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Negativer Antigen-Test ist kein Freibrief

Von Eva Stanzl

Wissen

200 Antigen-Schnelltests sind in Europa zertifiziert, doch die Qualität schwankt. Dennoch erhöhen sie die Sicherheit vor Corona.


Nicht weniger als 300 Euro für 20 Antigen-Schnelltests, zum Mitnehmen bei zwei Apotheken in den Wiener Nobelbezirken Innere Stadt und Döbling. Dagegen 35 Euro für nur einen einzigen in einer weiteren City-Apotheke, jedoch vom Chef persönlich durchgeführt. Und noch anders: 122 Euro für 25 Stück in einem Testzentrum in Wien, aber nur für Unternehmen des Fachgebiets. Das Stück kostet diese somit die Hälfte dessen, was Privatpersonen für einen Antigen-Schnelltest der Schweizer Pharmafirma Roche berappen müssen. Anbieter im Internet verlangen wiederum Beträge, die dazwischen liegen, und Massentests sind freilich gratis. Dies hat die "Wiener Zeitung" auf der Suche nach Covid-Tests zur Selbstkontrolle zusammengetragen.

Eines vorweg: Obwohl die meisten Menschen wohl in der Lage wären, die Testsysteme korrekt zu benutzen, sind Antigen-Schnelltests von Prüfungsbehörden in der Regel "for professional use" zugelassen und müssen daher so verkauft werden. Da zahlreiche Experten die Freigabe für private Nutzung fordern und derartige Produkte angeboten werden, wird eine solche derzeit diskutiert.

Die andere Frage ist, wie verlässlich die erworbene Marke auf der einen und das Antigen-Testverfahren per se auf der anderen Seite ist. Unterscheiden sich Test-Produkte in ihrer Güte und wenn ja, wie stark? "Es sind derzeit etwa 200 Antigen-Schnelltests in Europa zertifiziert, aber die Qualität schwankt beträchtlich", sagt Gerald Gartlehner, Leiter des Departments für Evidentbasierte Medizin an der Donau-Universität Krems und Direktor des unabhängigen Wissenschafter-Netzwerks "Cochrane", zur "Wiener Zeitung". Eine Auswertung internationaler Studien durch Cochrane zeigt, dass die Sensitivität - also wie verlässlich ein Antigen-Schnelltest eine Infektion aufspürt - von sagenhaften null bis hin zu erstrebenswerten 94 Prozent schwankt. Gartlehner betont: "Jene Tests, die in Österreich bisher für Massentests verwendet wurden (Siemens und Roche, Anm.), sind relativ genau."

Ergebnisse aus dem Nasen-Rachenraum genauer

"Die Empfindlichkeit der Antigen-Schnelltests ist zum Teil erheblich geringer als von den Herstellern angegeben", schreibt wiederum das Forschungsnetzwerk der Universitätsmedizin Deutschland in einem Positionspapier. Die Mediziner warnen davor, die Hygieneregeln in Alters- und Pflegeheimen zu lockern, in denen Schnelltests zum Einsatz kommen. "Nur sechs von zehn Sars-Cov-2-Infektionen werden erkannt", sagt Oliver Keppler von der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Somit ist klar: Ein negativer Antigen-Schnelltest ist kein Freibrief. Dennoch kann es nützlich sein, an Gratis-Massentests teilzunehmen oder sich mit einem Antigen-Test selbst zu prüfen, bevor man plant, andere Menschen zu treffen.

Zum Hintergrund: Die Maßeinheit bei Corona-Tests ist der Ct-Wert oder "Cycle threshold" (Zyklus-Schwelle). Das ist ein Orientierungswert für die Viruslast im Körper. Ein PCR-Test, der als "Goldstandard" gilt, findet selbst ein einziges Molekül Viren-Erbgut in Mikrolitern von Proben, indem er die Gen-Sequenzen des Virus in vielen Schritten verdoppelt. Je öfter diese Schritte wiederholt werden, desto größer sind die Chancen, Spuren des Erregers Sars-CoV-2 zu finden und damit ein positives Messergebnis zu erhalten.

Der Ct-Wert besagt also, wie oft die Erbsubstanz verdoppelt werden muss, bis ein Signal im PCR-Test aufscheint. Je niedriger er ist, desto mehr Viren befinden sich im Nasen- oder Rachen-Abstrich.

Anders als PCR-Tests zeigen Antigen-Schnelltests ausschließlich hohe Virenlasten an, mit denen jemand die Lungenkrankheit Covid-19 bereits weitergeben kann. Die Infektionsgrenze liegt bei Ct30 oder 100.000 Viren pro Milliliter Nasen- oder Rachenabstrich. Das PCR-System zeigt noch Größenordnungen von 100 Viren pro Milliliter Abstrichflüssigkeit an.

Antigen-Tests können über Abstriche aus der Nasenmuschel oder dem Nasen-Rachenraum gemacht werden. "Ergebnisse aus dem Nasen-Rachenraum gelten als etwas genauer, wobei in der Nasenmuschel noch 75 Prozent der Infektionen erkannt werden", sagt Gartlehner. "Für Spucktests kenne ich noch keine unabhängigen Untersuchungen. Da sollte man wahrscheinlich noch vorsichtig sein."

Beide Testformen - PCR und Antigen - sind eine Momentaufnahme, zumal die Virenlast schnell ansteigt, aber nur langsam abfällt. Von den Corona-Regeln sollte daher niemand abweichen. Um zu verstehen, warum es dennoch sinnvoll ist, sich immer wieder testen zu lassen, muss man sich die Pandemie-Strategie Europas vergegenwärtigen.

Begonnen sei bei dem Prinzip der absoluten Sicherheit, das in China verfolgt wird: Zwei Wochen Quarantäne an vom Staat vorgegebenen Orten, dann PCR-Test. Bei einem Negativ-Ergebnis kann man im Inkubationszeitraum von zwei Tagen jemanden besuchen.

"Europa verfolgt dagegen das Prinzip der relativen Sicherheit, in dem es sinnvoll ist, wenn viele Menschen sich so oft wie möglich PCR- und Antigen-Testen lassen, um insgesamt im Kollektiv die Risiken zu senken", erklärt Günther Malek, Chef des Wiener Testzeitrums Trinicum Diagnostics, der die Tests seit Oktober österreichweit in Massentests anwendet. "So könnten wir mit den Tests in den Schulen 90 bis 95 Prozent der infektiösen Kinder herausziehen."

Absolute und relative Sicherheit

Malek hält auch individuelle Antigen-Tests für sinnvoll, "solange man die Situation richtig einschätzt", sagt er: "Ich würde nicht mit bloß einem negativen Antigen-Test meine Großmutter besuchen, die vor einer Herz-OP steht." Von einer "relativen Sicherheit" bezüglich der statistischen Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung sei auszugehen, wenn man "alle zwei Tage vor dem Zähneputzen" und insbesondere vor Kontakten einen Antigen-Test durchführt.

Antigen-Tests können übrigens auch die neue, hochinfektiöse Corona-Variante aus Großbritannien aufspüren, wie Gartlehner hervorhebt: "Da ist kein Unterschied."

Die Mutation hat Veränderungen am Spike-Protein an der Zellhülle hervorgebracht. Antigen-Tests spüren jedoch nicht diesen "Stachel", der das Zelltor öffnet, auf, sondern das Protein Nukleokapsid im Viren-Inneren. "Das sagen die Hersteller", so Malek: "Studien gibt es nicht."