-Bier auch in München erhältlich, aber es handelt sich dabei beileibe nicht um das gleiche Bier, nur um denselben Grundgedanken. In München kommt das Bier aus einer Brauerei in Bayern, die Flasche ist eine andere, und der Kopf des stilisierten Quartiermeisters auf dem Etikett der Münchner Version hat einen bayrischen Hut auf. Die Vereine sind voneinander unabhängig. Eckert schließt nicht aus, dass es in der Zukunft ein Quartiermeister für Wien, oder Salzburg geben könnte. "Sobald sich Leute finden, die es in einer anderen Stadt umsetzen wollen, setzen wir uns mit denen zusammen. Die Kriterien sind, dass es sozial ist und die Marke widerspiegelt. Aber sonst haben die Leute alle unternehmerischen Freiheiten", erzählt Eckert. Es basiere vor allem auf Vertrauen, denn es gebe beim "Social Franchising" nicht die griffigen Mechanismen wie bei normalem Franchising. Andererseits, wer will das schon: "Wir sind nicht McDonald’s und wollen auch nicht McDonald’s sein", erklärt der 27-jährige Eckert. Genügsam sind die studentischen Idealisten auf jeden Fall. Ende Februar wird man sich erstmals ein Gehalt auszahlen. "Das werden so um die 300 Euro sein", lacht Eckert.

10.000 Flaschen wurden im Dezember in Berlin getankt

Bisher sind 150.000 Flaschen verkauft worden in Berlin, um die 10.000 Euro wurden für soziale Projekte ausgegeben, bisher 100 Prozent des Gewinns. Dass es mindestens die Hälfte des Gewinns sein muss, steht ohnedies in den Statuten festgeschrieben. Denn es steigert sich: 10.000 Flaschen gingen schon im Dezember über den Tresen.

Und bei der diesjährigen, derzeit laufenden Berlinale wird auf verschiedenen Veranstaltungen die Quartiermeister-Flasche angeboten. Dann kommen auch Filmfreunde in den Genuss des sozialen Konsums. Und wer weiß, wer noch. "Wer George Clooney mit einer Flasche Quartiermeister fotografiert, bekommt einen Kasten umsonst", heißt es auf der Homepage. Mitte Februar beginnt die erste Abstimmung 2013 für die neuen Projekte auf der Homepage. Zuletzt hat das Protestcamp am Kottbusser Tor gegen Gentrifizierung des Bezirks gewonnen, und das JugendtheaterBüro Berlin der Initiative Grenzen-Los.

www.quartiermeister.org