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Schönbergs Lieblingsschüler

Von Ilona Gälzer

Wissen

Er war Chorleiter, Dirigent, Komponist und fünf Jahre musikalischer Direktor der Covent Garden Opera in London: Eine Erinnerung an den bei Wien geborenen Karl Rankl (1898-1968).


Wird man 1898 als 14. von 18 Kindern in einem kleinen Dorfgasthaus in Gaaden bei Mödling geboren, so ist die Wahrscheinlichkeit gering, eine internationale Musikerkarriere zu machen; auch wenn der Ort in einer - wie ein Journalist einst so treffend formulierte - "musikverseuchten Umgebung" liegt und der Vater im Wirtshaus gerne aufspielte.

Das musikalische Talent des jungen Karl Rankl erkannten jedoch Wiener Sommergäste; sie unterstützten Karls Ausbildung und blieben ihm durch Jahrzehnte freundschaftlich verbunden. Nach einem Umweg über die Handelsakademie und durch die Gräben des Ersten Weltkriegs fand Rankl in Arnold Schönberg einen charismatischen Lehrer, der ihn in kürzester Zeit in Kontrapunkt, Harmonielehre, Instrumentation und Musikanalyse unterwies - und dem er bis zuletzt in tiefer Verehrung verbunden blieb.

Die Wertschätzung beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit: Schönberg lud den jungen Rankl zur Mitwirkung im Verein für musikalische Privataufführungen ein; später nannte er Rankl einen seiner Lieblingsschüler, auf dessen Karriere er stolz sei. Als Schönberg gegen Ende seines Lebens erkannte, dass er die begonnene "Jakobsleiter" nicht mehr fertig stellen könne, bat er Rankl, der mit seinem Orchesterstil vertraut sei, um deren Instrumentierung. Dass Rankl diese letzte Bitte Schönbergs trotz ehrlichen Bemühens nicht erfüllen konnte, war auch seiner damaligen Arbeitslast als Operndirektor von Covent Garden geschuldet.

Assistent von Klemperer

Schönberg verlangte von seinen Schülern die Beherrschung der klassischen Musiktradition, damit sie imstande wären, die zeitgenössische Musik zu verstehen bzw. in deren Formensprache zu komponieren. Nach einem ergänzenden Kapellmeisterkurs bei Anton Webern wandte sich Karl Rankl zunächst der reproduzierenden Kunst zu und wurde Korrepetitor und Chorleiter an der Wiener Volksoper.

Mit der großbürgerlichen Welt kam er bei Musikabenden im Hause Jahoda in Berührung. Als er die Tochter Adele Jahoda heiratete, stieg der Druck, eine dauerhafte Stellung anzunehmen. Er ging als Kapellmeister nach Reichenberg, dann nach Königsberg und erzielte seine ersten Erfolge als temperamentvoller Operndirigent. Von der Kritik wurden ihm glänzende Aufführungen attestiert. Seine Musikbesessenheit und sein Ehrgeiz brachten ihn für drei Jahre als Assistent Otto Klemperers nach Berlin an die Krolloper.

Er leitete den Krollchor, assistierte bei Neueinstudierungen und vertrat Klemperer bei Bedarf am Pult; dies vorwiegend bei zeitgenössischen Opern. Daneben leitete er den Berliner Schubert Chor, dessen Programm er radikal veränderte. Statt alter Volkslieder wurden nun revolutionäre Tendenzlieder einstudiert. Sehr wirkungsvoll brachte Rankl einige Arbeiterchöre von Hanns Eisler, seinem Studienfreund aus der Schönberg-Zeit, zur Uraufführung. Er erzielte damit zwar einen künstlerischen Erfolg, aber keine Breitenwirkung.

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Nach Schließung der Krolloper folgte ein Engagement als erster Kapellmeister am Preußischen Staatstheater Wiesbaden; dort wurden Rankl seine Berliner Aktivitäten allerdings zum Verhängnis. Man sah in ihm einen hochbegabten Dirigenten mit ausgeprägter Musikalität und überragender Gestaltungskraft, aber mit allzu revolutionärer Gesinnung. Rankl gehörte nie einer Partei an; trotzdem wurde die Auseinandersetzung um seine Person härter und führte zur vorzeitigen Vertragsauflösung. Die Wartezeit auf ein neues Engagement nutzte er zum Komponieren mehrerer Kampf- und Arbeiterlieder.

Überraschend bot man ihm 1933 einen Vertrag als Erster Kapellmeister und Musikalischer Leiter der Städtischen Bühnen Graz an. Zum Einstand brachte er innerhalb von zehn Tagen Wagners "Ring der Nibelungen" in fulminanten, hoch gelobten Aufführungen zu Gehör. Wenngleich Wagner und Strauß zu seinen bevorzugten Komponisten gehörten, versuchte er immer wieder, Zeitgenössisches in sein Programm einzubauen - allerdings zunächst nur in homöopathischen Dosen, um das Publikum nicht zu verschrecken. Die Auslastung des Grazer Stadttheaters stieg dank der gut besuchten Opernaufführungen beachtlich.

In der Ära Rankl kam es zu publikumswirksamen Neueinstudierungen des gängigen Opernrepertoires, aber auch zu viel beachteten, sowohl von der Kritik als auch vom Publikum geschätzten österreichischen Erst- und Uraufführungen; darunter Werke, die heute kaum mehr bekannt sind, wie etwa Holenias "Viola" oder Bittners "Das Veilchen"; aber auch solche, die heute zum Repertoire aller Opernhäuser zählen, wie "Die schweigsame Frau" von Richard Strauss.

Nach vier erfolgreichen Saisonen, in denen er nicht nur viele Opern, sondern auch Symphoniekonzerte des Städtischen Orchesters dirigierte, wechselte Rankl 1937 als Generalmusikdirektor und Nachfolger von Georg Szell an das Deutsche Theater Prag. Mutig brachte er dort ein Jahr später Ernst Kreneks "Karl V." zur Uraufführung, ein Werk, dessen Aufführung an der Wiener Staatsoper bereits einige Jahre zuvor durch rechtsradikale Kreise verhindert worden war.

Emigration nach England

Rankls Haltung, aber auch die halbjüdische Herkunft seiner Ehefrau Adele ließen es geboten erscheinen, zu emigrieren. Nach einem ersten erfolglosen Versuch, in der Schweiz Fuß zu fassen, bat er von der Tschechoslowakei aus Arnold Schönberg, der zu dieser Zeit schon in den USA lebte, um Hilfe. Es dürfte Schönbergs Intervention bei Sir Adrian Boult, dem Musical Director der British Broadcasting Corporation London, zu verdanken gewesen sein, dass Rankl eine Einladung nach England erhielt.

Die Rankls lebten zunächst bei Adeles Schwester, der Medizinerin Clara Jahoda, in Bristol auf sehr engem Raum, der zeitweise auch mit Adeles Cousine, der Sozialwissenschafterin Marie Jahoda (bekannt für ihre Studie "Die Arbeitslosen von Marienthal"), geteilt werden musste. Nach einigen Monaten wechselten die Rankls nach London und Karl wurde einige Monate auf der Isle of Man interniert. Von der ausgebombten Wohnung in London floh man schließlich zu Bekannten nach Oxford. Da Rankl in seinem Beruf nicht arbeiten durfte, widmete er sich in dieser Zeit vor allem dem Komponieren; so entstanden in Oxford zahlreiche Lieder und die zweite, dritte und Teile der vierten Symphonie. Nach schwerer Erkrankung konnte durch Zufall und die Hilfe des Gelehrten Prof. Gilbert Murray und dessen Frau Lady Mary eine neue Existenz aufgebaut werden. Mit dem London Philharmonic Orchestra, dem Orchester der BBC und dem Liverpool Philharmonic Orchestra konzertierte Rankl bald in allen größeren Städten des Landes.

Während des Zweiten Weltkrieges ruhte der Opernbetrieb im Londoner Opernhaus Covent Garden; das Haus war für Tanzaufführungen vermietet, Orchestermusiker und Chorsänger hatten sich zerstreut, so sie nicht im Krieg gefallen waren. Wollte man das Haus wieder für einen Opernbetrieb öffnen, war ein völliger Neubeginn notwendig. Mit dieser Aufbauarbeit für einen ganzjährigen, vorwiegend englischsprachigen Spielbetrieb hatte der Betreiber, der Verlag Boosey & Hawkes, 1946 überraschend Karl Rankl beauftragt.

Es war eine Sisyphusarbeit, der sich Rankl mit all seiner Kraft widmete: Er reiste kreuz und quer durchs Land, bis er Orchester und Chor - viele junge Sänger noch ohne Bühnenerfahrung - beisammen hatte und mit ihrer musikalischen Formung beginnen konnte.

In das ständige Ensemble fügten sich bekannte Gastsänger ein - eine Mischung, die zu großen Erfolgen führte. Als Operndirektor verlegte Rankl seinen Wohnsitz von Oxford nach London und nahm die britische Staatsbürgerschaft an. Zur Tätigkeit in Covent Garden kamen noch Gastengagements als Kapellmeister unter anderem in Berlin, Wien, Israel und Nizza hinzu.

Sommerliche Erholung von seinem fordernden Beruf fand er in Österreich am Wolfgangsee, wo er zunächst bei Familie von Grasern, den Freunden aus seiner Reichenberger Zeit, auf Schloss Hüttenstein bei St. Gilgen logierte. Dort fand er die Ruhe zum Komponieren - und dort entstand auch seine einzige Oper, "Deirdre of the Sorrows"; sie wurde seinerzeit mit dem Kompositionspreis des Arts Council of Britain gewürdigt, blieb aber bis heute unaufgeführt.

Mit St. Gilgen verbunden

In St. Gilgen fühlte Rankl sich so wohl, dass er später einen Sommersitz erwarb: das heute nicht mehr existente Hochreithaus mit einem herrlichen Blick auf Berge und See. Auch sein privates Umfeld veränderte sich. Der Trennung von Adele Jahoda folgte die Verbindung mit der jungen Christine von Grasern. Mit ihr an seiner Seite nahm er ein fünf Jahre dauerndes Engagement als Leiter des Scottish National Orchestra in Glasgow/Edinburgh an, in dessen Programmen sich wieder zahlreiche Ur- und Erstaufführungen fanden, u.a. Musik von Hindemith, Enescu, Strawinsky, Walton, Blacher.

Als 1953 bis 1955 für die wieder aufgebaute Wiener Staatsoper ein musikalischer Direktor gefunden werden sollte, war neben Karajan und Böhm offenbar auch Rankl im Gespräch. Karl Böhm wurde es schließlich - und Rankl zog sich enttäuscht zurück. Da es ihm nicht gelang, nach dem Krieg einen nachhaltigen Kontakt zur österreichischen Musikszene aufzubauen, nahm er ein zweijähriges Engagement in Australien als Direktor der Elizabethan Trust Opera Company in Sydney an.

Es war sein letztes fixes Engagement, danach übernahm er nur mehr Gastdirigate. Erschöpft von der jahrelangen Hektik seines intensiv betriebenen Kapellmeisterlebens, konzentrierte er sich aufs Komponieren. In St. Gilgen entstanden unter anderem seine 7. und 8. Symphonie sowie das Oratorium "Der Mensch". Nach schwerer Erkrankung starb Rankl 1968 in Salzburg und wurde am Friedhof von St. Gilgen begraben, in jenem Ort, der für ihn der "Himmel auf Erden" blieb.

50 Jahre danach ehrt St. Gilgen Karl Rankl am 22. Juli 2018 mit einem Festakt im Mozarthaus und mit der Aufstellung einer Büste im Seepark.

Literatur:

Nicole Ristow: Karl Rankl. Bockel Verlag, Neumünster 2017.

Privatarchiv S. Garai: Briefe Karl Rankls an seine Schwester Elisabeth Garai.

Zur Autorin:

Ilona Gälzer ist pensionierte Juristin und Fachschriftstellerin und beschäftigt sich vorwiegend mit lokalhistorischen Themen.