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Patriotismus auf dem Teller

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Wirtschaft

Als Reaktion auf die Sanktionen wurden 2014 Lebensmittelimporte aus dem Westen gestoppt - Ersetzt werden sie durch russische Produkte.


Moskau. Die Krise zwischen Russland und dem Westen schmeckt heute nach würzigem Speck, Haselnusssuppe und Kartoffel-Chips. Aus dem Lautsprecher dröhnt Pop-Musik, in der Küche brutzelt das Fleisch. Männer in Anzügen beißen herzhaft in ihre Burger. "Wir wollten das Feeling von New Yorker Burgerläden nach Moskau bringen", sagt Chefkoch Sebbie Kenyon, ein bulliger Australier mit Baseball-Kappe. "Allerdings nur mit russischen Produkten."

Im September hat Kenyon gemeinsam mit einem russischen Partner das Lokal "Woronesch", einen Restaurantkomplex auf drei Stockwerken in bester Moskauer Lage, eröffnet. Und der Laden brummt: Im Oberstock sind die Tische mit Blick auf die Christ-Erlöser-Kathedrale einen Monat im Voraus ausgebucht.

Das Konzept, nur russisches Fleisch zu verwenden, trifft den Nerv der Zeit: Als Reaktion auf westliche Sanktionen in der Ukraine-Krise hat Moskau im August 2014 ein Embargo auf Lebensmittelimporte aus der EU, den USA, Norwegen, Kanada und Australien beschlossen. Vergeltung für die westliche Ukraine-Politik, aber auch Protektionismus für die eigene Landwirtschaft durch sogenannte "Importsubstitutionen", eine "Maßnahme zur Unterstützung der russischen Produzenten", so der russische Präsident Wladimir Putin. Dass plötzlich kein Fleisch und kein Käse mehr aus dem Westen eingeführt werden, sei zwar ein Schock gewesen, sagt Kenyon. Das habe aber auch geholfen, den Fokus auf Regionales zu lenken. "Wir glauben nicht, dass die Leute kommen, weil es patriotisches Essen ist", sagt er. "Sondern weil es regional und gut ist."

Essen ist in Russland zum Politikum geworden. Zuletzt hatten zwei bekannte Filmregisseure angekündigt, eine patriotische Fast-Food-Kette - eine Art russisches McDonald’s - zu gründen. Das Agrarministerium will es Behörden in Russland künftig überhaupt verbieten, Lebensmittel im Ausland zu bestellen, wenn es eine "vaterländische" Alternative gibt. In Schulen und Amtsstuben sollen dadurch 32 Millionen Bürger zu "patriotischen Essern" umerzogen werden, berichtete die Wirtschaftszeitung RBK. Trauriger Höhepunkt war zweifellos ein Präsidentenerlass, Schmuggelware zu verbrennen.

Die "Lebensmittelsicherheit", wie das Programm in einem internen Papier des Agrarministeriums genannt wird, hat aber seinen Preis. Die "Importsubstitutionen" werden durch Investitionsprogramme unterstützt. In Kombination mit dem schwachen Rubel sind die Preise für Lebensmittel in die Höhe geschossen. Heuer wird die Inflation bei rund 15 Prozent liegen. "Früher haben wir 50 Prozent unseres Geldes für Lebensmittel ausgegeben", sagt der Pensionist Alexander Kokejew. "Heute sind es schon 70 Prozent."

Weitere Preissteigerungen

Und die Preise könnten weiter steigen: Als Reaktion auf den Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges an der syrisch-türkischen Grenze hat Moskau einen Importstopp für türkische Lebensmittel ab 1. Jänner 2016 beschlossen. "Das wird zu Engpässen bei Importen führen, die Russland traditionell aus dem mediterranen Raum bezieht", schreibt Andrej Mowtschan von der Denkfabrik Carnegie Moscow Center. Im Winter muss Russland 70 Prozent des Gemüsebedarfs importieren. Experten rechnen mit einer Teuerung von zehn bis 25 Prozent bei Gemüse und Obst. Ab 2016 importiert Russland zudem keine Lebensmittel mehr aus der Ukraine, da das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine nun nach langem Ringen in Kraft tritt.

Derweil hat kaum ein Thema die russischen Gemüter zu Tisch so erregt wie der Käse: Während sich die Moskauer bei Workshops im Selbermachen von Mozzarella oder Brie unterrichten lassen, wird über schlechte Qualität im Handel geklagt. "Für guten Käse braucht man gute Milch", sagt Käse-Händler Aleksandr Krupezkow. Durch schlechte Rentabilität ist die Milchproduktion seit der Wende zum Stiefkind der russischen Landwirtschaft geworden. Das lässt sich nicht auf Knopfdruck umstellen: Von Jänner bis September stieg die Milchproduktion nur um zwei Prozent. Die Hälfte des russischen Käsesortiments ist mit Palmöl versetzt, schätzt Krupezkow.

Bei Fleisch ist die Lage etwas besser: Hier wurde die Produktion von Jänner bis September laut Agrarministerium um 11,5 Prozent gesteigert. Forbes zufolge wurden allein in die russische Schweinezucht zwischen 2006 und 2012 300 Milliarden Rubel (3,8 Milliarden Euro) investiert. Dagegen wurde bis zuletzt ein Drittel des Rindfleisches importiert. "Dann geben wir unserem Volk eben billiges Geflügel und Schweinefleisch", so Sergej Juschin von der nationalen Fleisch-Vereinigung zum Newsportal gazeta.ru. "Und am Rindfleisch müssen wir weiter arbeiten."

Während unter den Bauern Goldgräberstimmung herrscht und der Importstopp nicht wie befürchtet zu leeren Regalen geführt hat, lassen Konsumentenschützer insgesamt kein gutes Haar an den Importsubstitutionen: "2015 hat sich die Qualität der Lebensmittel klar verschlechtert", sagt Dmitrij Janin, Vorsitzender der "Internationalen Konsumentenvereinigung". Während sich Restaurants wie "Woronesch" die Rosinen aus russischer Eigenproduktion herauspicken, ist die breite Masse der Konsumenten auf die schlechtere Qualität in den Supermärkten angewiesen.

Diese Vorwürfe wiegelt Agrarminister Aleksandr Tkatschow gerne mit dem Hinweis ab, dass eine vollständige Importsubstitution nun mal zehn Jahre dauere. Das Embargo ist bis August 2016 in Kraft, nachdem es im Sommer um ein Jahr verlängert worden war. Der unklare zeitliche Horizont machte vor allem eine westliche Köstlichkeit zu einem Risiko-Investment für russische Bauern - und somit zu einer raren Delikatesse: Parmesan. Denn er muss mindestens zwei Jahre reifen.