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Wenn die Muse auf Abwege gerät

Von Edwin Baumgartner

Wissen

Kann ein Werk der NS-Propaganda künstlerischen Rang besitzen?


Es ist der altbekannte Mechanismus: Ein weitgehend vergessener deutschsprachiger Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird neuerlich zur Diskussion gestellt, irgendjemand schreit auf, besagter Künstler sei ein Nazi gewesen, worauf alle Medien in den Chor der Verdammnis mit einstimmen, ohne sich ein einziges Mal die Frage zu stellen, ob es nun ein guter oder ein weniger guter Künstler gewesen sein mag.

Problemfall zwischen künstlerischem Wert und Moral: Leni Riefenstahls Methode, Massen in Szene zu setzen, prägte die Filmkunst. Im Bild Hitlers Lieblingsregisseurin bei Dreharbeiten.
© wiki commons

Einer der jüngsten Fälle ist der des Tiroler Komponisten Josef Eduard Ploner (1894-1955). Niemand bezweifelt, dass Ploner ein Nationalsozialist der fast ersten Stunde war, der schon 1937, als der Nationalsozialismus in Österreich noch verboten war, den Eid auf Adolf Hitler ablegte. Antisemitische Ausfälle in der Folgezeit sind dokumentiert. Ein Charakter so übel, wie es an üblen Charakteren manch einen in dieser Zeit gibt.

Das Institut für Tiroler Musikforschung brachte eine Doppel-CD mit Werken Ploners auf den Markt, es folgte das antifaschistische Aufheulen der Medien, schnell ließ man die CD wieder verschwinden. Was freilich niemand geschrieben hat: Das Booklet zur CD erklärt ohne Beschönigungen, wie es um Ploners Verhalten in der NS-Zeit bestellt war. Nun hat das Tiroler Musikforschungszentrum die Sache Ploner im Internet weiter aufgearbeitet, und es wäre an der Zeit, die CD wieder herauszubringen. Denn die Musik Ploners ist vielleicht kein Spitzenprodukt ihrer Zeit, aber sie ist handwerklich hervorragend gearbeitet, thematisch und melodisch ausgezeichnet erfunden und die konturgeschärfte spätromantische Harmonik hat etwas durchaus Reizvolles. Kurz: Ploner ist eine echte Entdeckung.

Schlampige Aufarbeitung

Und damit beginnt das große Problem der deutschen Musik des 20. Jahrhunderts: Wie ist sie zu bewerten, wenn sich ihr Komponist persönlich allzu sehr der verbrecherischen nationalsozialistischen Diktatur anschloss und am Ende seine Musik auch noch in ihren Dienst stellte? Ursache des Dilemmas ist, dass die nationalsozialistische Vergangenheit nach 1945 lange Zeit von allen Seiten parteiisch und damit schlampig aufgearbeitet wurde. Zwischen den Nürnberger Prozessen der Siegermächte und einer völligen Vertuschung jeglicher Annäherung an die NSDAP schien es keine Grauzonen zu geben.

Selbst einem Komponisten wie Werner Egk, der sein Schaffen mehrfach in den Dienst der NSDAP gestellt hatte, gelang es, sich im befreiten Deutschland als ein unbefleckter künstlerischer Exponent des Wirtschaftswunders zu etablieren. Als dann um 1980 Egks braune Flecken zutage traten, entbrannte eine Hetze gegen ihn, die ihrerseits die Vertuschungsmanöver an Intensität noch übertraf. Der mittlerweile hochbetagte Komponist setzte sich nicht zur Wehr, und auch sein Verlag unternahm keine entsprechenden Schritte, wohl um nicht selbst mit seinen Manövern während der NS-Zeit ins Visier der spät gekommenen Aufarbeiter zu geraten. Dass mit dieser Hetze einer der besten Opernkomponisten, den der deutsche Sprachraum im 20. Jahrhundert hatte, buchstäblich aus der Musikgeschichte getilgt wurde, ist jenen Autoren nicht einsichtig, die zwischen dem Charakter eines Künstlers und dem Wert seines Schaffens nicht unterscheiden wollen oder nicht unterscheiden können.

Dessen ungeachtet bleibt die Frage: Kann ein Kunstwerk, das eine verbrecherische Ideologie unterstützt, dennoch künstlerisch so überzeugen, dass man es drucken oder aufführen oder ausstellen sollte? Zumeist lautet die Antwort, glücklicherweise gäbe es keine solchen Kunstwerke, offenbar sei mit der Unterstützung eines verbrecherischen Regimes eine künstlerische Mittelmäßigkeit verbunden. Aber stimmt das tatsächlich? Oder will man nur nicht genau hinschauen, um in keinen moralischen Tornado zu geraten, der das Potenzial hätte, das Unterste zuoberst zu kehren?

"Antisemitisches Machwerk"

Wobei das größte Problem weder die Kunst-, noch die Literatur-, noch die Musikwissenschafter haben. Da sich Hitler speziell für den Film interessierte, haben es die Filmwissenschafter. Die beiden Paradefälle heißen "Jud Süß" und "Kolberg". In beiden Filmen führte Veit Harlan Regie, in beiden spielen Heinrich George und Harlans Frau Kristina Söderbaum Hauptrollen.

"Jud Süß" wird in der Regel als "antisemitisches Machwerk" bezeichnet. Nur die Hälfte dieser Bezeichnung ist korrekt: "Jud Süß" ist antisemitisch - ein "Machwerk" ist er nicht. Die Gefährlichkeit des Films besteht gerade in seiner enormen künstlerischen Qualität. "Jud Süß" überzeugt als Film, und er kann, lässt man ihn unreflektiert auf sich wirken, damit auch von seinen Inhalten überzeugen. Dass die nicht von den Nationalsozialisten erfunden sind, sondern vom emigrierten jüdischen Autor Lion Feuchtwanger, der kein antisemitisches Bild des historischen Finanzexperten Joseph Süßkind Oppenheimer aus dem 18. Jahrhundert zeichnen wollte, sondern ein antikapitalistisches, das jedoch zu einem antisemitischen geriet, spielt dabei eine periphere Rolle.

Der 1945 gedrehte Film "Kolberg" ist Durchhalte-Propaganda, das Drehbuch klingt, vor allem in der Rahmenhandlung, als habe Propagandaminister Joseph Goebbels selbst daran mitgearbeitet. Doch die Schauwerte sind, ebenso wie die darstellerischen Leistungen, überwältigend. Bis heute darf "Kolberg" nur mit Zustimmung der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung gezeigt werden. Zumindest bis 2006 wurde ein begleitendes Arbeitsmaterial mitgeliefert, das eine historische Unwahrheit enthält: Entgegen den Materialien, die eine Geschichtslüge der Nationalsozialisten behaupten, verlief Napoleons Belagerung, ganz wie im Film gezeigt, keineswegs erfolgreich. Tatsächlich konnte die Stadt bis zum Friedensschluss gehalten werden.

Die Filme der Regisseurin Leni Riefenstahl sind ein ähnlicher Problemfall an der Grenze von künstlerischem Wert und Moral. Bis heute haben die Werke von Hitlers Lieblingsregisseurin Spuren auch in englischen und amerikanischen Filmen hinterlassen: Leni Riefenstahls Methode, Massen in Szene zu setzen, oft vor einem statuarischen Hintergrund, und Licht und Schatten als Kompositionselement zu verwenden, sind prägend. Selbst ein Propagandafilm wie "Triumph des Willens" über den NSDAP-Reichsparteitag 1934 in Nürnberg erhält dadurch eine überlegene künstlerische Qualität, die man von dem verhetzenden Inhalt fein trennen muss. Etwas, das Filmwissenschaftern im Grunde gar nicht schwerfällt, wenn sie sich mit der Sowjet-Propaganda Sergej Eisensteins auseinandersetzen. Hier stellt sich durchaus die Frage, weshalb Eisenstein eine Methode der Betrachtung zugestanden wird, die man Harlan und Riefenstahl nahezu ausnahmslos verweigert.

Wenn das Bild trügt

Während sich die Literaturwissenschafter nur mit dem stilistisch überragenden französischen Antisemiten Louis-Ferdinand Céline und dem nicht minder ausdrucksgewaltigen österreichischen NS-Befürworter Arnolt Bronnen herumschlagen müssen und die Kunstwissenschafter bloß mit dem künstlerisch so hochstehenden wie moralisch verkorksten Bildhauer Arno Breker und dem genialen Maler, den Lockungen des "germanischen Übermenschentums" jedoch erlegenen Emil Nolde (alle anderen Autoren und darstellenden Künstler mit entschiedener NS-Neigung kann man getrost vergessen), haben es die Musikwissenschafter schwerer: In welchem Ausmaß sich prominente Komponisten wie Werner Egk, Wolfgang Fortner, Winfried Zillig und viele andere über ein Mitläufertum hinaus tatsächlich kompromittiert haben, ist erst noch zu klären.

Mitunter trügt auch das Bild: Der österreichische Komponist Franz Schmidt gilt gemeinhin als kompromittiert wegen seiner Kantate "Deutsche Auferstehung" nach Texten aus der NS-Zeitung "Völkischer Beobachter". Tatsächlich war Schmidts Verstand zum Zeitpunkt der Abfassung des Werks nur noch in kompositorischen Dingen ungetrübt. Sein größter Verteidiger war sein Schüler Marcel Rubin, Jude, Kommunist und leidenschaftlicher Gegner von allem, was nur ansatzweise einen nationalsozialistischen Übelgeruch verbreitet.

Für Ploner wird es solche Verteidiger mit Sicherheit nicht geben - er hat es schwerer als die meisten, denn für ihn spricht nur sein Werk. Das aber mit einer Stimme, die vernommen sein will.