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Möbelhandel auf wackligen Beinen

Von Kevin Yang und Julian Kern

Wirtschaft
Vor rund einer Woche hatte die Signa rund um René Benko die Kika/Leiner-Möbelhäuser verkauft. Anfang kommender Woche soll in St. Pölten ein Insolvenzantrag gestellt werden.
© adobe stock / angyim

Der Ausverkauf bei Kika/Leiner ist symptomatisch für die Krise in der Branche, die gegen sinkende Absätze ankämpft. Wenige Anbieter, die den Möbelmarkt dominieren, rittern um einen immer kleiner werdenden Kuchen.


Es sind Einkaufserlebnisse, die meist mit einer langen Parkplatzsuche beginnen. Angekommen im riesigen Einrichtungshaus, findet man von Leuchten, Textilien, Betten, Stühlen und Tischen bis hin zum Schnitzel im hauseigenen Restaurant alles, was das Herz begehrt. Waren, die in der Kika-Filiale in Ottakring und der Leiner-Filiale Wien-Nord künftig nicht mehr verkauft werden. Zu den beiden Geschäften in der Bundeshauptstadt gesellen sich österreichweit 21 weitere Standorte, die nach dem Verkauf des Immobilieninvestors René Benko vor rund einer Woche geschlossen werden sollen. 1.900 Beschäftigte verlieren dabei ihre Jobs. Der Kahlschlag beim ehemals zweitgrößten Möbelhaus bildet jedoch nur die Spitze des Eisberges einer Branche ab, die in den vergangenen Jahren ins Straucheln geraten ist. Denn die Nachfrage für die Einrichtung der eigenen vier Wände sinkt.

Nach fünf Jahren Eigentümerschaft veräußerte Benkos Signa-Retail-Gruppe den Möbelhändler mit dem rot-grünen Logo an den Supernova-Konzern. Profitabel war das operative Geschäft in den vergangenen fünf Jahren für Signa trotz eines harten Sanierungskurses nicht. Hohe Kosten und strategische Managementfehler brachten die Möbelkette letztlich in Schieflage. "Retten, was zu retten ist", ließ der neue Geschäftsführer der Kika/Leiner-Gruppe, Hermann Wieser zunächst via Unternehmensaussendung mitteilen. Doch nun soll Anfang nächster Woche am Landesgericht St. Pölten Insolvenz angemeldet werden.

25 Prozent Umsatzplus während der Pandemie

Für Branchenkenner ist der Absatzrückgang im Möbelhandel schon lange vorhersehbar gewesen. Während in den Pandemiejahren 2020 und 2021 Reisen oder Restaurantbesuche für die Bevölkerung kaum möglich waren, wurde das Geld stattdessen in die eigenen vier Wände investiert. Ein Umsatzplus von bis zu 25 Prozent sei in den Pandemiejahren problemlos zu erzielen gewesen, heißt es aus der Branche. Nun trete jedoch ein Nachholeffekt für andere Konsumausgaben ein. "Möbel sind zeitelastische Güter. Beim Austausch ist es selten so, dass sie so kaputt sind, dass man sie jetzt austauschen muss. Wenn, wie es zum jetzigen Zeitpunkt der Fall ist, die Rahmenbedingungen nicht passen, dann kaufen die Leute nicht", sagt Andreas Kreutzer, Geschäftsführer der "Branchenradar.com Marktanalyse" zur "Wiener Zeitung": "Die Leute sind jetzt zurückhaltend, weil das tägliche Leben so viel kostet."

Aber die schwächelnde Nachfrage nach Mobiliar ist nicht allein auf die schlechte Konsumstimmung zurückzuführen. Denn auch auf den heimischen Baustellen wird es inzwischen ruhiger. Für heuer und 2024 prognostiziert das Konjunkturforschungsinstitut Wifo eine Stagnation der Bauwirtschaft. Gründe dafür sind hohe Finanzierungszinsen, strengere Kreditrichtlinien und gestiegene Kosten für Baumaterial.

Weniger Neubauten bedeuten weniger Möbel

"Es wird zappenduster. Denn, wenn der Wohnbau zurückgeht, hat das zeitverzögert Auswirkungen auf uns, und das merkt man jetzt", sagt der Obmann der Branchenvertretung, Hubert Kastinger. "Das, was wir heute liefern und montieren, wurde schon letztes Jahr verkauft und der Rückgang war schon Ende 2022 bemerkbar. Im Moment ist die Frequenz gleich null. Das ist sehr alarmierend, denn die Firmen werden unruhig." Kastinger führt in Schärding am Inn sein eigenes Einrichtungsstudio mit 14 Mitarbeitern. Für 2023 sieht er seine Aufträge gesichert, aber die sich abzeichnende schwache Konjunktur dürfte sich 2024 auch in der gesamten Möbelbranche niederschlagen.

Mit der angekündigten Schließung von 23 Kika/Leiner-Filialen bleibt eine Marktlücke zurück, denn der heimische Möbelhandel ist geprägt von einer Konzentration weniger, dafür aber großer Firmen. Fast 70 Prozent des Marktes entfallen allein auf die Lutz-Gruppe, Ikea und Kika/Leiner. "Meiner Meinung nach ist das ein gefährliches Spiel. Das ist ein Businessplan, Kika/Leiner zu verkaufen und drei Tage später zu zerlegen", kritisiert Branchenvertreter Kastinger: "Selbst, wenn sie die ganze Gruppe filetieren wollen, brauchen sie zig Millionen, bis sie wieder auf den Markt kommen können. Gefährlich wird es für die Branche dahingehend, weil das der Lutz-Gruppe nutzen wird", befürchtet Kastinger.

Er glaubt außerdem, dass der Kahlschlag bei Kika/Leiner auch die Klein- und Mittelbetriebe, die in Summe rund ein Drittel des Möbelmarktes ausmacht, treffen werde. Dass diese vom rot-grünen Niedergang profitieren werden, ist laut dem Marktforscher Kreutzer nicht zu erwarten. "Ein Teil des Kika/Leiner-Umsatzes wird sich auf andere verteilen. Die Lutz-Gruppe und Ikea werden sehr profitieren. Ob die mittelständischen Händler profitieren, ist unsicher, weil es eine ganz andere Zielgruppe ist", sagt Kreutzer.

Unklare Personalsituation

Unklar bleibt auch, wie sich die Personalsituation in der Branche künftig entwickeln wird. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der momentane Personalstand in unserer Branche gehalten werden kann", sagt Kastinger. Rund 1.900 Betroffenen haben diese Entwicklung in dieser Woche bereits am eigenen Leib erfahren müssen, viele haben von ihrem Ende beim rot-grünen Möbelriesen zudem aus den Medien erfahren.

Binnen kürzester Zeit meldeten sich anschließend zahlreiche Handelsunternehmen - von Bauhaus, Spar, Rewe, Lidl, der Post AG bis hin zur Drogeriemarktkette "dm" zu Wort und signalisierten ihr Interesse an den 1.900 Arbeitskräften. Sie werben mit Benefits, die weit über den Obstkorb hinausgehen. Das Bauhaus beispielsweise ködert mit einer zusätzlichen sechsten Urlaubswoche, bei der Post gibt es ein kostenloses Konto bei der bank99, sowie finanzielle Beteiligung am Unternehmenserfolg.

Handelskonzerne locken mit zahlreichen Benefits

Das Rennen um die vor der Kündigung stehenden Belegschaft überrascht den AMS-Vorstand Johannes Kopf nicht. "Ich kann mir gut vorstellen, dass Beschäftigte, die so langjährige Mitarbeiter eines österreichischen Traditionsbetriebes waren, das nicht lustig finden. Tatsächlich ist es aber so, dass wir allein beim AMS aktuell 20.000 Stellen im Handel haben", sagte Kopf jüngst im ORF-Radio. "Es ist also an sich - so blöd das klingt - eine günstige Zeit, einen Job neu suchen zu müssen."

Am stärksten trifft der Kahlschlag bei Kika/Leiner die Belegschaft in Oberösterreich, denn dort stehen alle Filialen vor der Schließung. Die Vorzeichen für eine erfolgreiche Weitervermittlung seien aber auch dort gute: "Wir haben in Oberösterreich viele offene Stellen und praktisch Vollbeschäftigung", sagt Kopf. Zu Problemen kommen könnte es jedoch regional, wenn auf einmal Personen im hohen zweistelligen Bereich auf den Arbeitsmarkt strömen. Abhilfe schaffen sollen Qualifizierungs- oder Umschulungsmaßnahmen des AMS in Richtung Pflegebereich, Digitalisierung oder etwa Green Jobs.

Während sich für die 1.900 Betroffenen Lösungen abzeichnet, demonstrieren in Deutschland Leidensgenossen gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi für höhere Löhne und gegen das Zusperren weiterer Filialen. Grund dafür ist der Sanierungsplan, von Benkos Galeria Karstadt Kaufhof, der Schließungen von rund einem Drittel der 129 Filialen vorsieht. Es bleibt also offen, wie und ob sich die Möbelhäuser erholen werden können. Fest steht aber: Die Beine, auf denen die Branche steht, wackeln gewaltig.