
Wien. "Arbeitnehmer verlassen zwar physisch das Büro, aber ihre Arbeit lassen sie nie zurück. Sie hängen wie Hunde an einer Art elektronischen Leine", formuliert es Benoit Hamon, Politiker der französischen Parti Socialiste. Was für Frankreich gilt, stimmt im Fall Deutschland umso mehr: Laut Umfrage checkt dort fast jeder zweite Berufstätige nach Dienstschluss seine beruflichen E-Mails. Etwa jeder Dritte hat in seinem letzten Urlaub mindestens einmal in die Dienstmails geschaut. In Frankreich ist ein Drittel der höheren Angestellten rund um die Uhr erreichbar.
In Österreich ist die Lage ähnlich: "Aus meiner Berufspraxis weiß ich, dass Anrufe von Arbeitgebern während der Freizeit von Arbeitnehmern weit verbreitet sind. Ich kenne Menschen, die noch um 23 Uhr Aufträge erhalten", sagt Wolfgang Mazal, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien.
Die ständige Erreichbarkeit, eine neue Form von unbezahlten Überstunden und eine neue Form der Schwarzarbeit: Laut Statistik des deutschen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung leisteten deutsche Berufstätige im vergangenen Jahr eine Milliarde unbezahlte Überstunden. Es gehört zum guten Ton, spätnachts zum Handy zu greifen oder Mails zu checken. Die Chefs registrieren diesen Aufwand ihrer Mitarbeiter kaum.
Frankreich zieht Notbremse
Die Folgen sind fatal. Längst ist erwiesen, dass die Leistungsfähigkeit spätestens nach zehn Stunden Arbeit rapide abnimmt und die Zahl folgenschwerer Fehlentscheidungen zunimmt. Von den Kosten berufsbedingter psychischer Zusammenbrüche gar nicht zu reden. Frankreich hat jetzt die Notbremse gezogen: Arbeitnehmern wird grundsätzlich das Recht eingeräumt, Smartphones für berufliche Zwecke nach Dienstschluss abzuschalten und damit alle beruflichen Mails und Telefonate zu ignorieren. Das gilt für Unternehmen mit mehr als 50 Arbeitnehmern. Allerdings: In welchem Umfang die Unternehmen das "Recht auf Abschalten" verankern, soll zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern ausgehandelt werden.
In Österreich muss der Arbeitnehmer während seiner Abwesenheit nicht dafür sorgen, für Chef oder Kollegen erreichbar zu sein. Rufbereitschaft kann laut Arbeitsrechtler Mazal vereinbart werden, muss aber abgegolten werden. So steht es auf dem Papier, doch das ist geduldig, weiß Mazal.