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Machtlust im breiten Schädel

Von Frank Ufen

Wissen
„Ein Erzbösewicht” aus der Sicht von Franz XaverMesserschmidt, Bleibüste im Wiener Belvedere.
© © Pr

Studie ergab eindeutige Befunde. | Mit bestimmter Gesichtsproportion halten sich Männer weniger an Regeln.


Marne/Holstein. "Welche dicke Nasen haben, sind träge; dies wird auf die Ochsen zurückgeführt. Welche vorn eine dicke Nase haben, sind stumpfsinnig; dies wird auf die Schweine zurückgeführt. Welche eine spitzig zulaufende Nase haben, sind jähzornig; dies wird auf die Hunde zurückgeführt. Welche eine gerundete vollkommene oder abgestumpfte Nase haben, sind großmütig; dies wird auf die Löwen zurückgeführt." So heißt es in der "Physiognomonik", einer grundlegenden Abhandlung, wovon Aristoteles einige Teile geschrieben hat.

Aristoteles hatte offenbar nicht die geringsten Bedenken, von unveränderlichen physischen Merkmalen des Gesichts auf psychische Eigenschaften von Menschen zu schließen. Derartige physiognomische Spekulationen, aus denen die mörderischen rassistischen Wahnideen des 19. und 20. Jahrhunderts hervorgingen, gelten heute samt und sonders als pseudowissenschaftlicher Humbug. Doch in der Alltagspraxis ist jeder nach wie vor ein intuitiver Physiognomiker, wenn es darum geht, wildfremde Menschen vorläufig einzuordnen.

Nicht ganz zu Unrecht, verkünden die Sozialpsychologen und Betriebswirtschafter Michael Haselhuhn und Elaine Wong (Universität Wisconsin in Milwaukee) in den "Proceedings of the Royal Society B". Sie halten es tatsächlich für möglich, an den Gesichtszügen eines Menschen abzulesen, ob er ein Gauner oder eine ehrliche Haut ist. Das würde aber nur bei Männern funktionieren, und man müsste hierzu um die Ecke denken.

Die Wissenschafter ließen in ihrem ersten Experiment jeweils zwei von insgesamt 192 Probanden Kaufverhandlungen über ein fiktives Anwesen führen. Derjenige, der in die Rolle des Verkäufers schlüpfte, erhielt die Anweisung, das Geschäft nur dann abzuschließen, wenn ihm der Käufer zusicherte, an dem Gebäude auf dem Grundstück keinerlei bauliche Veränderungen vorzunehmen. Derjenige, der den Part des Käufers übernahm, wurde darüber aufgeklärt, dass es bei dem Geschäft in Wahrheit nur darum ginge, das Grundstück zu ergattern, um auf ihm einen Hotelkomplex zu errichten. Verhandelt wurde ausschließlich via E-Mail.

Merkmal für Dominanz

Zunächst wurde ermittelt, in welchem Maße die Käufer bereit gewesen waren, die Verkäufer in die Irre zu führen und übers Ohr zu hauen. Danach wurden die Ergebnisse und die Proportionen zwischen Gesichtsbreite und -höhe zueinander in Beziehung gesetzt. Das Experiment ergab einen eindeutigen Befund. Lediglich 18,8 Prozent der Versuchspersonen schreckten nicht davor zurück, unlautere Methoden anzuwenden. Wenn die Versuchspersonen freilich männlich waren und einen relativ breiten Schädel hatten, war die Wahrscheinlichkeit drei Mal so hoch, dass sie ihre Gegenspieler belogen, und neun Mal so hoch, dass sie sie betrogen.

Haselhuhn und Wong glauben aber nicht, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Schädelform und skrupellosem Verhalten gibt. Sondern sie vermuten, dass ein breiter Schädel bei Männern schon seit der Steinzeit als Merkmal wahrgenommen wird, das Aggressivität, Dominanz, Durchsetzungsvermögen und Virilität signalisiert. Und weil Männer mit einer solchen Macho-Visage sich als mächtig empfinden würden, würden sie oft genug nicht zögern, sich rücksichtslos über moralische Regeln hinwegzusetzen.

Bei Männern, erklärt Haselhuhn, ist das Verhältnis von Gesichtsbreite zu Gesichtshöhe generell ein Signal, das sich evolutionsgeschichtlich bewährt hat. Vor allem wenn sie mit anderen Männern um Ressourcen konkurrieren, signalisiert ein ausgeprägt breites Gesicht ein aggressives, egoistisches Verhalten.

Um ihre Hypothese zu überprüfen, führten Haselhuhn und Wong ein weiteres Experiment durch, ein Würfelspiel, das im Internet gespielt wurde. Zunächst sollten die 103 Versuchspersonen unter anderem Auskunft geben, als wie mächtig sie sich selbst einschätzen. Ansonsten brauchten sie nichts weiter tun als mit zwei Würfeln zu würfeln und dann die Augenzahl selbst in ein Formular einzutragen. Als Belohnung sollte es Lotterielose geben, mit denen man 50 Dollar gewinnen konnte. Es zeigte sich, dass die männlichen Probanden mit dem breitesten Schädel am häufigsten Augenzahlen präsentierten, die nicht stimmen konnten. Außerdem korrelierte das subjektiv empfundene Machtgefühl sowohl mit der angegebenen Augenzahl als auch mit dem Verhältnis von Gesichtsbreite und -höhe.

Keine übereilten Schlüsse

Haselhuhn und Wong warnen allerdings vor voreiligen Schlussfolgerungen. Es ist wichtig zu erkennen, betont Haselhuhn, dass Männer mit einem relativ breiten Gesicht nicht durch und durch schlecht sind. Die gleichen Macht- und Aggressionsgefühle, die amoralisches Verhalten auslösen, können nämlich ohne weiteres für die Gesamtgesellschaft nützlich sein, wenn sie in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Wären hingegen Gauner schon an ihrem breiten Gesicht zu erkennen, hätte ein so verräterisches körperliches Merkmal für sie von vornherein Nachteile mit sich gebracht und hätte schon längst völlig verschwunden sein müssen.