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Die Menschheit hält den Atem an - die Erde atmet auf

Von Eva Stanzl

Wissen
Klares Wasser, hier in einem verkehrsfreien Venedig.
© reuters/Manuel Silvestri

Wenn wir Menschen Pause machen, setzt die Umweltverschmutzung aus. Auswirkungen der Corona-Krise auf die Natur.


In den trüben Fluten des Canal Grande sollte man besser nicht schwimmen. Fische, Schwäne und Wasservögel tun es aber. Und das immer zahlreicher, denn die Corona-Krise klart die Wasser. Wenn die Menschheit Pause macht, setzt die Umweltverschmutzung aus. Keine Schiffe, keine Motoren, weniger Schmutz.

Mitglieder der Aktivisten-Gruppe Venezia Pulita, übersetzt "Sauberes Venedig", teilen auf sozialen Medien Fotos und Videos des nun glasklar fließenden Wassers in den Canali. Die Gruppe kämpft für einen nachhaltigeren Umgang mit dem Kulturerbe der Lagune. Unter dem Titel "Die Natur nimmt sich ihren Raum zurück" zeigt eines der Bilder einen Fischschwarm in den blaugrünen Gewässern des Rio dei Ferali nahe dem Markusplatz. "Eine unerwartete Seite der Pandemie - das Wasser ist endlich rein", schreibt ein anderes Gruppenmitglied zum Foto einer Schwanenfamilie am Rialto dazu. Und ein anderes: "Jetzt sieht man erst, wie schön Venedig einmal war. So gesehen hat das Virus etwas ... Schönes gebracht."

Delfine im Hafenbecken

Es habe sich bloß die Optik verbessert, die Wasserqualität aber noch nicht, räumt ein Sprecher des Magistrats von Venedig im US-Sender CNN ein. "Das Wasser ist klar, weil es mangels Touristen und Handel weniger Bootsverkehr gibt, der die Sedimente aufwirbelt", führt er aus. "Allerdings messen wir einen deutlichen Abgas-Rückgang in der Luft."

Nach wie vor belasten zahlreiche Hotels und Haushalte in Venedig ungefiltert das historische Abwassersystem, das über die Kanäle ins Meer läuft. Neben Fäkalien gelangen auch Chemikalien, Pestizide oder Haushaltsreiniger ins Wasser. Die Kloake setzt sich am Grund ab, Boote wirbeln sie wieder auf - normalerweise. Seit 10. März herrscht Ausnahmezustand. Ganz Italien ist Sperrgebiet. Niemand darf einreisen, niemand ausreisen. Die fast 16 Millionen Einwohner der Regionen Lombardei und Venetien brauchen triftige Gründe, um das Haus verlassen zu dürfen. Die Industrie ist lahmgelegt, in die Häfen laufen keine Fähren ein.

Die Auswirkungen sind bis nach Sardinien zu spüren. Im Hafenbecken der Hauptstadt Cagliari wurden erstmals seit Jahrzehnten Delfine gesichtet. Deutlich sichtbar sind die Effekte des Lockdown aus der Luft. In Europa sind vor allem im Norden Italiens seit Beginn der Sperrmaßnahmen die Emissionen von Stickstoffdioxid gesunken. Das zeigen Satellitenbilder des Satellitennetzwerks der Copernicus-Mission der europäischen Raumfahrtagentur ESA. Stickoxide entstehen in Straßenverkehr, Industrie, Kraftwerksbetrieben, bei der Verbrennung von Biomasse und durch Düngemittel in der Landwirtschaft. Stickstoffdioxid (NO2) wiederum ist ein rotbraunes, giftiges, chlorähnlich stechend riechendes Gas aus dieser Gruppe. Es bildet sich bei hohen Temperaturen in Reaktion mit Sauerstoff, insbesondere bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe in Automotoren.

Auswirkungen in Österreich

Auch in Österreich wird aufgrund der Ausgangsbeschränkungen weniger gefahren. In Wien sind die Auswirkungen bereits messbar. "Normalweise messen wir bei schönem Wetter und mildem Wind an Arbeitstagen eine hohe Konzentration von Stickstoffdioxid. Vergangenen Donnerstag war sie jedoch deutlich geringer als genau ein Jahr davor, am 21. März, wo die Wetterbedingungen vergleichbar waren", sagt Stefan Schreier vom Institut für Meteorologie und Klimatologie der Wiener Universität für Bodenkultur zur "Wiener Zeitung". "Es ist eine Auffälligkeit, allerdings ist sie weniger ausgeprägt als in der Po-Ebene Italiens, weil wir hierzulande weniger Stickoxide produzieren." Schreier will in ein bis zwei Wochen "ein Gesamtbild" liefern können. "Längerfristig sollte eine Verringerung der Luftschadstoffbelastung zu beobachten sein", heißt es auch aus dem Umweltbundesamt, das Luftgütemessungen im Jahresvergleich anhand von mehreren Faktoren erstellt.

Weniger Feinstaub

China, wo die Seuche Ende Dezember ihren Ausgang nahm, startete ab Jänner drakonische Maßnahmen. Die NO2-Emissionen aus Autos, Fabriken und Kraftwerken sind dadurch um 40 Prozent zurückgegangen, wie eine weitere Satelliten-Animation der ESA veranschaulicht. Die europäische Weltraumagentur berichtet zudem von einem Rückgang des Feinstaub-Anteils von zwischen 20 und 30 Prozent in weiten Teilen Chinas. Gemessen wurde der Anteil im Februar 2020 zu den Vergleichsmonaten der vergangenen drei Jahre.

Erfreuliche Daten. Das Faszinierendste an der Entwicklung aber ist, dass sie zeigt, was strenge Regeln alles bewirken können. Da niemand auf Dauer eingeschränkt sein will, sollte die Menschheit sich künftig disziplinieren. "Wir haben derzeit Labor-Bedingungen für die Natur", sagt Schreier: "Daraus können wir lernen. Künftig müssen wir vielleicht nicht zu jeder Konferenz fliegen, sondern könnten einen Teil online machen und die Bahn deutlich verbilligen." Denn wenn wir wieder aufs Gas steigen, ist alles beim Alten.