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Löwenherz als Goldgrube

Von Wolfgang Machreich

Reflexionen
Familienaufstellung mit "Cartoon"-Figuren (die mittelalterlichen Buchdarstellungen nachempfunden sind) rund um König Löwenherz in Dürnstein.
© Machreich

Im März vor 830 Jahren ging der Lösegeld-Deal zur Freilassung des englischen Königs über die Bühne - mit vielen Fragezeichen bis heute.


Geld und Gold brachten Richard Löwenherz ins österreichische Gefängnis, viel Geld und viel Silber brachten ihn auch wieder heraus. Sein Reichtum war es, der die Identität des englischen Königs auf der Rückreise von Palästina nach England vor 830 Jahren in Wien-Erdberg auffliegen ließ.

Darin und dass die Gefangennahme an keinem standesgemäßen Ort passierte, sind sich die ansonsten unterschiedlichen Erzählstränge über die Wiener Endstation des Kreuzzug-Helden einig. Eine ärmliche Absteige, ein domus despecta, ein verächtliches Haus, soll es gewesen sein, in dem Löwenherz, als Pilger oder Kaufmann verkleidet, Quartier bezog und sich ein Brathuhn zubereitete. "Er hatte es auf einen Holzstab gesteckt und wendete es mit eigener Hand", beschreibt der Benediktinermönch und Chronist Otto von St. Blasien die Küchenszene, die dem König zum Verhängnis wurde.

Denn "Richard war mit der Rolle eines Dieners nicht vertraut genug, um sie überzeugend spielen zu können; er vergaß, beim Hühnerbraten auch den prächtigen Ring vom Finger zu nehmen, den er üblicherweise trug". Doppeltes Pech für Löwenherz: Seine Gedankenlosigkeit nicht genug, saß in der Schenke zufällig ein österreichischer Kreuzzug-Veteran, der Ring und Träger erkannte. "Er lief zu seinem Herrn und führte ihn mit Bewaffneten zurück zur Taverne", heißt es bei Otto von St. Blasien: "Als Leopold den König mit einem gebratenen Huhn in der Hand erblickte, lachte er ihn erst aus und nahm ihn dann gefangen."

Gedenktafel in Wien-Erdberg.
© Machreich

Im Innenhof der heutigen Adresse Erdbergstraße 41 erinnert eine Inschrift an dieses Stück Weltgeschichte, das die Küche der einst dort angesiedelten Gaststätte Jägerhaus oder Rüdenhaus als Bühne nützte. Die herzogliche Lachsalve beim Wiedersehen Leopolds mit seinem Kreuzritter-Kollegen ist auf der Gedenktafel nicht erwähnt, sehr wohl aber die Gefangennahme des Königs und dass dieser "von da nach Schloss Dürnstein a.d.D. gebracht wurde".

Wer heute diesem Weg die Donau entlang ins Herz der Wachau und den Berg hinauf zur Burgruine Dürnstein folgt, wird beim Torbogen von einer vor sich hin rostenden eisernen Stele und den darin eingestanzten Lettern "LEGENDE" begrüßt. Allein diese Einordnung lohnt bereits den Aufstieg. Der Begriff bietet für die damals handelnden Personen und die ihnen zugeschriebenen Handlungen den passenden Rahmen.

Dezenter Hinweis...
© Machreich

"Die widersprüchlichen Aussagen verdunkeln die tatsächlichen Umstände von Richards Gefangennahme unaufhellbar", schreibt der deutsche Mittelalter-Historiker Knut Görich in einer Abhandlung über die Gefangenschaft. Bei allen unterschiedlichen Tendenzen ist laut Görich den Quellen eines gemeinsam: "Durch Auswahl bestimmter Einzelheiten zeigen sie je nach Standpunkt, daß durch Beachtung oder Verletzung bestimmter Formen Ehre erwiesen oder aber Ehre verletzt, Ansehen gewahrt oder verloren wurde."

Otto von St. Blasien vertrat in seiner Geschichtsschreibung den Standpunkt der deutsch-österreichischen Fraktion. Die englischen Chronisten gaben ihren Berichten einen völlig anderen Spin. Bei ihnen ist von einer Erdberger Hendlbrater-Schmähung keine Rede. Auch die in anderen Überlieferungen gewählte Version, ein Begleiter von Löwenherz habe beim Einkaufen mit byzantinischen Goldmünzen in der Silberpfennig-Stadt Wien Verdacht erregt, spielt kaum eine Rolle. Okay, Richard war auch in den englischen Chroniken verkleidet, was für einen König unwürdig genug war. Doch mit einem Grillspieß in der Hand ergeben habe sich ihr Held in der Wiener Vorstadt keineswegs. Laut englischer Sicht wurde Löwenherz im Schlaf überrascht, trotz schierer Übermacht wollte er sich aber keinesfalls ergeben und sei, getrieben von nobler Ritterlichkeit, dem österreichischen Herzog stolzen Hauptes entgegen geschritten, habe ihm sein Schwert freiwillig überreicht.

Wunderwaffe

Dieses Schwert ist übrigens nicht die sagenhafte Waffe des sagenhaften König Artus gewesen. Mit "Excalibur", dem unbesiegbaren Schwert des Tafelrunde-Chefs, war Richard Löwenherz zwar in den Dritten Kreuzzug gestartet. An einer vielseitigen Verknüpfung der Artus-Sage mit dem britisch-französischen Herrschergeschlecht der Plantagenets und seines tüchtigsten Sprosses arbeitete Richards PR-Abteilung zur Profilierung seines Markenkerns intensiv. Doch am Weg ins Heilige Land wurde Richard des geliehenen Helden-Images überdrüssig.

Er wollte nicht länger in den Artus-Mythosstapfen wandeln, sondern seinen eigenen Mythos erschaffen. Löwenherz verschenkte die Wunderwaffe an den König von Sizilien - als großzügigen Dank für eine gütliche Streitbeilegung und eine glückliche Passage.

Ein Glück, das Herzog Leopold dem eineinhalb Jahre später wieder von Palästina durch Österreich heimreisenden englischen König nicht für ein paar Kilo Schwertstahl, sondern erst nach Herausgabe von knapp zwei Dutzend Tonnen Silber gewähren wird. "Gierig und perfide", lautete das Urteil der Engländer über diese zweifellos üppige Maut. An dem die österreichische Diplomatie lange kiefelte: Bundespräsident Franz Jonas betonte noch bei seinem Staatsbesuch 1966 in London, dass "die österreichische Behandlung ausländischer Gäste sich sehr verbessert habe, seitdem König Richard Löwenherz auf Dürnstein gefangen saß".

Wie es zu dieser prestigeträchtigsten Geiselnahme und lukrativsten Lösegeld-Erpressung des Mittelalters aber überhaupt kommen konnte, ist mehr als acht Jahrhunderte später immer noch fragwürdig.

Ein paar hundert Meter nach der Ortstafel von Dürnstein, den Wanderweg hinauf zur Ruine, sind die damaligen Protagonisten in einer Art hochadeliger Familienaufstellung als Cartoon-Figuren platziert. In der Mitte Löwenherz. Neben ihm Blondel, ein Minnesänger, der seine und Richards Lieder singend von Burg zu Burg zog, um den König zu suchen, bis er diesen in Dürnstein fand.

Blondel ist in Dürnstein mehr als präsent...
© Machreich

Die Geschichte ist zu schön, dass man sie aufgrund dünner Faktenlage nicht weiter tradieren und in Dürnstein mit touristischer Geschäftstüchtigkeit erfüllen sollte. Das Gleiche gilt für den ebenfalls in dieser Runde aufgestellten Robin Hood. Der passte mit seinem seit Jahrhunderten immer wieder neu adaptierten Image vom gesetzlosen Wegelagerer zum sozialen Freiheitskämpfer einfach zu gut in Richards Freilassungs-Entourage, dass er diesem Legenden-Reigen fernbleiben konnte.

23-Tonnen-Transport

Eleonore von Aquitanien, der Mutter von Richard, gebührt aber in dieser Hinsicht das größte Recht, in Dürnstein hinter ihrem Sohn zu stehen. Sie war der Motor, um die astronomisch hohe Lösegeldforderung von 100.000 Mark Silber innerhalb kürzester Zeit durch eine kompromisslose Sonderbesteuerung aller Untertanen, Kirchen und Orden nicht ausgenommen, einzutreiben. Im Winter 1193/94 soll sie den 23 Tonnen schweren Geldtransport von London nach Mainz mit 194 Tragetieren höchstselbst eskortiert haben, um ihren Sohn auszulösen. Wie viel Geld das selbst für die Plantagenets war, zeigt sich an einer Vergleichsbilanz, laut der die jährlichen königlichen Einkünfte aus England und der Normandie lediglich gut die Hälfte des Lösegelds ausmachten.

Im Frühjahr vor dieser winterlichen Geld-Karawane, am 25. März 1193, hatte Löwenherz dem horrend hohen Kopfgeld zugestimmt. Zähneknirschend, doch die Geiselhaft hätte ihn noch teurer kommen können. Nur dank seiner königlichen Grandezza und meisterhaften Rhetorik konnte er einen Schauprozess gegen ihn beim Hoftag in Speyer gewinnen. Das Geld war zwar futsch, aber Leben, Land, Freiheit und Ehre hatte er wiedergewonnen.

Mit dem abgepressten Geld machten die beiden Kidnapper halbe-halbe. Leopold V. gab Löwenherz nach zähen Verhandlungen über die Aufteilung des Lösegelds an Heinrich VI., den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, weiter. Der Exkommunikation durch den Papst für den Frevel, einen Kreuzritter eingesperrt zu haben, konnte er trotzdem nicht entgehen. Dabei war laut landläufiger Meinung der Zug ins Heilige Land der eigentliche Auslöser für dieses unheilige Schlamassel gewesen. Auf dem Weg hinauf zur Ruine Dürnstein wird auf einer Geschichtstafel ein Fragezeichen hinter diese Verquickung angedeutet. Grund dafür ist die "höchst seltsame" Reiseroute des Engländers durch Österreich und Wien, "sollte Richard doch die Rachegelüste Leopolds V. aufgrund der Beleidigung von Akko erahnen".

Ehre und Rache

Die Frage der Ehre, auf die hier angespielt wird, handelt vom Zerwürfnis zwischen Leopold und Löwenherz nach der Einnahme der Hafenstadt im Sommer 1191. Richard sollte den Anteil des Österreichers am Sieg und an der Beute geleugnet und Leopolds Banner in den Dreck stampfen lassen.

"Weil Gottes ausgleichende Gerechtigkeit (Richards) Anmaßung nicht länger ungerächt hinnehmen wollte, übergab sie ihn den Händen und der Macht jener, die er selbst zuvor als verachtenswert verworfen und schmachvoll zurückgewiesen hatte", verteidigt Otto von St. Blasien die der Logik von verletzter Ehre und vergeltender Rache folgende Festnahme des Königs. Was aber, wenn auch der Disput zwischen Leopold und Löwenherz, so wie die mit Soldatenblut getränkte Entstehung der österreichischen Landesfarben Rot-Weiß-Rot in der Schlacht um Akko, eine spätere Geschichtsklitterung ist?

"Um auf diese Weise die seitens der Kirche streng untersagte Festnahme eines heimkehrenden Kreuzritters zu rechtfertigen?", stellt der Wiener Historiker Robert-Tarek Fischer in seiner Löwenherz-Biographie diesen Verdacht gut begründet in den Raum: "In den Propagandakampagnen um die Gefangenschaft des Königs von England nahm man es mit der Wahrheit von beiden Seiten nicht immer allzu genau, weshalb hinter das wahre Ausmaß des Eklats von Akko zumindest ein Fragezeichen zu setzen ist."

Ein dickes Rufzeichen steht hingegen hinter den Infrastrukturmaßnahmen, die Leopold mit der englischen Lösegeld-Budgetspritze in Wien, Hainburg, Enns, Wiener Neustadt und anderswo tätigte. Womit das viele erpresste Geld und Silber nicht nur die Ehre von König und Herzog wiederherstellte, sondern dem Auf- und Ausbau des noch jungen Österreichs diente.

Wolfgang Machreich lebt als freier Autor und Journalist in Wien.