Zum Hauptinhalt springen

Unterwegs auf der grünen Welle

Von Kerstin Viering

Wissen
Die innere Uhr genügt bei Zugvögeln wie den Schwarzkehlchen nicht.
© Fotolia/ganryu

Woher wissen Zugvögel, wann sie losfliegen müssen? Zu dieser Frage kommen immer spannendere Details ans Licht.


Wien. Die Reisesaison ist in vollem Gange. Millionen von Zugvögeln machen sich in diesen Wochen auf den beschwerlichen Weg von ihren Winterquartieren in die Brutgebiete. Es ist ein logistisch anspruchsvolles Unterfangen, denn es gilt, zur richtigen Zeit das Ziel zu erreichen: Früh genug, um sich einen guten Partner und Nistplatz zu sichern. Aber auch nicht so früh, dass man noch mit winterlichem Nahrungsmangel zu kämpfen hat.

Die Rückreise jedes Jahr am gleichen Tag und in gleichem Tempo anzutreten, ist da keine Lösung. Dazu sind die Wetterverhältnisse zu unberechenbar: Tage, an denen im einen Jahr noch Frost herrscht, können im nächsten frühlingshaft sein. Woher also wissen die Vögel, wann sie in ihrem oft tausende Kilometer entfernten Winterquartier aufbrechen und wie lange sie unterwegs Pause machen müssen?

Taktgeber beeinflusst

"Das ist eine spannende Frage, die bisher noch nicht in allen Details geklärt ist", sagt Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell. Offenbar gibt es innere und äußere Faktoren, die das Timing der Fernreisenden beeinflussen. Und erst allmählich gelingt es Biologen, die Puzzleteile zusammenzusetzen. "Wir wissen, dass in diesen Tieren eine Art innere Jahresuhr tickt."

Experimenten zufolge folgen Schwarzkehlchen einem genetisch festgelegten Programm: Brut, Federwechsel und Zug müssen sich in einem bestimmten Rhythmus abwechseln. Gesteuert wird das durch Stoffwechsel und Energieverbrauch. Wie genau diese innere Uhr funktioniert, kann bisher aber niemand sagen. Klar ist, dass der richtige Takt allein nicht genügt. Damit die Uhr nicht vor- oder nachgeht, muss sie regelmäßig gestellt werden. Das übernimmt ein Reiz von außen: die Tageslänge. Wenn diese einen bestimmten Wert über- oder unterschreitet, wird die Zug-Phase eingeläutet.

Wenn das alles wäre, müssten die Tiere jedes Jahr stur den gleichen Zeitplan abarbeiten. Tun sie aber nicht. Das liege daran, dass die Taktgeber von Umwelteinflüssen überlagert werden. Untersucht wurde, was Nordamerikas Wanderdrosseln im April zum Aufbruch bewegt. Sie fliegen los, wenn die Tageshöchsttemperatur auf 20 Grad steigt - ein Zeichen für eine Wetterlage, die warme Luft in die Brutgebiete Kanadas und Alaskas schickt. Zudem darf es bei Sonnenuntergang nur gering windig sein, damit keine Turbulenzen nächtliche Flüge stören.

"Auch viele andere Arten orientieren sich wahrscheinlich an solchen einfachen Faustregeln", so Wikelski. Hinweise darauf hat er bei Blässgänsen gefunden, die in Westeuropa überwintern und im arktischen Russland ihre Kinderstuben haben. Mittels kleiner Sender haben die Forscher die Wanderungen verfolgt. Besonders im Auge hatten sie dabei die Rastplätze.

Wärme und Pflanzenwachstum

Wann kam die fliegende Kundschaft jeweils an diesen Gänse-Tankstellen an? Und von welchen Umweltfaktoren konnte das abhängen? Einen deutlichen Zusammenhang hat ein Team um Andrea Kölzsch vom Max-Planck-Institut dabei zwischen dem Ankunftstermin und der Temperatur gefunden. Offensichtlich erreichten die Vögel ihre Raststätten immer dann, wenn es besonders rasch wärmer wurde. Das ist aus Gänsesicht auch ein günstiger Moment. Denn Satellitenbilder verraten, dass zu dieser Zeit auch der Startschuss für das Pflanzenwachstum fällt und damit Futter vorhanden ist. "Das alles spricht dafür, dass Blässgänse sozusagen mit der grünen Welle fliegen", so Wikelski.

Zwar weiß bisher niemand, ob sie auf den beschleunigten Temperaturanstieg reagieren, auf die Farbe der Vegetation oder auf vorausfliegende Artgenossen. Jedenfalls folgen sie dem Ergrünen der Vegetation nordwärts. Und da sie zwischendurch mehrfach Rast machen, müssen sie auch nicht schon vom Start weg die Situation am Ziel voraussehen. Wenn das Wetter noch zu winterlich ist, können sie ja ein paar Tage länger an der Tankstelle bleiben und sich zusätzliche Energiereserven anfressen.

Auch bei anderen Arten haben die Forscher Indizien dafür gefunden, dass sie sich am Grün orientieren - sowohl bei ihren Interkontinentalflügen als auch bei kleineren Reisen in ihren Winterquartieren. Immer scheint es darum zu gehen, sich das zum jeweiligen Zeitpunkt günstigste Nahrungsangebot zu sichern. Dieses Prinzip haben Kuckucke ebenso verinnerlicht wie Neuntöter oder Sprosser.

Sie folgen damit einer Strategie, mit der sie ihren Reisezeitplan flexibel gestalten können. Wikelski ist optimistisch, dass sich viele Vögel auf die Herausforderungen des Klimawandels einstellen können. Wenn das Frühjahr eher beginnt, folgen sie der grünen Welle früher. Jedoch kann es sein, dass sie dann woanders Rast machen müssen als heute. Gebiete mit günstigem Klima und reichem Nahrungsangebot könnten sich in einer wärmeren Welt weiter nach Norden verschieben. Wenn dort statt potenzieller Vogel-Tankstellen längst Städte und Agrarflächen liegen, haben die Wanderer aber ein Problem.

Keine Individualreisenden

Vielleicht ist es nicht das einzige. Neue Theorien sägen auch an dem Dogma, nach dem Kuckuck und Co. strikte Individualreisende sind. Lange galt es als ausgemacht, dass bei den kleinen Vögeln jeder für sich reist, ohne sich um die anderen zu kümmern. Inzwischen gibt es den Verdacht, dass auch bei diesen Wanderungen eine Schwarmintelligenz am Werk sein könnte.

Biologen kennen solch ein Phänomen von den Gnus in der Serengeti, die in endlosen Formationen dort herumwandern. Und die am Anfang der Kolonne scheinen Informationen an ihre weiter hinten wandernden Kollegen weiterzugeben. "So ähnlich könnten sich auch Schwalben an ihren Artgenossen orientieren", vermutet Wikelski. Ziehen die ersten das Tempo an, schließen sich die anderen an.

Doch was ist, wenn durch Jagd, Lebensraumzerstörung und andere Bedrohungen die Zahl der Reiseteilnehmer schrumpft? Möglicherweise klappt die Nachrichtenübermittlung dann nicht mehr so richtig und der flexible Zeitplan bricht zusammen. Ohne ihren gewohnten Massentourismus auf den interkontinentalen Luft-Autobahnen könnten die Fernreisenden der Tierwelt also in massive Schwierigkeiten geraten.