Zum Hauptinhalt springen

"Chatbots sind Bullshit-Maschinen"

Von Eva Stanzl

Wissen

Tim Crane, Direktor des neuen Exzellenz-Clusters, über Wahrheit und Lüge in einer digitalen Welt.


"Wissen in der Krise" nennt sich ein kooperatives Forschungsprojekt im Fach Philosophie, dem der Wissenschaftsfonds FWF diese Woche einen von fünf "Clusters of Excellence" zuerkannt hat. Im Rahmen der höchsten Forschungsförderungen Österreichs erhält der Verbund in den kommenden fünf Jahren 14,9 Millionen Euro. Philosoph Tim Crane von der Central European University, Direktor des Projekts, über die Zukunft des Wissens.

"Wiener Zeitung": In einem Zeitungsinterview sprachen Sie kürzlich über Wein und Philosophie. Könnte man bewussten Genuss als eine Form von Wissen bezeichnen?

Tim Crane: Ich befasse mich mit der Beziehung zwischen Sinneserfahrung und Wissen. Wenn man erstmals etwas kostet, ist das eine neue Erfahrung. Wissen baut zum einen auf Erfahrungen und zum anderen auf der Kenntnis von Konzepten auf. Um das Geschmackserlebnis beschreiben zu können, benötigt man unter anderem Konzepte der Ähnlichkeit, etwa weil der Geschmack von Cabernet Sauvignon an Johannisbeeren erinnert, da sich die biochemischen Stoffe der Früchte ähneln. In der Philosophie nennt man das Mind-Body-Problem, oder: wie die Physis die Erfahrung prägt. Um Wein geht es nicht in unserem Projekt, aber teils darum, wie Bewusstsein im Gehirn entsteht.

Welche Themen erforschen Sie?

Das Projekt hat sechs Forschungsthemen: Wissen an sich, Philosophie des Geistes, Ethik, Gesellschaft und Politik, Sprache und Wissenschaft. Zusätzlich forschen wir zu Wissenschaftkommunikation und -bildung.

Worin besteht die "Krise des Wissens"?

Ein Aspekt ist die Dominanz des Internets. Wir verlassen uns auf es, haben aber keine präzise Methode, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. Manches ist teils reguliert - etwa Wikipedia. Andere Nachrichten, Zitate oder Diskussionsbeiträge verbreiten sich mit quasi Lichtgeschwindigkeit, ohne dass wir es in der Hand hätten, die Information zu prüfen. Hinzu kommen technisch brillante Maschinen wie Chat GPT. Viele Menschen werden sich darauf verlassen, dass die ihre Texte schreiben. Künstliche Intelligenz lernt jedoch aus Millionen von Texten aus dem Internet - sie lernt nicht, was stimmt. Sie hat keine erkenntnistheoretische Kompetenz. Chatbots wissen nichts.

Was ist der Unterschied zwischen Information und Wissen?

Menschen und Tiere sind Kreaturen, die etwas wissen können. Computer wissen nichts, sondern lagern nur Information. Sowohl Information als auch Wissen müssen korrekt sein. Desinformation ist keine Form von Information, sondern Täuschung. Wenn wir hier in der CEU im zehnten Wiener Gemeindebezirk sitzen, gebe ich Ihnen keine Information, wenn ich sage, wir seien im Ersten, sondern ich täusche Sie. In der Philosophie sind Diskussionen über diese Konzepte zwar komplex, aber zwischen wahr und falsch zu unterscheiden, ist unverzichtbar. Das verlieren wir - auch in der Politik. Das Konzept der "alternativen Fakten" - ein Widerspruch in sich - frisst das Konzept Wissen. Wenn man in einer Sache nicht recht haben kann, gibt es kein Wissen. Fakten kennen keine Alternative.

Es ist eine neue Form der Zensur modern. Alte Bücher werden umgeschrieben, weil manche meinen, dass Geisteshaltungen von früher jemanden von heute beleidigen könnten. Shitstorms ergießen sich auf Social Media über Personen, die unpopuläre oder unmoderne Ideen vertreten - zugleich wird auf dem Recht auf Meinung beharrt. Wie förderlich ist das für den Wissensgewinn?

Mein Eindruck ist, dass Menschen lernen, es sei arrogant, andere Meinungen infrage zu stellen. Jede Meinung gilt als gleich gut, dieser Relativismus ist in unsere Kultur gekrochen. Die Ursache ist ein fundamentales Missverständnis, wie damit umzugehen ist, wenn man findet, dass jemand unrecht hat: Heute sagt man, jeder habe seine Meinung, es gebe viele Wahrheiten und jeder könne die eigene Wahrheit ausleben. Oft wollen Vertreter dieser Ansicht aber allen anderen vorschreiben, wie sie über bestimmte Themen zu sprechen haben, und das ist keine konsistente Position. Die Philosophie muss in aller Klarheit über diese Themen nachdenken. Das hat auch mit Freiheit zu tun und der Frage, was es bedeutet, in einer freien, offenen Gesellschaft zu leben.

Auf Social Media scheinen das nicht alle zu bedenken. Warum?

Früher konnte man seltsame Ideen von sich geben, aber kaum wer hat’s gehört. Heute erreicht man in der Sekunde Tausende. Social Media sind keine offene Gesellschaft, sondern eine Gesellschaft der Polterer und Rabauken. Menschen schüchtern einander bis zum Schweigen ein, es gibt kein Gesetz und nicht die Verbindlichkeit der Zivilisation. Social Media bedrohen das Wissen. Bilder werden mit Zitaten versehen, die so nie gesagt wurden, und das ist noch schlimmer als Lügen. Eine Lüge ist die Absicht einer Täuschung, doch in Social Media regiert der Bullshit.

Sie meinen Bockmist?

Ja, es gibt ein wunderbares Essay des US-Philosophen Harry Frankfurt mit dem Titel "On Bullshit". Einem Bullshitter ist es egal, ob er die Wahrheit sagt oder lügt. Er will einfach aus anderen Gründen etwas verbreiten und Verwirrung stiften. Chat GPT ist ein Bullshitter - der Chatbot ist eine Bullshit-Maschine. Wenn er eine akademische Arbeit schreibt, kann er eine Bibliografie mit Seitenangaben und Journalen frei erfinden und echten Forschern Artikel zuschreiben, die sie nie publiziert haben. Es ist erstaunlich! Wir fallen darauf rein, weil so viele Studien veröffentlicht werden.

Was wollen Sie in den kommenden Jahren herausfinden?

Ein Ziel ist, das Denken über diese Themen mit den Mitteln der Philosophie zu ordnen und in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Es gibt einen Hunger nach Philosophie, den Menschen reichen Social Media nicht. Ich möchte klare Gedanken ermöglichen. Ein zweites Ziel ist wissenschaftliche Bildung. Wir wollen junge Menschen dazu ermutigen, selbstständig rational zu denken, anstatt Dinge einfach nur zu akzeptieren.