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"Dieser Krieg macht uns alle ärmer"

Wirtschaft

Wifo: Krieg und Corona haben Realeinkommen geschmälert. Österreich wirtschaftlich noch an Russland gekoppelt.


Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und die Corona-Pandemie in den Jahren davor haben in Österreich zu einem spürbaren Wohlstandsverlust geführt, erklärte der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Gabriel Felbermayr, am Donnerstag vor Journalisten. Die gestiegenen Energiepreise, die Volatilität auf den Energiemärkten und die hohe Inflation haben Berechnungen des Wifo zufolge zu einer Abnahme der real verfügbaren Einkommen geführt, trotz hoher Wirtschaftswachstumsraten. "Die Realeinkommen sind kleiner geworden, wenn man richtig misst", sagte Felbermayr.

Während das nominelle, also das nicht bereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 9,9 Prozent gewachsen ist, stieg das reale BIP pro Kopf, bereinigt um die Inflation, Bevölkerungswachstumseffekte und andere Faktoren, um nur 1,5 Prozent. Das real für den Konsum verfügbare Einkommen soll 2024 sogar nur 98,7 Prozent des verfügbaren Konsumeinkommens von 2019 betragen.

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Ein weiterer Indikator für den Wohlstandsverlust ist die Verschlechterung der sogenannten "terms of trade". Das beschreibt das Verhältnis von Import- und Exportpreisen, und diese sind seit Kriegsbeginn deutlich auseinandergegangen: Die Importpreise sind in der EU stärker gestiegen als die Exportpreise.

Mit Hilfen übers Ziel hinausgeschossen

Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr Milliarden für Unterstützungsleistungen in die Hand genommen, um den inflationsgetriebenen Einkommensverlust in der Bevölkerung abzufedern. Damit ist sie aber möglicherweise übers Ziel hinausgeschossen, meint Felbermayr. "Der Inflationsdruck wird so lange hoch bleiben, solange man versucht, alle Einkommensverluste auszugleichen", sagte der Ökonom. Es sei sehr wichtig, niedrige Einkommen und sozial benachteiligte Haushalte zu entlasten, etwa durch die Valorisierung der Sozialleistungen. "Das sorgt auch für sozialen Frieden." Allerdings sollten laut Felbermayr die höheren Einkommen auch eine höhere Inflationslast tragen.

Was die derzeit breit diskutierte und von Arbeiterkammer (AK) und Gewerkschaftsbund (ÖGB) geforderte Mietpreisbremse betrifft, mahnte Felbermayr Vorsicht und Zurückhaltung ein. Grundsätzlich müsse sich der aktuelle Wohlstandsverlust irgendwo zu Buche schlagen. Und es wäre besser, dass er vom wohlhabenderen Teil der Bevölkerung, im konkreten Fall die Vermieter, als vom weniger wohlhabenden getragen wird. Es sei aber nicht sinnvoll, die Mietzinsanpassung gleich auf zwei Prozent zu deckeln, wie das AK und ÖGB fordern. Er schlägt vor, für die Mietpreisanpassung nicht den Verbraucherpreisindex, sondern den BIP-Deflator, also die durchschnittliche Kostensteigerung der inländischen Güter und Dienstleistungen, heranzuziehen. "Wie man das konkret umsetzt, müssen Juristen entscheiden, ich bin hier überfragt", sagte Felbermayr auf Nachfrage.

Unerwartet krisenfest war die Entwicklung in der Industrie. Trotz der Energiepreisexplosion blieb die Industrieproduktion stabil. Im energieintensiven Bereich wie der Metall- und Baustofferzeugung und er Papierindustrie sank die Produktion leicht. Allerdings verbuchten Industriebetriebe wie der heimische Stahlerzeuger Voestalpine und der Baustoffkonzern Wienerberger für 2022 Rekordgewinne, weil die Auftragsbücher voll waren und sie die Preise weitergaben. "Die heimische Industrie ist modern und gut aufgestellt. Sie kann mit Krisen umgehen", so der Ökonom.

Was den wirtschaftlichen Austausch mit Russland betrifft, so ist die Situation in Österreich eine andere als in den meisten EU-Ländern. "Die wirtschaftliche Entkoppelung der EU von Russland ist in vollem Gange", meint Felbermayr. Russische Importe, vor allem Energie, haben sich EU-weit seit Kriegsausbruch fast halbiert. Und auch die Exporte sind in den Monaten nach Kriegsbeginn eingebrochen und stagnieren.

Importe wieder fast auf Niveau von Anfang 2022

In Österreich sieht die Handelsbilanz anders aus. Nach einem starken Einbruch im zweiten und dritten Quartal liegen die Importe aus Russland wieder fast auf dem Niveau von Anfang 2022. Das liegt vor allem daran, dass die staatliche russische Gazprom Österreich wieder in vollem Umfang mit Gas beliefert und die OMV die vertraglich zugesicherten Gasmengen abruft. Nach Deutschland fließt - zumindest direkt - kein russisches Gas mehr, weil Nord Stream 1 gesprengt wurde und Russland die Lieferungen über die Jamal-Pipeline durch Polen eingestellt hat. Indirekt bezieht aber auch Deutschland wohl weiterhin russischen Gas über Österreich oder russisches LNG über Terminals in Belgien und den Niederlanden.

Auch der Handel mit der Ukraine erholte sich trotz Kriegs und liegt seit Mitte 2022 auf dem Vorkriegsniveau. Interessant ist, dass die Exporte nach Weißrussland nach einem Einbruch zu Kriegsbeginn wieder höher sind als in der gesamten Zeit seit 2014, vor allem im Auto- und Industriegüterbereich. Weißrussland bildet mit Russland eine Zollunion, deshalb unterstellt das Wifo hier eine Umgehung der Russland-Sanktionen. "Wir beliefern über Weißrussland den russischen Markt mit Autos", meint Felbermayr.

Was Russland betrifft, so ist im Vorjahr zumindest der zu Beginn des Krieges vorhergesagt Total-Crash der Wirtschaft ausgeblieben. Das liegt auch an einer Reihe von Maßnahmen der Russischen Zentralbank wie die Kapitalverkehrsbeschränkungen und das Rubel-Dekret. Aber: "Einige Daten, die wir aus Moskau bekommen, sind geschönt. Der Krieg treibt das BIP zwar an, aber damit ist noch kein Wohlstand geschafft", meint der Wifo-Chef. Er erwartet in Russland im kommenden Jahr einen viel größeren Wohlstandsverlust als in der EU und Österreich.(del)