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Palmyra - ein 3D-Puzzle für Restauratoren

Von Eva Stanzl

Wissen

Russland will Palmyra wieder aufbauen. Doch was genau bedeutet "Wiederaufbau" im Fall eines zerstörten Weltkulturerbes?


Der Westen atmet auf, Syriens Regimetruppen feiern einen großen Sieg und die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) erleidet eine herbe Niederlage: Am Sonntag hat Syrien die Stadt Palmyra dem Würgegriff der Terrorgruppierung entrissen. Doch was ist übrig vom Weltkulturerbe Palmyra? Wie gut und wie schnell kann die antike römische Stadt restauriert werden? Noch bevor jemand die Zerstörungen im Detail gesichtet hatte, kündigte die Politik am Dienstag bereits den Wiederaufbau der antiken Stadt an. Experten halten eine überstürzte Herangehensweise aber höchstens für opportunistisch, jedoch keineswegs realistisch.

Zum Hintergrund: Der IS hatte Palmyra im Mai vergangenen Jahres erobert. In den Folgemonaten schockierte die Miliz die Welt durch brutale Hinrichtungen in den Ruinen der antiken Stadt und die Zerstörung zweier bedeutender Tempel, des berühmten Triumphbogens und zahlreicher Grabmäler. Unmittelbar nach der Rückeroberung am Sonntag gab das offizielle Syrien aber schon Entwarnung, die Zerstörungen seien weniger umfassend, als die Berichterstattung der letzten Monate befürchten ließ. "Ich war der traurigste Altertümerdirektor der Welt. Heute bin ich der glücklichste", sagte Mamoud Abdul-Karim, Direktor der syrischen Altertümerverwaltung, am Sonntag in Damaskus. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die beschädigten Bauten innerhalb von fünf Jahren restauriert werden könnten.

Politisch gutes Bild

Am Dienstag bot Russland an, eine führende Rolle bei der Wiederherstellung der syrischen Weltkulturerbestätte zu übernehmen. Moskau wolle als enger Partner des Regimes in Damaskus schon in Kürze Minensuchfachleute und Spürroboter entsenden. "Wenn unsere Experten die Vorstadt von St. Petersburg wieder aufbauen konnten, können sie auch Palmyra restaurieren", sagte der Kulturpolitiker Michail Schwydkoi mit Blick auf die Weltkriegsschäden in der russischen Stadt.

Doch was genau könnte den Wiederaufbau Palmyras darstellen? Andreas Schmidt-Colinet, Archäologe der Universität Wien und Grabungsleiter von 1980 bis Kriegsbeginn 2010, warnt vor überstürzten Ankündigungen. "Natürlich gibt es politisch ein gutes Bild ab, tatkräftige Unterstützung als Zeichen gegen den Terrorismus anzukündigen. Aber Sie können nicht eine Rose zum Blühen bringen, indem sie die Knospe aufdrücken, sondern der Frühling kommt nur allmählich. Ähnlich kann niemand sagen, was in Palmyra zu tun ist, solange niemand die archäologische Stätte genau untersucht hat", sagt er zur "Wiener Zeitung".

Was die Syrer mitten im Krieg zurückgewonnen haben, ist eine Ruinenstadt. "Natürlich kann man selbst da versuchen, die Tempel wieder aufzubauen", sagt der Archäologe. "Aber ohne die Menschen wäre das eine antike Geisterstadt. Man muss erst neue Häuser bauen. Und dann muss ein Team aus Archäologen, Historikern, Sozialforschern, Museumsleuten, Architekten und dem syrischen Antikendienst ein Konzept machen und entscheiden, wie weit man bei den Restaurierungsarbeiten gehen will."

Konkret geht es um eine Grundsatzfrage des Fachs, nämlich jene des Originalzustands. Allein für das Heiligtum des Bel, auch Bel tempel genannt, von dem nur noch die Außenmauer erhalten ist, könnte man sich nämlich auf mindestens vier Varianten einigen. Es könnte jene Version wiederhergestellt werden, die vor dem IS-Berserkertum stand. Man könnte aber auch die Moschee wiederaufbauen, als die der Beltempel über 1200 Jahre fungierte. Oder die byzantinische Kirche, der er vom 6. bis zum 8. Jahrhundert diente, oder den Tempel, als der er im ersten Jahrhundert erbaut wurde.

Selbst wenn sich Experten und Politik auf die wohl leichteste und auch wahrscheinlichste Variante einigen, dem Baaltempel seinen Zustand vor genau einem Jahr wiederzugeben, gestaltet sich das Vorhaben auch dann weder einfach noch flott. "Man muss schauen, welches Material noch greifbar ist und wie stark es zerstört ist. Dann muss eine Bestandsaufnahme von allen Stücken gemacht werden. Dann muss eruiert werden, welche Funktion jeder Stein im Bauwerk erfüllte - schon allein das dauert fünf Jahre", sagt der ehemalige Grabungsleiter. "Danach muss man alle Teile zeichnen und erst dann kann man den Tempel dreidimensional rekonstruieren."

Jeden Stein dokumentieren

Etwa Derartiges ist bei der Celsus-Bibliothek in Ephesos geschehen. Ihre Überreste wurden 1903 bei Ausgrabungen entdeckt. Ab 1967 dokumentierte der Archäologe Volker Michael die 750 Teile der eingestürzten Fassade, die teils im ganzen Stadtgebiet verstreut lagen und teils nach Izmir gebracht worden waren. Mit den Mitteln österreichischer und deutscher Baufirmen wurde die Fassade von 1970 bis 1978 wiederaufgebaut. "Wir haben uns das als Studenten angesehen", erinnert sich Schmidt-Colinet. "Alle Steine mussten von allen Seiten gezeichnet werden, bevor man sie in der Realität wieder zusammensetzen konnte. Es war wie ein dreidimensionales Puzzle."

Außerdem ist nur jener Teil von Palmyra, der zu Beginn der Grabungen 1980 gut erhalten war, Stein für Stein erforscht und bis ins Detail dokumentiert. Nur 15 bis 20 Prozent der Stadt seien bisher ausgegraben, gibt der französische Historiker Maurice Sartre zu bedenken: Was unterirdisch zerstört worden sei, sei "für die Wissenschaft für immer verloren". Eine Landkarte des Untergrunds mit Hilfe von Bodenradar und Magnetfeldmessungen, wie etwa jene der rituellen Landschaft von Stonehenge, die viel größer ist als das Steinmonument selbst, gibt es für Palmyra in dieser Genauigkeit nicht.

Die Unesco will eine Kommission zur Sichtung der Kriegsschäden in der historischen Oasenstadt entsenden. Die Organisation der Vereinten Nationen will am 4. April über einen Besuch beraten. "Erst brauchen wir einen völligen Überblick. Die Terroristen haben den Triumphbogen sowie Tempel und Statuen zerschlagen und einen Teil der Anlage vermint", sagte Russlands Unesco-Vertreterin Eleonora Mitrofanowa.

Mit dreidimensionalen Modellen will ein französisches Start-up zum Erhalt des kulturellen Erbes Syriens beitragen. Erste virtuelle Ansichten sind bereits im Netz verfügbar. Für die Aufnahmen im Rahmen des Projekts "Syrian Heritage" in Zusammenarbeit mit einheimischen Archäologen und der syrischen Antikenbehörde setzten die Experten mit Kameras ausgestattete Drohnen ein und fügten die Einzelaufnahmen zu einem dreidimensionalen Modell zusammen. Auch die britische Universität Oxford und die US-Hochschule Harvard arbeiten in einem Gemeinschaftsprojekt an virtuellen Nachbildungen wichtiger syrischer Kulturstätten.

Die Oasenstadt Palmyra nordöstlich von Damaskus in der zentralsyrischen Wüste war eines der herausragenden Zentren des Altertums. Die Unesco 1980 erklärte die Ruinen der ehemaligen Handelsmetropole der legendären Königin Zenobia zum Weltkulturerbe. Durch ihre Lage an einer der wichtigsten Handelsrouten zwischen dem Römischen Reich, Persien, Indien und China hatte Palmyra in den ersten Jahrhunderten nach Christus große Bedeutung. Der Baal-Tempel, der Baal-Shamin-Tempel, Triumphbogen und weitere imposante Ruinen im Tal der Gräber machten das vor dem syrischen Bürgerkrieg beliebte Touristenziel zu einem der bedeutendsten Komplexe antiker Bauten im Nahen Osten. Nach heftigen Kämpfen hatte die Terrormiliz IS die syrische Armee im Mai 2015 aus Palmyra vertrieben. Die Extremisten haben zahlreiche einzigartige archäologische Überreste vernichtet. Sie enthaupteten auch den früheren Chef-Archäologen von Palmyra, Khaled Asaad. Neben den Ruinen liegt eine gleichnamige Stadt.

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