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"Herr der Hyänen" und "alter Vampir"

Von Alfred Pfoser

Wissen
Der rote Kaiser: Diese Skultpur wirbt auf der Mariahilferstraße für die Ausstellung "Fest und Alltag" (bis 27. 11. im Hofmobiliendepot).
© Ingeborg Waldinger

Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurde der Kaiser - wie die gesamte Habsburg-Dynastie - zum Gegenstand zahlreicher scharfer Polemiken der Sozialdemokraten.


Nicht nur die "Kronenzeitung" sprach am Tag danach von "niederschmetterndem Schmerz" und "unsäglicher Trauer". Seitenlange Loblieder auf seine Herrschaft erschienen in den Zeitungen, Felix Salten griff in den journalistischen Schmalztopf. Was wurde da nicht alles abgerufen an höchsten Tugenden: Güte, Ritterlichkeit, hehre Weisheit, durchdringender Verstand, Fleiß, die Fähigkeit, stets die richtige Entscheidung zu treffen. Das Bild vom festen Band, das sich zwischen ihm und seinen Untertanen in den 68 Jahren seiner Herrschaft herausgebildet habe, wurde bemüht, die förmliche Einheit von Staat und Kaiser und nun fällige Dankbarkeit wurden nochmals beschworen.

Der ganze, von Tragik umflorte Franz Joseph-Mythos, den die habsburgische Geschichts- und Geschichtenwerkstatt mit großem Aufwand am Leben gehalten hatte, ergoss sich nochmals mit vollem Schwall über die Seiten der Zeitungen und Zeitschriften. Karl Kraus ätzte in der Fackel über den "Trauerschmock" dieser Tage.

Kritischer Einspruch

Nur wenige Journalisten in Wien hoben sich vom Chor der üblichen Formelhaftigkeit ab. Einer von diesen war Friedrich Austerlitz, der legendäre Chefredakteur der "Arbeiter-Zeitung". In seinem noch heute lesenswerten Leitartikel nahm er den Tod des Kaisers am 21. November 1916 zum Anlass, um mit enormem historischen Wissen und scharfem Verstand ein großes Porträt zu zeichnen, das mit sprachlicher Eleganz und inhaltlicher Dezenz auch alle Hürden der Zensur nahm und doch nicht mit kritischer Klarsicht geizte. Austerlitz fasste das lange Zeitalter Franz Josephs und den besonderen Charakter des Herrschers mit scheinbar analytischem Wohlwollen an, um auch das Fatale seiner Persönlichkeit zur Sprache zu bringen. Den Weltkrieg nahm er als Rahmen, merkte an, dass der "Friedensfürst", als der sich Franz Joseph inszenierte, in einem "Meer von Blut und Tränen" ein unwürdiges Lebensende fand.

Austerlitz diskutierte die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte, merkte an, dass "Monarchen, obgleich alles scheinbar in ihrem Namen und in ihrem Willen geschieht, bei dem drängenden Leben allzu oft nur Zuschauer sind". An großen Veränderungen mangelte es wahrlich nicht in Franz Josephs Regentschaft, die mit exzessiven gegenrevolutionären, neoabsolutistischen Ansprüchen begann und einer (semi-) konstitutionellen Verfassung endete! Industrialisierung, Urbanisierung, das moderne Verkehrswesen, der Kampf zwischen Großkapital und Handwerk, die Entwicklung vom Kurienwahlrecht zum Allgemeinen Wahlrecht, der Aufstieg der Arbeiterbewegung, das Drängen der Nationalitätenkonflikte drückten den verschiedenen Zeitspannen seiner Herrschaft den Stempel auf.

Austerlitz sah in Franz Joseph vor allem einen Beamten, an dessen Gewissenhaftigkeit sich so manche Behörde ein Beispiel hätte nehmen können, dem aber Zielbewusstsein, Vision und kraftvolle Steuerung fehlte, der oft genug zögerte und den großen Kräften der Zeit nichts entgegenzusetzen wusste. Es war signifikant, dass er sich keine starken Minister an seine Seite holte. In Österreich hatte eine strategische Begabung wie Bismarck im Deutschen Reich offenbar keinen Platz.

Noch zu Lebzeiten hatten der Kaiser und seine Umgebung dafür gesorgt, dass seine Majestät in mythische Höhen emporschwebte. So hatte er seiner Gestalt in der Öffentlichkeit etwas Schlichtes, Ambitionsloses, immer Uneitles gegeben; Prunk schien ihm nichts zu bedeuten. Seine häufigste Ansage war, "dass das oder jenes hübsch sei, das oder jenes ihm gefallen habe". Die aktuellen Entwicklungen in den Wissenschaften und Künsten haben ihn nicht interessiert. Seine Stärke war aufgrund seines Alters und seiner langen Regierungsdauer die Beständigkeit, die ihm ein fühlbares und immer gefühltes Gewicht gab. Beharrlich und unbeirrbar war er einzig im Gedanken an die Dynastie und ihre Dauer: "Inmitten der Stürme der Zeit saß er in Schönbrunn und regierte."

In der Monarchie war das Bild des Kaisers bei den Sozialdemokraten nicht per se negativ. Franz Joseph hatte mitgeholfen, das Allgemeine Wahlrecht in Österreich durchzusetzen und den Parlamentarismus zu stärken. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurde allerdings der Ton in der Sozialdemokratie gegenüber Franz Joseph rauer ("Der alte Vampir", "Der Kaiser, der Blut wollte"), obwohl die Kritik in der Regel nicht ihn, sondern alle Habsburger adressierte.

Die Abrechnung mit dem Krieg und die sich daraus ableitende Verdammung der Habsburger bildeten das wichtigste ideologische Fundament für die "neue Zeit". Die Sozialdemokraten setzten auf den Bruch mit der Vergangenheit, beschäftigten sich mit den immensen Kosten eines geldgierigen, volksfernen Kaiserhauses ("Der teure Kaiser") und klagten im Namen der Millionen Toten, Invaliden, Vermissten und Kriegsgefangenen "jene verbrecherische Hof- und Militärkamarilla [an], der eines senilen Kaisers Willkür und Gnade schrankenlose Macht über Leben und Lebensglück von Millionen und aber Millionen gegeben hatte".

Landesverweisung des Kaisers und Konfiskation des habsburgischen Familienvermögens waren für Staatskanzler Karl Renner logisch ("Gesetz der Geschichte") und in der Bevölkerung populär.

Friedrich Austerlitz hatte in seinem klugen Nachruf auf den Kaiser im November 1916 angemerkt, dass der persönliche Anteil Franz Josephs an der Auslösung des Weltkriegs ungewiss sei. Auch nach der Öffnung der Archive 1918 konnte eine exakte Antwort auf diese Frage nicht gegeben werden (und ist heute noch eine Streitfrage). Eine der Lieblingsausreden des Kaisers war der Spruch: "Man hat mich drangekriegt"; mit derselben Phrase soll er auch Besuchern seine Unterschrift beim Kriegsmanifest erklärt haben. 1918 diente diese Rede so manchem Monarchisten als Exkulpation; Berater, Minister und Militärs hätten den friedliebenden Kaiser ausgetrickst.

Mächtige Marionette

Für die Sozialdemokraten war dieser Freispruch unerträglich, zeigte er doch, wie die Macht über das Schicksal von Millionen in der Einfältigkeit eines senilen, leicht beeinflussbaren Greises lag. Franz Joseph erschien als die geistig absente Marionette, mit deren Namen, mit deren Prestige Millionen ohne jede wirkliche Not, bloß im Namen der Ehre in den Krieg geschickt wurden.

Karl Kraus, im Gleichklang mit der Sozialdemokratie, setzte in der Pointierung noch eins darauf, ließ den "Herr der Hyänen" in seinen "Letzten Tagen der Menschheit" mit Backenbart auftreten und den "Nörgler" räsonnieren: "Wissen Sie, wofür wir jetzt büßen? Für die Ehrfurcht, zu der uns solche Gestalten herausgefordert haben!" In den ersten Jahren der Republik arbeitete sich die linke Reichshälfte des Landes, nicht zuletzt durch Karl Kraus’ Vorlesungen, offensiv an der Habsburg-Legende und am Franz-Joseph-Mythos ab. Die erscheinende Literatur lieferte so manches Argument für negative Zuschreibungen und unterstützte die Kritik eines Charakters, der getragen war durch Arroganz, Gefühlskälte, Antriebslosigkeit, dürftige Bildung, Eifersucht gegenüber den Thronfolgern oder nachtragende Eitelkeit, wenn es um seine Herrscherautorität ging.

Verantwortlich für den Mythos war eine bestens geölte Propagandamaschine, die auch nach dem Zusammenbruch der Monarchie in den Köpfen und in der Popularkultur herumspukte. Für die Sozialdemokraten war unheimlich, wie der politische Gegner gegen Ende der 1920er Jahre die Restitutionsvorhaben auf die politische Agenda setzte und gleichzeitig die Habsburgerlegende ihre erfolgreiche Wiederbelebung feierte. Briefwechsel wurden publiziert, Biographien veröffentlicht, die Zeitungen rückten rührselige Franz-Joseph-Geschichten ein, im Burgtheater wurde ein Stück über ihn aufgeführt, ein Film mit Originalaufnahmen kam in die Kinos, Romane trugen zur Verklärung, freilich auch zur Ironisierung (wie Joseph Roths "Radetzkymarsch") bei, überdies entdeckte das Operettentheater ("Im Weißen Rössl") Franz Joseph als wirksame Bühnenfigur. Die Monarchisten waren zwar oft entsetzt über Banalisierung und partielle Kritik, aber letzten Endes profitierte die Gruppe um den eben großjährig gewordenen Otto von Habsburg von diesem Rummel, als dieser die Legitimisten wieder als relevante Kraft auf die politische Bühne holte.

Die antiparlamentarische, autoritäre Bewegung machte Franz Joseph, der immer wieder seinen Reichsrat ausschaltete, zum politischen Patron. Die im Stephansdom arrangierte Feier zu seinem 100. Geburtstag im Juni 1930 wurde zum großen Staatsakt. Nicht nur die österreichische Aristokratie versammelte sich hier, auch die Bundesregierung - allen voran Bundeskanzler Johannes Schober - fand sich ein, ebenso eine Abordnung des Bundesheeres. Der von Kardinal Piffl zelebrierte Festgottesdienst endete im gemeinsamen Singen der Kaiserhymne. Die Sozialdemokraten schäumten.

Habsburgergesetze

Die neu entfachte Begeisterung um seinen 100. Geburtstag war allerdings nur der Auftakt zur Franz-Joseph-Wiederbelebung, die der Austrofaschismus zu seiner nicht und nicht gelingenden Popularisierung initiierte. 1936 öffnete eine große Franz-Joseph-Ausstellung im Schloss Schönbrunn ihre Pforten. Mit großem gesellschaftlichen Getöse konstituierte sich eine Gesellschaft zur Errichtung einer Franz Joseph-Statue, die endlich Wien seinen großen Herrscher wiedergeben sollte. Hinter verschlossenen Türen verhandelte Bundeskanzler Kurt Schuschnigg mit Otto Habsburg über ein politisches Comeback, scheute aber wegen möglicher außen- und innenpolitischer Komplikationen die Öffentlichkeit.

Ein Gesetz wurde verabschiedet, das für die Habsburger die Landesverweisung aufhob und ihnen das bedingungslose Recht zum Aufenthalt in Österreich erlaubte; gleichzeitig wurde die Rückgabe des Familienvermögens (vor allem Immobilien) beschlossen. Politisch war dies Wasser auf die Mühlen der Nationalsozialisten, die nach dem Anschluss ("Operation Otto") die neuen Habsburgergesetze sofort wieder rückgängig machten.

Nach 1945 ging das Gezerre um Landesverweisung, Thronverzicht und Vermögensrückstellung (allerdings mit verminderter Temperatur) weiter, bis es 1963 in der sogenannten Habsburg-Krise einen letzten Höhepunkt fand. Bruno Kreisky legte den Kulturkampf um die Habsburger ad acta und gab damit den Weg frei, dass Folklore und Tourismus endgültig die Modellierung des Franz-Joseph-Bildes als "liaben Himmelvater" in die Hand nahmen.

Alfred Pfoser, geb. 1952, Kulturhistoriker und Publizist. Veröffentlichungen zur österreichischen Zeitgeschichte, vor allem zum Ersten Weltkrieg und zur Zwischenkriegszeit. Lebt in Wien.