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Brot und Spiele in Carnuntum

Von Eva Stanzl

Wissen
Tavernen und Amphitheater: Hochauflösende Radardaten zeugen von eigenem Stadtviertel für den Freizeitbetrieb. Visualisierung: LBI ArchPro/7reasons

Archäologen entdecken ein Vergnügungsviertel im antiken Römerlager im heutigen Niederösterreich.


Carnuntum/Wien. Wenn Wolfgang Neubauer seine archäologischen Entdeckungen beschreibt, malt er mit Worten Bilder. "Von der Stadt führte eine Straße hinaus zum Amphitheater. Linker Hand Souvenirgeschäfte, Tavernen, Imbissstuben und kleine Schenken mit Händlern und Damen, die ihre Dienste anboten. In den Hinterhöfen der Tavernen Kellergewölbe, die noch heute intakt sind, als Lager für Wein-Amphoren für die zahlreichen Trinker", sagt der Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie zur "Wiener Zeitung": In Carnuntum wurde ein Viertel entdeckt, das der Volksbelustigung diente und in seiner Ausdehnung dem Begriff "Brot und Spiele" alle Ehre machte.

Bei den Untersuchungen des antiken römischen Militärlagers im heutigen Niederösterreich haben Neubauer und sein Team mit modernen archäologischen Prospektionsmethoden einen komplett neuen Stadtteil entdeckt. Bei dem aufsehenerregenden Fund handelt es sich um eine Vergnügungsmeile aus der frühen Zeit der einstigen Donaumetropole. Bei den seit 2012 laufenden Erkundungen des Untergrunds stießen die Wissenschafter in Zusammenarbeit mit der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik auf die überraschenden Strukturen.

Magnetometer und Bodenradarsysteme ermöglichen es, Mauern bis in eine Tiefe von drei Metern zu scannen und mit bildgebenden Verfahren sichtbar zu machen. Ohne eine einzige Grabung traten im Zuge der Arbeiten das großteils aus Holz gebaute Amphitheater für rund 13.000 Zuschauer und die Vergnügungsmeile zum Vorschein.

"Die Entdeckungen sind überraschend", sagte Neubauer, der die Ergebnisse zusammen mit der niederösterreichischen Landesrätin Petra Bohuslav und dem wissenschaftlichen Leiter der Römerstadt Carnuntum, Franz Humer, am Donnerstag vor Ort präsentierte. Ähnliche Bauwerke kenne man zwar schon von Überbleibseln anderer römischer Siedlungen, wie Pompeji. Eine solche Infrastruktur jetzt aber in Carnuntum so geballt zu finden, sei erstaunlich.

Hochauflösende Radardaten zeigen Strukturen für Expertenaugen - etwa Führungsrillen in Mauern, die es ermöglichten, die Geschäftsläden zu schließen, oder gemauerte U- und L-förmige Bartresen mit Löchern für Tongefäße, in denen Speisen von unten warm gehalten wurden. Aus der Literatur ist den Forschern wiederum bekannt, dass Gladiatorenstädte keine Sperrstunde hatten - zusammengenommen ergibt all dies ein detailreiches Bild.

War Carnuntum größer?

Im Vergnügungsviertel existierten auch ein Getreidespeicher sowie eine magnetische Anomalie in den Radar-Daten, die laut den Forschern darauf schließen lässt, dass mit Feuer gearbeitet wurde. "Dort befand sich ein großer Backofen", so Neubauer: Offenbar schätzten die Besucher der Gladiatorenspiele frisches Brot.

"Wer das Volk dazu bringen wollte, ihn zu wählen, musste die Spiele finanzieren und von Organisationsteams ausrichten lassen", sagt Neubauer: "Was heute korrupt ist, hat sich damals gehört." Geschäftsfreunde wurden nach den Kämpfen zu Banketten geladen, während das Volk im Vergnügungsviertel weiterfeierte, das einzig vom Freizeitbetrieb lebte - "in etwa so wie heute bei Fußball-Meisterschaften".

Die Infrastruktur, die auch einen Tempel umfasste, wurde um das 2. und 3. Jahrhundert genutzt. Später musste das Amphitheater einer Stadtmauer weichen. Seine Ausmaße belegen die Bedeutung Carnuntums: Laut den Forschern war der Ort vermutlich größer als angenommen. Der Stellenwert der Arena zeige sich darin, dass ein neues Amphitheater aus Stein, dessen Mauerreste heute noch zu sehen sind, rasch erbaut wurde. In Carnuntum wurden immer wieder Truppenkontingente für die Feldzüge gegen die Barbaren im Norden zusammengezogen, wodurch "Brot und Spiele" auch an der Außengrenze des Reichs großen Stellenwert hatten.