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Kreativität reicht bis ins Alter

Von Eva Stanzl

Wissen
Der Physiker Albert Einstein war sein Leben lang produktiv. Zu einer Schaffensspitze kam er aber mit seiner Relativitätstheorie schon früh.
© wikimedia commons

Nicht nur in der Jugend, sondern auch später im Leben erreicht das kreative Schaffen Höhepunkte.


Columbus/Wien. Wir werden immer älter. Wer aber meint, dass die Höhepunkte des Schaffens in erster Linie in der Jugend stattfinden, kennt nicht die ganze Geschichte. Denn Kreativität hat kein Alter. Spät im Leben erreicht das kreative Schaffen sogar neue Superlative. Das berichtet ein US-Team der Ohio State University anhand einer Analyse der Lebenszyklen von Nobelpreisträgern.

"Wir meinen, dass unsere Studie für jede Disziplin Geltung hat", wird Erstautor Bruce Weinberg, Professor für Wirtschaft an der der Ohio State University, in einer Aussendung zitiert. Man muss also nicht Albert Einstein, Eric Kandel, Leonardo da Vinci, Hildegard Knef oder Johann Wolfgang von Goethe sein, um das ganze Leben lang produktiv zu bleiben. Auch späte Krimiautoren, spätberufene Aquarell-Maler oder all jene, die in der Pension die Wohnung umbauen, würden im Rahmen der Forschungsergebnisse liegen.

Weinberg und seine Kollegen haben die Schaffenszyklen von 31 Preisträgern des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften untersucht. Die 1968 von der Schwedischen Reichsbank gestiftete Auszeichnung wird gemeinsam mit den Nobelpreisen nach denselben Kategorien und mit gleicher Dotierung vergeben und daher oft als Wirtschaftsnobelpreis bezeichnet.

Generell stellen die Forscher fest, dass die meisten Laureaten frühe Höhepunkte ihres Schaffens Mitte 20 und spätere geistige Spitzen Mitte 50 erreichten. Bahnbrechende konzeptuelle Arbeiten würden allerdings tendenziell früher veröffentlicht, berichten sie. Den Innovationstypus beschreiben sie als Querdenker, der etabliertes Wissen in Frage stellt und wie aus dem Nichts neue Ideen hervorbringt. Konzeptuelle Innovatoren erreichen schon früh das Optimum ihres Schaffens und vertieften sich erst später in bereits akzeptiertes Denken. In diese Kategorie fällt etwa Einsteins Relativitätstheorie, die der Physiker mit 26 Jahren darzulegen begann und die er in den Folgejahren zur allgemeinen Relativitätstheorie weiterdachte, die Materie, Raum und Zeit beschreibt.

Revolution versus Erfahrung

"Es gibt aber auch noch eine andere Sorte von Kreativität, die auf einem über Jahre aufgebauten Wissensschatz beruht", sagt Weinberg. Er nennt solche Forscher "experimentelle Innovatoren". Ihre Qualität sei es, Information auf bahnbrechende Weise in Bezug zu bringen und so zu interpretieren, dass dies zu neuen Sichtweisen auf ganze Forschungsbereiche führt. Da Nobel-Laureaten dieser Kategorie sehr viel Wissen ansammeln müssen, um die richtigen Vergleiche anstellen zu können, kämen experimentelle Innovationen eher später in der Karriere zustande.

Ausgehend vom Hauptwerk ordnete das Forschungsteam die Preisträger in verschiedene Kategorien, von hochkonzeptuell bis hochexperimentell, ein. Die Basis bildeten die Publikationen. Konzeptuelle Ökonomen berufen sich auf Annahmen, Beweise und Gleichungen und liefern Berechnungen im Anhang. Experimentelle Wirtschaftswissenschafter ziehen Schlüsse aus Fakten und beziehen sich in ihren Veröffentlichungen auf spezifische Einheiten und Objekte, wie Orte, Zeitspannen, Industrien oder Güter.

Das Schaffen wurde in Bezug zu dem Alter gesetzt, in dem die Laureaten die entscheidenden Beiträge in ihrem Feld leisteten. Je öfter die Arbeiten von Kolleginnen und Kollegen zitiert wurden, desto höher wurde ihr Stellenwert bemessen. Weinberg und seine Kollegen nahmen die Zahl der Zitationen als Maß dessen, was eine Studie bewirkte, und damit als Maß für Kreativität. Konzeptuelle Laureaten erreichten demnach ihre Spitzen mit 25 bis 29, experimentelle mit 55 und 57 Jahren.

Bisherige Vergleiche seien nur zwischen den Disziplinen angestellt worden - etwa zwischen Physikern und Medizinern. Solche Ergebnisse seien wenig konkret gewesen, betonen die Forscher. Ihnen zufolge wurde das Augenmerk nun erstmals auf die Wissenschafter selbst gelegt. "Es geht um den Zugang zur eigenen Arbeit", sagt Weinberg - zusammengefasst: Die Jugend stürzt etablierte Herangehensweisen, das Alter stellt neue Bezüge her.