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Designer-Babys, ja oder nein?

Von Eva Stanzl

Wissen
Es beginnt in der Zelle, mit einem Schnitt in die DNA. Eine Anwendung am Menschen sollte laut Experten aber noch geprüft werden.
© adobe stock/nathan

Methoden zur Gen-Manipulation machen ständig Fortschritte. Niemand kennt aber die Konsequenzen der Gen-Schere.


Keimbahnveränderungen, ja oder nein? Derzeit wird diese Frage in erster Linie in wissenschaftlichen Kreisen diskutiert. Doch auch die breite Öffentlichkeit, die mit den immer fortschrittlicheren Möglichkeiten der Gentechnik konfrontiert ist, muss sich mit dem Thema über kurz oder lang ernsthaft befassen.

Wollen wir sogenannte Designer-Babys, deren Erbanlagen dahingehend verändert werden, dass sie diese auch an ihre Nachkommen weitergeben, und wenn ja, wie weit wollen wir damit gehen? Wollen wir einzig und allein tödliche Erbkrankheiten eliminieren oder auch solche, die den Alltag sehr beschwerlich machen? Und wenn all dies schon machbar ist, wollen wir uns nicht auch gleich die Haar- oder die Augenfarbe selbst aussuchen und intelligenter werden?

Vorerst gegen Keimbahnveränderungen spricht sich der Direktor des Wiener Instituts für Molekulare Biotechnologie (Imba) in Wien, Jürgen Knoblich, aus. Designer-Babys mit Methoden wie der Genschere Crispr/Cas9 zu schaffen, sei "nicht vertretbar, weil wir letztendlich nicht die Sicherheit haben, was wir neben dem potenziellen Nutzen dem Kind an Schaden zufügen", sagte er am Montagabend im Rahmen einer "Wiener Vorlesung" zum Thema "Mensch der Zukunft: Selbst gemacht?". Knoblich plädiert daher dafür, über Keimbahnveränderungen ein Moratorium zu verhängen.

Vor einem Jahr gab der chinesische Wissenschafter He Jiankui über den Video-Kanal Utube die Geburt zweier Mädchen bekannt. Er habe das Erbgut der mit Hilfe von künstlicher Befruchtung gezeugten Zwillinge mit der Genschere Crispr/Cas9 so manipuliert, dass sie vor einer Ansteckung mit HIV geschützt seien, gab er bekannt. Dem Vernehmen nach gelang es ihm allerdings nicht, bei beiden Kindern beide Gen-Kopien (eine vom Vater, eine von der Mutter) im gesamten Körper auszuschalten. Am Montagabend wurde wenige Minuten vor Textschluss dieser Ausgabe bekannt, dass He‘s Arbeit schwere Mängel aufweist: Laut einem Bericht in "Technology Review" fehle die Beweisführung.

Weiters hat kürzlich der russische Biologe Denis Rebrikow ankündigt, mit Hilfe von vorgeburtlicher genetischer Manipulation erblich bedingte Taubheit heilen zu wollen. Knoblich ist allerdings nicht der Ansicht, dass all dies so einfach funktioniere. Es müsse sich erst herausstellen, welche längerfristigen Konsequenzen derartige genetische Behandlungen haben, sagte er. Die Frage sei auch, wer dafür hafte, wenn etwas schiefgehe. "Ich habe ein Riesenproblem mit diesen Forschern, die aus der Tiefe des wissenschaftlichen Sumpfes versuchen hervorzusteigen und sich zu profilieren, durch irgendwelche skandalösen Aussagen und Experimente", betont der Chef des Imba der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Für ihn sind trotz unterschiedlicher kultureller Ansichten "globale ethische Ansätze in der Wissenschaft" zum Thema nötig. Die Dringlichkeit einer globalen ethischen Übereinkunft steigt mit dem technischen Fortschritt. Erst vor wenigen Wochen wurde ein neues, genial erscheinendes Werkzeug entwickelt, der das Tor zur Routineanwendung weiter aufstoßen könnte: Prime Editing heißt die neue Methode, die in der einfachen Zelle beginnt.

Jede Zelle besteht aus drei Milliarden Buchstaben

Doch zum Hintergrund: Jede Zelle besteht aus drei Milliarden Buchstaben, auch Basen genannt. "Diese Buchstaben schreiben den gesamten Code, der alles festlegt, was uns ausmacht, das nicht durch die Umwelt geprägt ist. Wenn wir einen spezifischen Teil unserer 21.000 Gene verändern wollen, müssen wir ganz genau wissen, wo wir hin wollen", erklärte der Wiener Molekularbiologe Martin Moder bei einer Diskussion der Reihe "Weitblick im Hochhaus Herrengasse" zum Thema "Der optimierte Mensch". Als Mitglied der Kabarettgruppe "Science Busters" will Moder das Thema einer breiten Öffentlichkeit vermitteln.

Um also ihr Ziel im Erbgut zu erreichen, benötigt die Gen-Schere einen Spürhund, die Guide-RNA. Das ist ein Strang von Erbinformationen, der sich ausschließlich an die anvisierte Stelle anlagert. Die zweite Komponente, die in der Lage ist, die Veränderung durchzuführen, beinhaltet ein Protein, das sich an den Spürhund bindet. Von ihm wird es zu genau jener Stelle im Genom geführt, die verändert werden soll. "Dort kann das Protein tatsächlich die DNA durchzwicken", sagte Moder: "Das ist die Gen-Schere Crispr-Cas9."

Wie bei allen DNA-Schäden, die laufend im Körper passieren, repariert die DNA auch den Schnipp von selbst. Allerdings gilt die Effizienz des Verfahrens als noch nicht hoch, da es laut Experten auch außerhalb der angesteuerten Bereiche zu DNA-Doppelstrangbrüchen kommen könne. Somit können unerwünschte Veränderungen die Nebenwirkung sein.

Prime Editing, Superstar der Gen-Veränderung

Bei einer neuen Methode muss der Doppelstrang der DNA nicht mehr aufgeschnitten werden. "Prime Editing" gilt seit seiner Veröffentlichung vor wenigen Wochen als Superstar unter den Gen-Manipulatoren. Bei dem auf Crispr/Cas9 aufbauenden Verfahren genügt der Schnitt in einen einfachen DNA-Strang, um einzelne Bausteine des Erbgut-Moleküls zu tauschen, zu entfernen oder hinzuzufügen. Ob das sicherer ist, wird sich herausstellen, das US-Team um Andrew Anzalone von der Universität Harvard will jedenfalls 90 Prozent der 75.000 krankheitsbringenden Gen-Veränderungen korrigieren können. In Zellversuchen für Sichelzell-Anämie und Tay-Sachs-Syndrom hat es bereits geklappt.

Laut Experten sind weitere Verbesserungen nötig, bevor eine Anwendung am Menschen in Betracht gezogen werden kann. Doch erst wenn wir die Auswirkungen gut abschätzen können, könnten wir die Frage, ob wir in die Keimbahn eingreifen sollen, vorbehaltlos beantworten. Realistisch betrachtet ist das aber nie perfekt möglich. Das zeigen Beispiele aus der natürlichen Evolution, die wir schon jetzt außer Kraft setzen. Sie funktioniert sehr gut, solange Menschen mit Negativ-Mutationen sterben oder sich nicht paaren. Doch während Scharfsichtigkeit zu Neandertaler-Zeiten ein Überlebensfaktor war, stirbt heute kaum jemand an drei Dioptrien. Auch pflanzen sich Menschen fort, die dies auf natürlichem Weg nicht könnten. Über kurz oder lang könnten sogar Frauen länger fruchtbar bleiben, weil jene, die später Kinder bekommen, ihre Veranlagung weitergeben. Ein ganz toller Fortschritt. Niemand kennt aber die Konsequenzen.