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Spezialisten fürs Fehlersuchen

Von Sophia Freynschlag

Autismus
Lego als Bewerbungstraining: Beim Bauen zeigen sich Konzentrationsfähigkeit und Kreativität. Mit diesen ungewöhnlichen Methoden werden geeignete autistische Bewerber ausgesucht.
© Specialisterne

Specialisterne vermittelt Autisten als Fachkräfte an Unternehmen.


Wien. Akribisch genau Zahlenkolonnen oder Adressdatenbanken zu durchforsten mag auf viele abschreckend wirken - Menschen mit Asperger-Syndrom können hingegen bei diesen Tätigkeiten ihre Stärken ausspielen. "Asperger-Autisten haben spezifische Fähigkeiten, die sich für wiederholende Aufgaben eignen. Sie zeichnen sich durch eine Null-Fehler-Toleranz aus", sagt Stephan Dorfmeister, Generalsekretär von Specialisterne (dänisch für "Spezialisten"). Das Unternehmen vermittelt Autisten mit Asperger-Syndrom an Firmen und sieht deren spezielle Fähigkeiten als Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt. Besonders gut geeignet sind Tätigkeiten, die hohe Genauigkeit erfordern: etwa Usability-Tests für Softwareentwicklung oder Webseiten, die Überprüfung von Daten oder Adressen oder die Analyse von Bilanzen.

Viele Autisten ohne Job

Ihr fehlendes Interesse an sozialer Interaktion steht Autisten bei der Jobsuche häufig im Weg: "80 Prozent der Asperger-Autisten sind arbeitslos. Ihr Lebenslauf besteht meist aus kurzen Beschäftigungsverhältnissen. Viele sind langzeitarbeitslos oder gehen in Frühpension", sagt Dorfmeister. Von ihrer Umgebung werden Autisten schnell als Freaks abgestempelt. Grüßen müssten sie sich beispielsweise "antrainieren". "Viele haben Erfahrungen von Ausgrenzung und Mobbing hinter sich", sagt Dorfmeister, der vor zwei Jahren den Österreich-Ableger der dänischen Initiative gegründet hat.

Die Bewerber werden anhand des Lebenslaufes und eines persönlichen Gesprächs vorausgewählt. Bei der Rekrutierung geht Specialisterne auch ungewöhnliche Wege: Beim Bauen von Lego-Robotern könne man viel über Menschen lernen, etwa ob sie sich an eine Anleitung halten oder davon abweichen, sagt der Geschäftsführer von Specialisterne Deutschland, Matthias Prössl.

Derzeit werden in Österreich acht Teilnehmer in einem Qualifizierungsprogramm fit für den Arbeitsmarkt gemacht. Dazu gehört auch ein einige Monate dauerndes Praktikum. Eine 22-jährige Niederösterreicherin absolviert beispielsweise derzeit ihr Praktikum beim Telekomunternehmen A1 und analysiert vor allem die Tarif-Landschaften des österreichischen Telekommunikationsmarktes. Danach werden die Praktikanten idealerweise als Mitarbeiter - mit Bezahlung nach dem jeweiligen Kollektivvertrag - übernommen. Auch eine Leiharbeit oder eine Projektarbeit auf Tagsatzbasis seien möglich, so Dorfmeister. Meistens werden die Arbeitsverhältnisse für 20 bis 30 Wochenstunden geschlossen.

Von den bisher rund 20 autistischen Bewerbern hierzulande hat Specialisterne die Hälfte vermittelt. Übernommen wurden die Fachkräfte unter anderem vom Pharmakonzern Baxter und vom Medizintechnikunternehmen Euromed, eine Mitarbeiterin ist für die Logistik bei der Heimwerkerkette zuständig. Zwei Bewerber brachen hingegen ab, weil die Integration ins berufliche Umfeld scheiterte. Als langfristiges Ziel hat sich Specialisterne in Österreich gesetzt, innerhalb der nächsten fünf Jahre 100 Arbeitsplätze im Großraum Wien an Autisten zu vermitteln.

Sarkasmus ist fehl am Platz

Bei der Integration ins neue Berufsumfeld sind auch die Kollegen gefragt. Zum richtigen Umgang mit Autisten erhielten die Kollegen bei A1 im Vorfeld Informationen in Workshops und Gesprächen. Viele Autisten haben ihre Erkrankung bisher verheimlicht, deshalb "sollte man mit Autisten offen umgehen", rät Dorfmeister. Autistische Mitarbeiter brauchen klare Vorgaben zum Ziel und Vorgangsweise für ihre Aufgaben - sie verstehen keinen Sarkasmus und können nicht zwischen den Zeilen lesen. Außerdem sollte der Arbeitsplatz auf Störfaktoren überprüft werden, denn Geräusche, Gerüche und Licht könnten Autisten ablenken. Wenn der neue Mitarbeiter nicht grüßt oder anderen nicht die Hand gibt, sei das nicht unfreundlich gemeint, sagt Dorfmeister.

Unternehmen wie der deutsche Softwarekonzern SAP suchen bereits gezielt Autisten: SAP will in den kommenden Jahren hunderte Autisten zu Softwaretestern und Programmierern ausbilden. Bis 2020 sollen ein Prozent der weltweit zuletzt rund 65.000 Mitarbeiter von SAP Menschen mit autistischer Störung sein, hieß es.

Wissen: Autismus

Die sogenannte autistische Störung beginnt in der Regel als Entwicklungsstörung im frühen Kindesalter. Erkrankte Kinder vermeiden zum Beispiel Körper- oder Blickkontakt. Sie verstehen bestimmte soziale Signale wie Lächeln oder Gesten oft nicht und kapseln sich deshalb ab. Sie reagieren auch heftig auf Veränderungen. Stattdessen wiederholen sie häufig Worte oder bestimmte Bewegungen. Das heißt allerdings nicht, dass Autisten automatisch geistig behindert sind. Das Asperger-Syndrom gilt als eine leichte Form des Autismus. Menschen mit dieser Ausprägung sind normal intelligent und entwickeln besondere Fähigkeiten, haben aber häufig wenig Interesse an ihren Mitmenschen.