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Kunst forscht. Forscht sie?

Von Eva Stanzl

Wissen

In der Ästhetik streitet die Fachwelt über mehr als das Schöne.


Wien. Mit der Kunst geht es wieder einmal bergab. Einmal mehr verlieren wir uns in Diskussionen über Bedeutung. Mit dieser Polemik eröffnete Daniel Tyradellis seinen Vortrag, und fragte dann in den vollen Saal: "Ist ein solcher Satz das Ergebnis von Forschung? Oder ist es Kunst?" Bei einem Workshop des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften (IFK) zum Thema "Bildende oder Forschende Kunst?" berichtete der deutsche Kurator und Wissenschaftstheoretiker diese Woche in Wien aus seinem Ausstellungsrepertoire, in das sich auch eine Schau zur "Beweisbarkeit von Wundern" reiht.

Ähnlich schwer zu erklären wie ein Wunder scheint der Begriff der künstlerischen Forschung, um den sich der Workshop drehte, nämlich zu sein. Wenige Fachthemen werden derzeit so polemisch und erwartungsvoll diskutiert wie die Frage, was darunter zu verstehen ist. Künstler und Kunstuniversitäten haben die Forschung entdeckt, die auch die Budgets der Kunstuniversitäten aufbessert. So stellt der Wissenschaftsfonds FWF jährlich zwei Millionen Euro für Projekte zur Verfügung, die Forschung durch künstlerische Praxis zum Ziel haben. 2013 waren es sogar 2,5 Millionen für acht Projekte, etwa für "Holzkunst mit Robotern in Architektur und Design" oder "Ästhetik und Sprache von Faltung und Technologie".

Eine Form von Wahrheit

Geht es nach Tyradellis, unterscheiden sich so manche Projektanträge kaum von Konzeptkunst. "Kunst ist Grundlagenforschung", findet dagegen Alexander Damianisch, zuständig für Forschung an der Universität für angewandte Kunst Wien. Die Künstler nehmen uns Forschungsgelder weg, fürchten hingegen viele Geisteswissenschafter. Naturwissenschafter wiederum kritisieren den Ansatz an sich. Er führe zu einer Relativierung, ja Verwilderung des Wissensbegriffs, da es keine Experimente gibt, die wiederholbar sind, und kein objektiv messbares Resultat. "Die methodische Suche nach neuen Erkenntnissen ist, was Forschung im wissenschaftlichen Sinn definiert und antreibt. Erkenntnisgewinn liegt aber ebenso im Wesen der Kunst", erklärt dagegen der Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger, der im Vorjahr bei der Kunstausstellung "documenta 13" in Kassel seine Quanten-Experimente präsentierte.

Mit welchen Ergebnissen kann man künstlerisch forschen? Die Bezeichnung für die Disziplin kommt aus dem Englischen und kann unterschiedliche Formen annehmen: Bei "artistic research", künstlerischer Forschung, erhält Kunst den Status eines Eigenschaftswortes. Der Plural "Arts Based Research" bezeichnet Forschung, die auf Kunst basiert.

Was wie ein Detail aussieht, macht einen maßgeblichen Unterschied im Forschungsbereich der Ästhetik. Seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts spricht die Fachliteratur nicht mehr von den Künsten, sondern der Kunst. Waren die "artes" noch unterschiedliche Disziplinen, die gleichberechtigt nebeneinander oder in Konkurrenz zueinander standen und schmücken, unterhalten oder geistreich sein sollten, erhielt Kunst mit Hegels "Ästhetik" einen anderen Status. Obwohl es immer noch bildende Kunst, Literatur oder Musik gab, wurde der gemeinsame Begriff zum Ort einer Wahrheit, die die Wissenschaften so nicht aussprechen konnten. Diese Tradition reichte bis zum Höhepunkt der Moderne im 20. Jahrhundert und fand wohl in den 1960er Jahren mit Theodor Adornos großer ästhetischer Theorie eine Art Abschluss. Mit der Postmoderne kamen dann die Künste zurück.

"Uns beschäftigt nun eine neue Akademisierung der Künste", erklärt Ingo Zechner, stellvertretender Direktor des IFK. In der Secession hatten Künstler die Akademien verlassen und eher das Innovative, Freie der Kunst angestrebt. Will die Kunst nun zu etablierten Formen zurückkehren? Oder kommt Forschung aus der Entwicklung der Künste selbst, die immer auf Erkenntnis abgezielt haben, sodass sie gleichberechtigt neben der Wissenschaft stehen?

Immanuel Kant fragte als erster Philosoph nach dem Erkenntnisgewinn der Kunst, indem er dem Schönen das Erhabene gegenüberstellte. "Das sind zwei unterschiedliche Darstellungsformenormen, jedoch geht es in beiden nicht darum, was einem gefällt oder nicht, sondern darum, dass Sinnes- und Denkleistungen an eine Grenze geführt werden", betont Zechner.

Erkenntnis durch Kunst

Im Kant’schen Sinn lotet Kunst Dinge aus, die mit anderen Mitteln nicht erfahren werden können. Der Philosoph beschreibt das Erhabene mit Hilfe von Erfahrungen von Naturkatastrophen: Dinge, die zu groß sind, um sie zu fassen, führen an die Grenzen der Wahrnehmungsleistung. Die Vernunft versucht durch Gedankenleistung zu erreichen, was die Sinneswahrnehmungen übersteigt. "In diesem Wechselspiel sieht Kant, was Ästhetik tut. Was er aus der Natur beschreibt, lotet die moderne Kunst systematisch aus, indem sie Betrachter an deren Grenzen treibt", so Zechner.

Diese Form der Erfahrung, die man nur in der Kunst gewinnen könne, "lässt sich nicht in abgeschlossene Begriffe fassen, denn das Sinnliche, die Wahrnehmung, die Vielfältigkeit des Einzelnen spielt in einer ganz anderen Art und Weise mit dem Verstand zusammen, als es bei einer Kategorienbildung der Fall wäre." So benutzt die Anthropologie den Begriff des Menschen anders als ein Film, der eine Vielzahl von Menschen in ihren Unterschieden nur einfach zeigt. "Künstlerische Forschung ist alles, was an Universitäten im Rahmen der Künste passiert und der Forschung analog ist", sagte Andrea Braith, Vizerektorin für Forschung der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Am 22. Mai setzt das IFK seine Reihe fort, diesmal mit einem Workshop zum Thema "Grenzenloses Wissen".