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Bio-Utopie und Agrar-Wahn

Von Alexander Dworzak

Wirtschaft

Ein Drittel der Agrarflächen weltweit wird für Tierfutterproduktion verwendet.


Wien/Brüssel/Berlin. Saftige Wiesen und glückliche Tiere suggeriert die Werbung, das Schweinchen plaudert gar mit seinem Bauern im vermeintlichen Agrar-Musterland Österreich. Der Alltag der 20.000 Landwirte, die tatsächlich auf Bio-Produktion umgestiegen sind, präsentiert sich grau und hart. Wenige Früchte anbauen, Boden düngen und Pflanzen spritzen, wie bei einem konventionell anbauenden Ackerbauern, ist nicht möglich. Bio-Landwirte verzichten auf Pflanzenschutz mit chemisch-synthetischen Mitteln sowie auf leicht lösliche, mineralische Düngemittel. Gentechnisch verändertes Saatgut ist tabu.

Gedankt wird es den Bauern vom Konsumenten - aber nur bedingt. Zwar legten die Umsätze mit Bio-Frischwaren im heimischen Lebensmittelhandel 2012 um 8,5 Prozent zu und erreichten 331,3 Millionen Euro. Damit ist Österreich achtgrößter Bio-Markt weltweit; an der Spitze liegen die USA vor Deutschland. Kehrseite der Medaille: Der Umsatz macht lediglich sieben Prozent der gesamten Frischwarenausgaben aus. Zwar liegt der Marktanteil bei Eiern, Erdäpfeln und Milch bei über 15 Prozent; doch wo die Preisschere zwischen Bio-Produkten und konventioneller Ware aufgeht, schrecken die Kunden zurück. Nur jede 50. gekaufte Wurst ist ein Öko-Produkt.

Ist Bio also eine Nische, ein Luxus für jene, die es sich leisten können und für die breite Masse an Produzenten und Konsumenten unrealistisch oder unerschwinglich? "Nein", sagt Landwirtschafts-Expertin Dagmar Urban: "Die ökologische Nahrungsmittelproduktion ist die einzige Form, Produkte nicht gegen die, sondern mit der Natur herzustellen", so die Greenpeace-Vertreterin im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Eine "bäuerliche Landwirtschaft" und den Erhalt des Modells der Familienbetriebe", wünscht sich auch der Präsident des ÖVP-nahen Ökosozialen Forums, Stephan Pernkopf. Gleichzeitig verweist er gegenüber der "Wiener Zeitung" auf die "steigende Weltbevölkerung - und die damit verbundene höhere Nachfrage nach Lebensmitteln". Pernkopf sieht die Antwort in einer ökologischen Intensivierung durch Nutzung des Züchtungsfortschritts oder durch Verwendung moderner Technologien. Greenpeace-Expertin Urban hält hingegen die Umrüstung großer Betriebe auf Bio-Landwirtschaft für möglich.

Wie ernährt man sieben Milliarden Menschen?

Schwer vereinbar sind die unterschiedlichen Denkschulen, die beim Thema Landwirtschaft aufeinander prallen. Bauernvertreter verweisen auf die steigende Weltbevölkerung - 7,1 Milliarden sind es derzeit, 80 Millionen kommen pro Jahr hinzu. Schon jetzt reichen die weltweiten Reserven an Getreide für die menschliche Ernährung für lediglich zwei Monate. Dürren und andere Naturkatastrophen sorgen für Engpässe auf den internationalen Lebensmittelmärkten - und für enorme Preisschwankungen.

Angesichts dieser Zahlen komme man schwer an Düngemitteln, Antibiotika und Massentierhaltung vorbei, so die Argumentation der Befürworter einer intensiven Landwirtschaft, ungesunde und PR-technisch unappetitliche Nebenfolgen müsse man in Kauf nehmen. Umweltschutzaktivisten rechnen hingegen damit, dass sich jeder Kontinent theoretisch selbst ernähren könne. "Und dass 450.000 Tonnen Soja aus genmanipulierten Monokulturen, hauptsächlich aus Brasilien und Argentinien, jährlich als Tierfutter importiert werden, zeigt: Die Rede vom gentechnikfreien Österreich ist Augenauswischerei. Der Fehler liegt im System begründet", sagt Urban.

Es geht dabei um viel, genauer gesagt um 58.000.000.000 Euro alleine in Europa. Ganze 58 Milliarden lässt sich die EU Jahr für Jahr ihre Gemeinsame Agrarpolitik kosten, die 40 Prozent des gesamten Haushaltes der Union ausmacht. Auch Österreichs Landwirte profitieren massiv von den Förderungen: Für die kommende EU-Budgetperiode von 2014 bis 2020 stehen laut Plan 8,8 Milliarden Euro für Direktförderungen und ländliche Entwicklung zur Verfügung. Das sind 2,8 Prozent weniger als in der vorigen Sieben-Jahres-Periode, bedingt durch die wirtschaftliche und politische Krise in den Unions-Staaten. Noch immer ist das Gezänk um die Fördertöpfe nicht abgeschlossen, sodass die Verhandlungsergebnisse nicht ab 2014, sondern erst ein Jahr später in Kraft treten werden.

Verwässert werden die Vorschläge von EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos in jedem Fall: Der Rumäne schlug vor, die Höhe der Subventionen auf 300.000 Euro pro Betrieb zu begrenzen. Hingegen wollen die Agrarminister der Länder die Mitgliedstaaten selbst entscheiden lassen, ob Betriebe mit mehr als 150.000 Euro Förderung künftig weniger Geld erhalten sollen - eine Steilvorlage für die Lobbys der Agrarindustrie in den jeweiligen Staaten. "Großbetriebe, wie in Österreich die Agrana, die Millionengewinne einstreifen, sollen ihre EU-Förderungen gänzlich verlieren", fordert gar Greenpeace-Expertin Urban. Und die höchstmögliche Förderung solle auf 150.000 Euro gesenkt werden.

Zwischen Energiewende und Biogas-Verschwendung

So strittig sich die Lager bei der Bewertung der Problemlösungen sind, so widersprüchlich sind die Trends bei der Ökologisierung der Wirtschaft: 30 Prozent der EU-Direktzahlungen an Bauern sind künftig an Umweltauflagen geknüpft, darauf hat man sich mal euphorisch, mal zähneknirschend geeinigt. Wer dagegen verstößt, dem droht zusätzlich der Verlust von 7,5 Prozent seiner EU-Hilfen. Aber über 30 Prozent der weltweiten Agrarflächen werden inzwischen für Futterproduktion gebraucht, um den wachsenden Bedarf der Fleischerzeuger zu decken, heißt es im "Fleischatlas 2013". "Das Schnitzel auf unserem Teller geht also nicht selten auf Kosten der Ernährungssicherheit zahlreicher Menschen im Süden dieser Welt. Wir müssen das Menschenrecht auf Nahrung endlich ernst nehmen", sagt Barbara Unmüßig von der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung. Und während andere hungern, wird Mais aus kontrolliertem Anbau in Biogas-Anlagen verheizt - gleichzeitig rühmt sich Deutschland seines Ausstiegs aus der Atomenergie.

Selbst wenn ein Produkt Bio ist, muss es noch lange nicht sinnvoll sein: 13.500 Kilometer weit gereiste Bio-Äpfel aus Argentinien findet man in heimischen Supermarkt-Regalen. Den Kunden ist‘s einerlei, sie setzen laut einer Studie oftmals Bio mit regional gleich.

Weder kann man die Auswüchse in der Agrarindustrie kurzerhand eindämmen, noch die Ökologisierung der Landwirtschaft schlagartig umsetzen. Der große Hebel liegt in den nationalen Förderprogrammen und den EU-Subventionen.