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"Afrika braucht wettbewerbsfähige, lokale Unternehmer"

Von Klaus Huhold

Wirtschaft

Die afrikanische Wirtschaft können nur die dortigen Staaten selbst und die lokalen Firmen aufbauen, sagt der Ökonom Robert Kappel.


Es ist ein Projekt, das mit viel Erwartungen verbunden ist: Mittwochabend haben 44 afrikanische Staaten eine Vereinbarung über eine Freihandelszone unterschrieben. Die CFTA muss noch von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Die Afrikanische Union erhofft sich von diesem Projekt mehr Handel und Wohlstand. Was Afrikas Wirtschaft sonst noch voranbringen und welche Rolle Europa dabei spielen könnte, darüber sprach die "Wiener Zeitung" mit dem Ökonomen Robert Kappel, der seit Jahrzehnten zu diesem Thema forscht.

"Wiener Zeitung": Opel wird künftig Autos in Namibia produzieren. Lässt sich daraus ableiten, dass sich Afrika nun, mit Verspätung, industrialisiert oder ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Robert Kappel: Das zeigt vor allem, dass die großen Konzerne nun strategischer zu denken beginnen. Sie schließen aus den Wachstumsraten in Afrika, die in manchen Ländern sehr hoch sind, dass es dort nun eine größere Nachfrage nach europäischen Produkten gibt. Auch VW produziert etwa in Ruanda. Eine weitere Komponente ist, dass Chinas Großunternehmen überall in Afrika präsent sind und die europäischen Konzerne hier nicht den Anschluss verlieren wollen.

Viele Entwicklungsökonomen meinen, dass Afrika nun vor allem eine viel stärkere Industrialisierung braucht. Stimmen Sie damit überein?

Ja, Afrika braucht eine Industrialisierung. Nur vier Prozent der Beschäftigten sind in der verarbeitenden Industrie tätig, hier gibt es einen riesigen Nachholbedarf. Jährlich müssen in Afrika 20 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden, und die Industrialisierung kann einen Teil dazu beiztragen. Die Mehrheit der Menschen muss jedoch in der Landwirtschaft beschäftigt werden. Der afrikanische Kontinent ist immer noch großteils ländlich, und in diesem Bereich fehlt es an Agrarmodernisierung, an Investitionen in die Landwirtschaft, die Agrarindustrie und die Nahrungsmittelproduktion.

Welche Hindernisse stehen im Weg, dass in diesen Bereichen nicht mehr geschieht?

Innerhalb der afrikanischen Länder haben wir oft eine niedrige Investitionsquote, dabei müssten die Investitionen im Wesentlichen aus diesen Staaten selbst kommen. Es mangelt zudem an Infrastruktur. Wir haben Millionen unqualifizierte Arbeitskräfte, aber nicht genügend qualifizierte. Der Staat bevorzugt in vielen Fällen Großunternehmen. Klein- und Mittelunternehmen werden hingegen oft steuerlich benachteiligt und leiden besonders unter der Korruption. Letztlich kann aber nur der Mittelstand die notwendigen Jobs schaffen. Wir haben in einer Studie für die African Development Bank herausgefunden, dass ausländische Direktinvestitionen jährlich nur 100.000 Arbeitsplätze in Afrika schaffen. Wenn also Opel oder VW einige hundert Arbeitsplätze bereitstellen, ist das ein guter Anschub, entscheidend sind aber die lokalen, afrikanischen Unternehmer. Kommen die afrikanischen Staaten nicht selbst in die Gänge, wird das Beschäftigungsproblem nicht gelöst werden.

Aber manche afrikanische Staaten, etwa Äthiopien, Ruanda, Senegal oder Cote d’Ivoire sind ja bereits Erfolgsgeschichten und haben über Jahre hinweg hohe Wachstumsraten erzielt.

Dort hat man auch erkannt, dass die Investitionen lokaler Unternehmer zunehmen müssen und man daher für sie Anreize schaffen muss. Diese Länder haben daher nicht nur ausländische Direktinvestitionen angezogen, sondern auch die lokale Industrie gefördert. Sie haben diese in regionale und globale Wertschöpfungsketten eingebracht. Sie haben steuerliche Anreize gegeben, und sie haben ein Konzept von Unternehmensförderung, das berufliche Ausbildungen integriert.

Wie nachhaltig ist dieser Aufschwung?

Bei diesen Ländern gibt es - bei allen Problemen, die sie noch haben - Anlass zu Optimismus, dass sie einen gewissen Sprung schaffen. Wie nachhaltig dieser ist, hängt auch von globalen Entwicklungen ab. Viele Investoren, die einfache Konsumgüter produzieren, bei denen die Arbeitskraft noch eine gewisse Rolle spielt, verlagern derzeit ihre Produktion - weil in einstigen Billiglohnländern wie China die Gehälter gestiegen sind. Ob davon Afrika profitiert, das wird sich weisen. Äthiopien etwa ist derzeit ein Gewinner dieser Entwicklung, weil indische, chinesische oder auch europäische Unternehmen wie H&M dort investieren. Damit das ein langfristiger Trend wird, braucht es meines Erachtens nach aber auch ein wettbewerbsfähiges afrikanisches Unternehmertum, das die eigene Industrialisierung voranbringt.

Andere afrikanische Länder wie Liberia oder Sierra Leone hinken innerhalb des Kontinents hinterher. Haben wir es mit einem Afrika der zwei Geschwindigkeiten zu tun?

Ja. Wenn Länder die notwendigen Maßnahmen nicht ergreifen, bekommen sie große Probleme. Staaten wie Liberia oder Sierra Leone haben aber auch so kleine Märkte, dass es sich für ausländische Investoren außerhalb des Rohstoffsektors nicht zu investieren lohnt. Zudem waren diese Märkte bisher zu sehr abgeschottet von den Nachbarländern. Aber hier will die Afrikanische Union ja nun eine Freihandelszone schaffen.

In Europa ist ja von einem Marshallplan für Afrika die Rede, Deutschland hat hier auch schon erste Schritte gesetzt. Wie viel kann der bewirken?

Die EU kann durch einen Marshallplan mit Afrika viel erreichen. Meines Erachtens nach muss die EU aber ihren Beitrag neu definieren. So muss der Handel Europas mit Afrika fairer werden. Wenn Europa, und das hat die EU bei Verhandlungen lange gefordert, freien Zugang zu den afrikanischen Märkten verlangt, dann hat dieser Verdrängungswettbewerb durch europäische Unternehmen viele negative Folgen für Afrika. Darüber hinaus braucht es strategische Kooperationen, Technologietransfer und eine Bildungsoffensive. Hier nur ein Beispiel: China hat 70.000 afrikanische Studenten in die Volksrepublik geholt und strategisch in langfristige Netzwerke investiert. Dadurch gibt es künftig gut ausgebildete Afrikaner, die die chinesische Sprache können und Kontakte zu chinesischen Unternehmen haben. Auch Europa braucht solche Bildungsoffensiven, die gewährleisten, dass europäische Interessen gewahrt bleiben, von der aber gleichzeitig auch die Afrikaner profitieren.

Und profitieren könnten sie vor allem dadurch, wenn sie sich stärker in die Globalisierung integrieren?

Diese Integration muss aber mit Schutzmaßnahmen einhergehen. Wer sich vollständig dem globalen Markt ausliefert, verliert unglaublich viele Arbeitsplätze. Das war ja auch das chinesische Modell: China hat sich erst geschützt und die Reformen intern vorangebracht. Auch Afrika benötigt zunächst Unterstützung und Schutz beim eigenen Industrieaufbau. Zudem ist der Ausbau der Freihandelszonen innerhalb Afrikas ein Schritt, um Märkte zu vergrößern und lokales Unternehmertum aufzubauen.

Ein Hintergedanke von Europa ist ja auch, durch Aktionen wie den Marshallplan die Einwanderung aus Afrika einzudämmen. Geht diese Gleichung auf, dass mehr Wohlstand weniger Auswanderung bedeutet? Studien sagen ja, dass höherer Wohlstand den Wunsch nach Auswanderung auch fördern kann.

Ja, es gibt diese These. Wir müssen aber auch sehen, dass viele Afrikaner, die nach Europa oder in die USA ausgewandert sind, nicht immer erfolgreich waren. Der Frust darüber ist in den Mittelschichten groß. Man bleibt lieber auf dem Kontinent, wenn es irgendwie geht, weil man sich dort auskennt und seine Netzwerke hat. Migration wird es jedoch immer wieder geben. Ein Einwanderungsgesetz, das gewisse Zahlen festsetzt, wie viele Menschen aufgenommen werden, oder auch universitäre Kooperationen könnten hier viel Luft aus dem Gedanken herausnehmen, dass immer mehr Menschen kommen. Ich denke aber, dass sich die Migration abschwächt - auch aufgrund unserer Politik der Abschottung. Europa nimmt schon weniger Menschen auf, und es sind zuletzt auch weniger Afrikaner nach Europa gekommen.

Robert Kappel

war von 2004 bis 2011 Präsident des deutschen Giga-Instituts, eines renommierten Thinktanks zu internationalen Entwicklungen, und ist Professor em. der Universität Leipzig. Seine Arbeitsschwerpunkte sind globale Machtverschiebungen, Wertschöpfungsketten, Klein- und Mittelunternehmen und afrikanische Wirtschaftsentwicklungen. Er war kürzlich auf Einladung der "Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung" in Wien.