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Salami zum Buch

Von Anja Stegmaier

Wirtschaft

Amazon bietet Prime-Kunden in Berlin und Potsdam die Zustellung von frischen Lebensmitteln an.


Berlin/Potsdam/Seattle. "Relentless" wollte Jeff Bezos 1994 ursprünglich seine neu gegründete Online-Buchhandlung nennen - was mit unerbittlich oder gnadenlos übersetzt werden kann. Freunde des Informatikers rieten ihm jedoch von der Namensgebung ab. Wer die Website relentless.com ansteuert, landet heute nach wie vor bei Amazon.

Schon seit Jahren zittern nicht mehr nur klassische Buchhändler ob des gnadenlosen Appetits nach Wachstum des börsennotierten Onlinehändlers. So testete Amazon bereits 2007 im Heimatmarkt USA den Versand von frischen Lebensmitteln. Nach dem Start von AmazonFresh in diversen US-Städten und 2016 in London weitete das Unternehmen sein Angebot nun auf seinen wichtigsten Auslandsmarkt Deutschland aus. Frische Früchte, Gemüse, Fleisch und Milch können seit Donnerstag in Teilen Berlins und Potsdams bestellt werden.

Das Angebot können bisher nur Mitglieder des Kundenbindungsprogramms "Prime" nutzen. Über 85.000 Artikel stünden bereit, darunter auch frische Lebensmittel, Bio-Produkte und Artikel von mehr als 25 Berliner Feinkostgeschäften und ortsansässigen Lebensmittelhändlern, so Amazon. Kunden, die ihre Waren zwischen Montag und Samstag bis 12 Uhr bestellen, sollen die Lieferung in einem ausgewählten Zwei-Stunden-Fenster noch am selben Tag erhalten.

Offensive in München geplant

Amazon will sich aber nicht auf diese Region beschränken. Laut "Süddeutscher Zeitung" entsteht aktuell auch im Münchner Osten eine Logistikhalle für AmazonFresh. Der Onlinehändler bestätigt das Vorhaben nicht, die Existenz von Kühlräumen im Gebäude legt das allerdings nahe. Bereits 2014 kursierten Gerüchte, dass die Lebensmittelzustellung auch für Österreich angedacht sei. Konkret wurden diese Pläne jedoch bis heute nicht.

Keine Zustellung für Österreich

Traditionelle Lebensmittelhändler beobachten die Expansion des US-Riesen im hart umkämpften deutschen Lebensmittelmarkt mit Sorge. Einige haben sich bereits mit eigenen Online-Shops in Stellung gebracht. Der Lebensmittelhändler Rewe, der nach Edeka die Nummer zwei im deutschen Markt ist, liegt beim Onlinehandel mit Frischwaren vorne und sieht die neue Konkurrenz gelassen. Der Online-Umsatz mit Lebensmitteln in Deutschland soll nach Prognosen des Marktforschers GfK von 1,1 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf jährlich mehr als sieben Milliarden Euro im Jahr 2025 wachsen.

Auch hierzulande findet der Online-Kauf von Lebensmitteln regen Zuspruch - zumal die Ladenöffnungszeiten im Vergleich zu Deutschland eine Lieferung bis 21 Uhr besonders attraktiv machen. Billa, das zur Rewe Group gehört, startete mit seinem Online-Shop 1999 und ist mit einer flächendeckenden Belieferung aller Postleitzahlen Vorreiter im Lebensmittel-Online-Handel. 2016 konnte Billa laut eigenen Angaben die Online-Umsätze gegenüber dem Vorjahr um 160 Prozent steigern.

Einzelhandel unter Zugzwang

Ob es Amazon gelingen kann, die letzte Bastion des traditionellen Handels zu stürmen, die bisher vom Onlineboom verschont geblieben ist, bleibt abzuwarten. Schließlich geht es um einen riesigen Markt - rund 170 Milliarden Euro geben die Deutschen jährlich im Lebensmitteleinzelhandel aus. Und nur rund ein Prozent davon wird bisher online eingekauft.

So hatte Lidl in Deutschland etwa den Start seines Online-Angebotes aus Kostengründen gestoppt und treibt indessen die US-Expansion voran. Bei Aldi ist man grundsätzlich der Meinung, dass sich der Online-Handel mit Frischwaren in Deutschland nicht rechnet, weil Kunden vielerorts Lebensmittel kaufen können und die Margen gering sind. Hinsichtlich der Eigenmarken haben die Vollsortimenter zurzeit zudem einen deutlichen Vorsprung.

Einer Analyse der Strategieberatung Oliver Wyman zufolge könnten Onlineangebote im deutschen Lebensmitteleinzelhandel mittelfristig jedoch zu Umsatzverschiebungen von sechs bis acht Milliarden Euro führen. Amazon könnte dabei einen hohen Anteil an den Umsätzen im Online-Lebensmitteleinzelhandel haben.

Etwa 15 Prozent der Filialen der deutschen sogenannten Vollsortimenter könnten Verluste machen, und bis zu 40.000 von insgesamt rund drei Millionen Arbeitsplätzen in Deutschland könnten sich in den Onlinebereich verschieben, so Oliver Wyman.

Michael Lierow, Partner von Oliver Wyman, relativiert dies jedoch. "Wichtig ist, dass Amazon mit dem Frische-Dienst wieder einmal Innovation treibt und vielen Kunden einen Mehrwert bietet. Wenn der Kunde dieses Angebot annimmt - und davon gehe ich aus - wird es höchste Zeit, dass der stationäre Einzelhandel sich bewegt. Dazu gehören sowohl digitale Lösungen in den Filialen als auch ein eigenes Onlineangebot. Erste Händler gehen inzwischen auch diesen Weg, müssen aber in einigen Bereichen noch schneller und besser werden", sagt der Handelsexperte zur "Wiener Zeitung".

Billa liefert mittlerweile ebenfalls noch am selben Tag und hat mit 30 Euro einen geringeren Mindestbestellwert als AmazonFresh mit 40 Euro in Deutschland. Mit der zusätzlichen Lieferung von Büchern und Staubsaugern wird es jedoch schwierig werden.