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Das Gespenst der Deflation

Von Thomas Seifert

Wirtschaft

In keinem anderen Land der Eurozone ist die Inflation höher als in Österreich.


Brüssel/Wien. Ein Gespenst geht um in Europa. Das Gespenst der Deflation. Denn die Inflation in der Eurozone liegt nach den jüngsten, vom europäischen Statistikdienst Eurostat veröffentlichten Zahlen mit 0,5 Prozent in der Eurozone und 0,6 Prozent in der gesamten EU auf dem niedrigsten Stand seit November 2009. Damals steckte die Weltwirtschaft aber freilich in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die rekordverdächtig niedrige Inflationsrate gepaart mit nach wie vor deprimierend schlechten Wachstumsaussichten befeuert die Ängste vor einer Deflation bei den Konsumenten, die in Erwartung immer weiter fallender Preise ihren Konsum und Unternehmen ihre Investitionen immer weiter aufschieben. Die Japanische Krankheit - Japan ging jahrelang durch das Jammertal der Deflation - macht den europäischen Notenbankern und Ökonomen Angst.

Der Inflations-/Deflationsstreit ist auch ein veritabler Ideologie-Konflikt. Linke Ökonomen sind traditionellerweise weniger von Inflationsängsten geplagt: Schließlich ist die Inflation vor allem ein Problem für Menschen mit hohen Geldvermögen. Und eine moderate Inflation (die EZB peilt eine Inflationsrate unter aber nahe bei 2 Prozent an) wirkt belebend auf die Konjunktur. Konservative Ökonomen hingegen vermuten das Gespenst der Inflation stets hinter der nächsten Ecke: Das frühere Mitglied des EZB-Gouverneursrats, der Deutsche Jürgen Stark, schrieb erst unlängst in einem Kommentar der "Financial Times", dass er die Deflationsängste für übertrieben hält und warnte vor weiteren Maßnahmen zur monetären Lockerung der EZB.

Druck auf Draghi

Im März 2014 wurden negative jährliche Inflations-Raten in Bulgarien (-2,0 Prozent), Griechenland (-1,5 Prozent), Zypern (-0,9 Prozent), Portugal und Schweden (je -0,4 Prozent), Spanien und der Slowakei (je -0,2 Prozent) und Kroatien (-0,1 Prozent) gemessen. Die höchsten jährlichen Raten wurden im Vereinigten Königreich (1,6 Prozent) sowie in Malta und Österreich (je 1,4 Prozent) verzeichnet. Der stärkste Aufwärtsimpuls für die jährliche Inflation des Euroraums kam von den Teilindizes Tabak und Restaurants und Cafés (je +0,08 Prozentpunkte) sowie Milch, Käse und Eier (+0,06), während Kraftstoffe für Verkehrsmittel (-0,24), Telekommunikation (-0,10) und flüssige Brennstoffe (-0,06) am stärksten senkend wirkten.

Auf den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt, Mario Draghi, steigt somit der Druck, den ohnehin niedrigen Leitzins (0,25 Prozent) noch weiter zu senken. Doch dem Notenbankchef geht langsam die Munition aus - und er hat mit einem superharten Euro zu kämpfen: 1,38 Dollar bezahlt man im Moment für einen Euro. Dadurch werden in Dollar zu verrechnende Importe (vor allem Öl- und Gasimporte) in der Eurozone billiger. Was für den Konsumenten eine gute Nachricht ist, macht Makroökonomen Sorge: Denn ein um zehn Prozentpunkte stärkerer Euro reduziert die Inflationsrate um 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte. "Ein stärkerer Euro-Kurs würde eine weitere Anpassung der Geldpolitik nötig machen", hatte Draghi am Samstag bei einer Pressekonferenz am Rande des Frühlingstreffens des Internationalen Währungsfonds gesagt.

Ein weiteres Problem für Draghi ist das weite Auseinanderklaffen der Inflation in Europa: Wie nicht anders zu erwarten, sind die Krisenstaaten Griechenland, Zypern, Portugal und Spanien weiter in der Deflation - was vor allem für die Schuldner in diesen Staaten ein Problem ist; denn ihre Pein würde gelindert, wenn zumindest ein Teil ihres Schuldenberges weginflationiert würde: tatsächlich wird aber Geld im Vergleich zu Waren und Dienstleistungen in diesen Ländern mehr wer, die Schulden fühlen sich somit umso größer an.

Dass Österreich am anderen Ende der Skala - gleich hinter März-Inflations-Spitzenreiter Großbritannien und somit als Land mit der höchsten Inflationsrate in der Eurozone - steht, ist laut dem Handels-, Konsum- und Konjunkturexperten des Wirtschaftsforschungsinstituts (wifo), Jürgen Bierbaumer-Polly, vor allem auf Maßnahmen zur Budgetsanierung zurückzuführen. Vor allem die Positionen der motorbezogenen Versicherungssteuer und der Schaumweinsteuer würden einen 0,2-prozentigen Beitrag zur Inflation leisten, sagt Bierbaumer-Polly gegenüber der "Wiener Zeitung". In Österreich haben laut wifo zudem steigende Mieten und höhere Preise in der Gastronomie, Hotellerie und Preiserhöhungen bei Mobilfunkgebühren zusätzlich für Preisauftrieb gesorgt.