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Die Großbaustelle

Von Ronald Schönhuber

Wirtschaft

Der VW-Abgas-Skandal erreicht fast schon stündlich neue Dimensionen. Der neue Vorstandschef muss | aber nicht nur das Vertrauen zurückgewinnen. Der Konzern braucht auch einen strategischen Neubeginn.


Wolfsburg. Matthias Müller mag es durchaus leger: Während andere Marken-Chefs des VW-Konzerns zur pompösen Präsentation neuer Modelle auf Automessen stets im Anzug erscheinen, ist der 62-Jährige, der bisher dem Sportwagenbauer Porsche vorstand, bei solchen Anlässen auch schon im Pullover und ohne Krawatte zu sehen gewesen. Das Outfit sollte aber nicht über die Disziplin und Entschlossenheit hinwegtäuschen, mit der Müller in fast vier Jahrzehnten an verschiedenen Stellen am Erfolg des VW-Konzerns gearbeitet hat. Wie erwartet hat der VW-Aufsichtsrat am Freitagabend den in Bayern aufgewachsenen Manager zum neuen Konzernchef gekürt, nachdem der bisherige Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn am Mittwoch wegen des Skandals um die Manipulation von Diesel-Abgaswerten in den USA zurückgetreten war.

Deutschland stark betroffen

Der neue VW-Chef hat eine Herkulesaufgabe vor sich. Zunächst einmal muss er die Aufklärung des Abgas-Skandals vorantreiben und verlorenes Vertrauen für Volkswagen zurückgewinnen. Schon allein das scheint kaum bewältigbar, denn mit jedem Tag, der vergeht, weitet sich auch die Dimension des Wolfsburger Emissionsbetrugs aus. So gab Verkehrsminister Alexander Dobrindt am Freitag bekannt, dass auch in Deutschland 2,8 Millionen Fahrzeuge mit jenen Motoren unterwegs sind, bei denen in den USA eine spezielle Software zur Schönung von Abgastests eingesetzt wurde. Neben Pkw seien auch leichte Nutzfahrzeuge mit falschen Abgas-Werten auf dem Markt, sagte Dobrindt.

Weltweit sind - neben Fahrzeugen der Marken Audi, Seat und Skoda - fünf Millionen Autos der Marke VW betroffen. Dies habe eine interne Prüfung ergeben, teilte VW-Markensvorstand Herbert Diess am Freitagabend mit. "Wir arbeiten mit Hochdruck an einer technischen Lösung, die wir so rasch wie möglich dem Handel, unseren Kunden und der Öffentlichkeit präsentieren werden", sagte Diess..

Dem Konzern steht aber nicht nur wegen des Köpferollens in den Vorstandsetagen ein tief greifender Umbau bevor. Das größte Unternehmen Deutschlands braucht auch dringend eine neue Strategie, um nachhaltig zukunftsfit zu werden.

Galten früher Toyota und General Motors als natürliche Konkurrenz, so droht nun der Einstieg von Silicon-Valley-Größen wie Google und Apple das etablierte Geschäftsmodell der Autobauer zu gefährden. Wie man der digitalen Herausforderung durch selbstfahrende Autos und der zunehmenden Vernetzung begegnet, ist wohl eine der drängendsten Fragen des noch von Winterkorn angestoßenen Generalumbaus.

Doch es ist bei weitem nicht die einzige Großbaustelle, mit der sich die Volkswagen-Führungsriege konfrontiert sieht. In China, wo der Konzern im Vorjahr mehr als ein Drittel seiner Fahrzeuge verkauft hat, hat sich der Markt spürbar abgekühlt. Zudem drückt eine massive Rabattschlacht die Margen der Hersteller.

Um die Marge geht es aber nicht nur in China. Mit mehr als 600.000 Mitarbeitern baut der Konzern ungefähr genauso viele Fahrzeuge wie der ewige Rivale Toyota mit 350.000 Mitarbeitern. Ein Großteil der VW-Mitarbeiter sitzt im Hochlohnland Deutschland, ein bedeutender Teil in den hauseigenen Komponentenwerken, die Zulieferteile herstellen, die externe Anbieter billiger produzieren können.

Vier Familien geplant

Beantworten muss der neue VW-Chef aber auch die Frage, wie sich der weltumspannende Riesenkonzern effizienter steuern lässt. Bisher laufen selbst kleinste Entscheidungen über die Zentrale in Wolfsburg, was nicht selten zu einer Flaschenhalssituation samt entsprechender Staubildung führt. Um künftig mehr Marktnähe und Flexibilität zu erreichen, sollen die zwölf Marken im Rahmen des Konzernumbaus in vier deutlich autonomer agierende Modellfamilien zusammengefasst werden. Eine Gruppe sollte dabei aus den Massenmarken VW-Pkw, Skoda und Seat bestehen, die zusammen auf fast 60 Prozent des Konzernabsatzes kommen. Müller selbst übernimmt neben der Konzernführung auch die Aufgabe als Leiter der Sportwagengruppe mit Porsche, Bentley und Bugatti .

Ob der Umbau den nötigen Befreiungsschlag bringt, wird von Autoexperten wie Ferdinand Dudenhöffer jedoch bezweifelt. "Nur mit einem neuen Organigramm lassen sich ja viele der grundlegende Probleme nicht lösen", glaubt der Leiter des Center Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen.

In jedem Fall hat Müller aber den Vorteil, dass er Netzwerke und komplizierte Entscheidungswege in dem riesigen VW-Konzern gut kennt."Er kann mit allen ganz gut, und er ist ein Stratege", beschreibt ein enger Mitarbeiter den Porsche-Chef. Insidern zufolge genießt der 62-Jährige zudem starken Rückhalt bei den Familien Porsche und Piëch. Über ihre Holding Porsche SE kontrollieren sie 51 Prozent an VW. Laut dem "Spiegel" wollte Ex-VW-Patriach Ferdinand Piëch Müller bereits im Frühjahr, als er vergeblich versuchte, Winterkorn abzusägen, als VW-Chef installieren.