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Diktieren die Gene die Symptome?

Von Eva Stanzl

Wissen
Das Coronavirus (orange) dringt aus einer Zelle. Forscher untersuchen die Zusammenhänge zwischen dem Krankheitsverlauf und genetischer Veranlagung.
© reuters/NIAID-RML

Wie krank macht das Coronavirus? Die Antwort könnte im Erbgut liegen.


Alter, Vorerkrankungen oder Veranlagung? Woran liegt es, dass Covid-19 bei manchen Menschen Lungenversagen, bei anderen tagelang hohes Fieber und bei wieder anderen nur einen leichten Husten auslöst? Wiederum andere, deren Zahl nur geschätzt werden kann, merken gar nicht, dass sie sich angesteckt haben. Niemand weiß, wie das Virus seine Auswahl trifft.

Zur Lösung der Rätsel werden unterschiedliche Ansätze verfolgt. Forschungsteams aus aller Welt wollen analysieren, ob die Schwere der Symptome am Erbgut liegt. Für das freie Auge unsichtbare DNA-Variationen könnten etwa erklären, warum selbst junge, gesunde Menschen unerwartet stark erkranken und sogar an Covid-19 sterben können. Andere Teams wollen anonymisierte Patienten-Daten mit eingenommenen Medikamenten vergleichen.

Zunächst zur Genetik. "Es gibt enorme Unterschiede in den klinischen Ergebnissen. Inwieweit dies auf das Erbgut der Betroffenen zurückzuführen ist, ist eine große Frage", sagt Andrea Ganna vom Institut für Molekularmedizin (FIMM) der Universität Helsinki. Er will die DNA von Covid-19-Patienten ohne Diabetes, COPD oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus schwer betroffenen Ländern untersuchen und sie mit der DNA von Patienten mit leichten bis gar keinen Symptomen vergleichen.

Zusammen mit FIMM-Direktor Mark Daly hat Ganna die Website Covid-19 Genetics ins Leben gerufen, über die er Daten zur DNA von Covid-19-Patienten aus aller Welt zusammenführen will. Große Biobanken, die genetische Ursachen für Krankheiten erforschen, sollen mitmachen. "Manche Medikamente wirken gezielt auf bestimmte Gene. Wenn es Mutationen gibt, die die Schwere der Symptome von Covid-19 beeinflussen, könnten Erkenntnisse über sie in neuen Therapien zum Einsatz kommen," wird Ganna in einer Aussendung seiner Universität zitiert.

Ein naheliegender Ansatzpunkt für die Forscher ist das Gen, das für den Rezeptor ACE-2 (Angiotensin Converting Enzyme) kodiert. Dieses Eiweiß an der Zell-Oberfläche kann Signale von außen nach innen schleusen. An sich schützt ACE-2 vor Lungenversagen, doch zugleich macht es Sars-CoV-2 den Weg ins Zellinnere frei. Das Coronavirus dockt an den Rezeptor an und tritt gemeinsam mit ihm ein, um im Inneren sein Unwesen zu treiben. Variationen im ACE-2-Gen könnten den Rezeptor jedoch so verändern, dass dieser das Virus entweder blockiert oder noch bereitwilliger hereinlässt, erklärt der US-Immunologe Philip Murphy im Fachjournal "Science". Mit seinem Team vom Institut für Allergien und Infektionskrankheiten in Bethesda im US-Staat Maryland konnte er eine Mutation an einem Oberflächen-Protein namens CCR5 identifizieren, das manchen Menschen eine starke Resistenz gegen HIV verleiht.

Elektronische Erfassung

Laut Andrea Ganna hat bisher fast ein Dutzend Biobanken das Interesse bekundet, Daten von freiwilligen Covid-19-Pateinten beizusteuern. Dazu zählen FinnGen mit DNA-Proben von 250.000 Finnen, die 50.000-Teilnehmer-Biobank der Icahn School of Medicine in New York City, die britische UK Biobank mit 500.000 Teilnehmern und jene der isländischen Biopharmaziefirma deCODE Genetics, die einen repräsentativen Anteil der isländischen Bevölkerung auf Covid-19 testet. Geht es nach Ganna, sollen alle Daten zusammenkommen.

Unterdessen fordert in Österreich der Sprecher der Patientenanwälte, Gerald Bachinger, die wissenschaftliche Auswertung der Elektronischen Gesundheitsakte (Elga) zur Bekämpfung des Coronavirus. So könne geprüft werden, ob bestimmte Medikamente gegen Covid-19 schützen und andere nicht. Das Gesundheitsministerium, das die Daten für die Forschung freigeben müsste, zeigt sich laut Austria Presse Agentur nicht abgeneigt.

Bachinger zufolge gibt es zudem eine Anfrage der Charité in Berlin. Es soll untersucht werden, ob unter den erkrankten Personen solche sind, die bestimmte Wirkstoffe einnehmen, die üblicherweise gegen rheumatische Krankheiten (Cloroquin) oder zur Malaria-Prophylaxe (Hydroxychloroquin) verschrieben werden, und ob diese Medikamente vor Covid-19 schützen. Österreich könnte Daten liefern, die in anderen Ländern noch nicht vorhanden seien, zumal die von den meisten Österreichern eingenommenen Medikamente elektronisch erfasst sind.

Spekulativ bleibt die Idee eines potenziellen Zusammenhangs zwischen einer Behandlung mit ACE-Hemmern gegen Bluthochdruck und Angiotensin-Rezeptor-Blockern gegen Herzinsuffizienz und einer höheren Gefahr bei einer Infektion mit Sars-CoV-2. "Diese Mittel können bewirken, dass ACE-2 hochreguliert wird und man empfänglicher wir für das Virus", zitierte die Innsbrucker Virologin Dorothee von Laar am Dienstag eine Studie, die kürzlich im Fachjournal "The Lancet" veröffentlicht wurde. Dem gegenüber stehen Warnungen der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft: Ein Absetzen der Medikamente sei nicht indiziert und gefährlich.