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"Erde wird überleben. Mit oder ohne uns"

Von Eva Stanzl

Wissen
Albert van Jaarsveld.

Albert van Jaarsveld, neuer Direktor des Instituts für Angewandte Systemanalyse, fordert ein anderes Wirtschaftssystem.


"Wiener Zeitung": Ob Erderwärmung, Gletscherschmelze oder Schülerproteste für Klimagerechtigkeit: Kein Tag vergeht ohne neue Meldungen zum Klimawandel. Deprimiert Sie das oder freuen Sie sich, dass Ihrem Institut die Arbeit nicht ausgehen wird?

Albert van Jaarsveld: Wissenschaft kann Evidenz liefern, aber ein politisches Momentum entsteht nur dann, wenn die Öffentlichkeit stark auftritt. Das ist beim Klimawandel jetzt der Fall. Der öffentliche Diskurs ist so realitätsnah, dass ich das Gefühl habe, dass er schon sehr bald in politische Entscheidungen und Strategien einfließen wird. Viele Menschen sind besorgt und reden darüber und sogar die Privatwirtschaft sucht nach adäquaten Antworten auf das Problem.

Welche Rolle spielt die Schülerbewegung "Fridays for Future"?

Sie ist ein Teil davon. Wenn junge Menschen derart starke Positionen einnehmen, ist das ein Signal an Entscheidungsträger, dass sie sie ernst nehmen müssen.

In Deutschland stellt die Bewegung konkrete Forderungen: Die Bundesregierung soll die Kohlesubventionen noch heuer stoppen und deutsche Kohlekraftwerke bis 2030 schließen. Ist das realistisch?

Ob es realistisch ist, hängt davon ab, ob die Gesellschaft bereit ist, die Kosten für die Umstellung des Wirtschaftssystems auf Energiegewinnung ohne Kohle zu tragen. Kohle hatte viel Zeit, um Energie-Spitzenreiter zu werden. In diese Position der Stärke kam sie aber nicht wegen überragender Qualifikationen, sondern weil sie subventioniert wurde. Als Gesellschaft sollten wir beschließen, die Gelder auf andere Formen der Energiegewinnung umzulenken.

Klimafreundliche Energien werden immer stärker subventioniert.

Subventionen für Sonne und Wind steigen. Regierungen setzen Anreize sowohl für Unternehmen als auch Privatpersonen. Da ein Kohlekraftwerk aber jederzeit an- und abgeschaltet werden kann, wodurch Kohle-basierte Netze viel leichter zu managen sind, müssen wir stärker in die Speicherung und die Infrastruktur investieren: Derzeit stellen wir hunderte Wind-Turbinen auf, es sollten aber tausende sein.

Warum die Zögerlichkeit?

Weil nicht genug Geld da ist. China investiert kräftig, ist aber noch immer um das Zehnfache zu langsam. Mit Energie ist wie mit jeder Geschäftsparte: Es gibt immer Eigeninteressen. Etablierte Kohle- oder Atomkraft-Unternehmen wollen das System so lange wie möglich aufrechterhalten.

Wer soll für die Energiewende bezahlen?

Wir müssen gemeinsam dafür aufkommen. Privatpersonen werden bereit sein müssen, einen Teil der Belastungen zu tragen - so geschehen mit Solarpaneelen auf Dächern. Solche Initiativen könnten Regierungen stärker fördern. Ein größerer Anteil wird jedoch auf Privatunternehmen entfallen müssen. Regierungen tragen zwar die Verantwortung, dem Land Energie zur Verfügung zu stellen, aber sie müssen sich aggressiver für Privatbeteiligungen in der erneuerbaren Energieproduktion öffnen, damit die Wende schneller vollzogen werden kann.

Wie sieht es mit der Energie-Infrastruktur aus - privat oder Staat?

Die Energie-Infrastruktur muss integriert als Kollektiv gemanagt werden. Wenn zwei Konkurrenten hier gegeneinander arbeiten, kann das die Netzstabilität gefährden. Stromausfälle wären die Folge und das ist keineswegs im Interesse der Öffentlichkeit.

Um die Klimaziele in Österreich zu erreichen, müssten Änderungen beim Verkehr in den Alltag jedes Einzelnen eingreifen, betont Infrastrukturminister Norbert Hofer. Er will unter anderem Mineralölsteuer und KfZ-Prämie anheben. Sie auch?

Wissen Sie, ich denke wir sollten unser Wirtschaftssystem insgesamt unter die Lupe nehmen. Denn wir stecken fest. Traditionell besteuern wir Aktivitäten, die wir für wichtig und erstrebenswert halten, wie etwa Arbeit. Aber wir zögern, Dinge zu besteuern, die nicht wünschenswert sind, wie Zucker oder CO2. Dabei könnten wir über die Steuern den Zuckergehalt von Getränken und die Nutzung von nicht schädlichen Energieformen einschränken, um auf ein nachhaltiges System zuzusteuern.

Was sollen ältere Menschen auf dem Land machen, die zum Supermarkt ins Einkaufszentrum fahren müssen, sich aber wegen hoher Steuern kein Auto mehr leisten können - mit der Bahn fahren?

Da die Bahn nicht bis vor jede Tür fährt, müssen wir entweder alle kleinen Geschäfte am Land wieder Existenzen ermöglichen oder akzeptieren, dass wir ohne umweltfreundlichen Individualverkehr nicht auskommen. Den gibt es erst in Ansätzen. Wir müssen ihn entwickeln und praktikable Transportsysteme, Nahrungs- und Lieferketten entwickeln. Hier am IIASA stellen wir fest, dass hinter gegenwärtigen Praktiken enorme versteckte Kosten stehen. Etwa fließen nicht nur Energie, sondern auch ungeheure Wassermengen in die Produktion und den Transport von Nahrungsmittel-Lieferungen, die dann vor Ort fehlen. Wenn wir international Handel betreiben, handeln wir indirekt auch mit Wasser. Diesen Austausch müssen wir verstehen, um neue Synergien und Vorteile zu schaffen.

Warum wissen wir das erst jetzt?

Ökonomen sagen es seit den 1950er Jahren. Um neue Wege zu finden, wurde dieses Institut in den 1970er Jahren gegründet. All diese Dinge sind die Konsequenzen unseres Wirtschaftsmodells. Ein mentaler Wandel ist wichtig nach einer Geschichte des Scheiterns unserer ökonomischen Modelle. Jetzt müssen wir überlegen, auf welchem Planeten wir leben wollen, und wie wir ihn erschaffen. Denn die Erde wird überleben. Mit oder ohne Menschen. Das hat sie in sämtlichen Massenaussterben bewiesen.

Auf welchen Säulen müsste ein neues Wirtschaftmodell erbaut sein?

Zu den Triebkräften zählen menschliche Entwicklung und Bildung. Mit einer Bevölkerung, die nicht auf die Anforderungen einer nachhaltigen Gesellschaft eingestellt ist, würde es schwierig. Wir müssen die Wirtschaft dekarbonisieren und eine Kreislaufwirtschaft in Kraft setzen, bei der Produkte lokal wiederverwertet werden. Wir müssen die Konsequenzen der Land- und Wasserverwertung für die Erde verstehen, Smart Cities weiterentwickeln und mit den Chancen und Bedrohungen der Digitalisierung richtig umgehen. Das sind einige der wichtigsten Herausforderungen.

Das IIASA macht Empfehlungen für die Politik. Hören die Entscheidungsträger auf Sie?

Wir präsentieren unsere Studien vor den höchsten Gremien. Ich habe den Eindruck, dass wir dort gehört und unsere Erkenntnisse im System zum Teil angewandt werden. Es gibt aber keine Einigkeit, wie die großen gesellschaftlichen Fragen zu lösen sind. Als IIASA müssen wir noch stärker für unsere Vorschläge werben, Anhängerschaften finden und Impulse geben. In der Politik gibt es Gruppierungen, die Richtlinien auf der Basis von Evidenz sehr befürworten und verstehen, warum gewisse Schritte unumgänglich sind. Deswegen ist auch das Ziel, den Klimawandel auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, zustande gekommen. Aber es gibt auch Gruppierungen, die Evidenz negieren, emotional gesteuert agieren und nicht die gesamte Bandbreite menschlicher Fähigkeiten einsetzen, um zu sinnvollen Lösungen zu kommen.

Wie stark ist die Fake-News-Fraktion der Entscheidungsträger?

Ich halte sie für nicht nachhaltig. Die Gesellschaft wird begreifen, dass diese Linie zu Konflikt führt und nicht im Interesse der Menschheit ist, zwar kurzfristige politische Siege bringt, aber auf längere Sicht ein Rückschlag ist. Als Südafrikaner stamme ich aus einem Land, das auf die harte Tour gelernt hat, welchen Schaden emotionale Rhetorik gepaart mit den falschen Maßnahmen anrichten kann.

Sie haben als Ökologe 100 Studien publiziert. Was wollen Sie für das IIASA erreichen?

Ich möchte sicherstellen, dass das Institut gut ausgestattet ist und sein Potenzial steigern kann und das Vertrauen unserer Geldgeber stärken. Wir wollen das Institut der Wahl für die besten Köpfe werden und diesen ermöglichen, einen Teil ihrer Karriere hier zu verfolgen. Damit sich eine neue Generation an Top-Forschern hier entwickeln kann, müssen wir Beschäftigungsstrukturen ändern. Derzeit kann man am IIASA einen Postdoc machen und mit Kurzzeitverträgen forschen. Künftig wollen wir ermöglichen, mit Langzeit-Verträgen eine Karriere aufzubauen. Dazu muss aber auch die die Finanzierung breiter aufgestellt werden. Wir stehen unter dem Druck, dass bei den gegenwärtigen Herausforderungen der Bedarf die Kapazität sprengt. Wir finanzieren uns zur Hälfte durch Beiträge der 22 Mitgliedsstaaten und zur Hälfte aus im Wettbewerb eingeworbenen Drittmitteln der EU, der Weltbank oder globalen Umweltfonds. Diesen Betrag müssen wir erhöhen, jedoch ohne abhängig zu werden. Daher sind die Mitgliedsbeiträge entscheidend.

Albert van Jaarsveld ist seit Ende 2018 Direktor des Instituts für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg. Der in Südafrika geborene Ökologe publizierte bisher rund 100 Studien, unter anderen in renommierten Journalen wie "Science" und "Nature". Van Jaarsveld fungierte in seinem Heimatland als Geschäftsführer der Forschungsförderungsgesellschaft und als Rektor der Universität von KwaZulu-Natal in Durban.