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Eine Arznei, die Darmkrebs auflöst

Von Eva Stanzl

Wissen
Darmkrebs, eine häufige Tumorform. Eine Unterform könnte bald geheilt werden.
© wiki commons

Teststudie: Immuntherapeutisches Medikament brachte Mastdarmkrebs zum Verschwinden.


Selbst die Ärzte waren nach eigenen Aussagen überrascht: Ein Wirkstoff lässt Darmkrebs komplett verschwinden. Das berichtet das Memorial Sloan Kettering Cancer Center in Manhattan, New York, auf Basis einer experimentellen Studie. Bei allen zwölf Probanden seien die Tumore ein Jahr nach der Behandlung nicht mehr nachweisbar gewesen. Seine Studienergebnisse hat das Forschungsteam im renommierten "New England Journal of Medicine" veröffentlicht.

Darmkrebs ist mit weltweit 1,4 Millionen neuen Fällen im Jahr eine der häufigsten Krebserkrankungen. In Österreich ist er bei Männern mit 13 Prozent die dritthäufigste, bei Frauen mit elf Prozent die zweithäufigste Tumorform. Pro Jahr wird hierzulande bei etwa 2.500 Männern und 1.900 Frauen Darmkrebs diagnostiziert, rund 3.000 Personen sterben daran. Die Überlebenschancen hängen entscheidend vom Krankheitsstadium ab, in dem Darmkrebs entdeckt wird. Vor allem in fortgeschrittenen Stadien stützt sich die Behandlung auf traditionelle Chemo- und Strahlentherapien, die schwere Nebenwirkungen verursachen können. Eine neue Generation von Medikamenten, Immuntherapien genannt, waren bisher nur bei vereinzelten Arten wirksam.

Immunotherapien gehen im Kampf gegen den Krebs eine Allianz mit dem körpereigenen Immunsystem ein. Sie kommen heute etwa gegen Melanom, auch schwarzer Hautkrebs genannt, zum Einsatz. "Bei Darmkrebs muss man aber ehrlicherweise sagen, dass Immuntherapien noch nicht sehr erfolgreich sind", sagt Herbert Tilg, Direktor der Klinik für Innere Medizin I der Medizinuni Innsbruck. Dennoch wollten die New Yorker Forschenden nach eigenen Aussagen erstmals herausfinden, ob diese innovative Medikamentengruppe bei einer speziellen Untergruppe ohne zusätzliche Dosen von Chemo- oder Strahlentherapie wirksam sein kann. In der Studie kam ein monoklonaler Antikörper namens Dostarlimab, zugelassen zur Behandlung von bestimmten Krebserkrankungen der Gebärmutterschleimhaut, gegen Mastdarmkrebs zum Einsatz.

Hohe Wirksamkeit

Als bemerkenswert zeigte sich die hohe Wirksamkeit. "In allen Fällen verschwanden die Tumore im Mastdarm nach der Immuntherapie zu Gänze, ohne zusätzliche Chemo- oder Strahlentherapien. Bei keinem Patienten kamen Tumorzellen zurück, alle sind seit mindestens einem, manche seit zwei Jahren krebsfrei", berichtet die Onkologin Andrea Cercek in einer Aussendung des Memorial Sloan Cancer Center.

"Ich glaube, das ist das erste Mal in der Geschichte von Krebs, das so etwas passiert. Das ist sehr aufregend! Ein großer Schritt in der Behandlung von Krebs", wird Luis Diaz, Onkologe und Studienautor, von der "New York Times" zitiert. Womöglich könne das Medikament auch bei anderen Krebsarten helfen. Dostarlimab helfe dem Immunsystem dabei, versteckte Krebszellen zu erkennen und unschädlich zu machen.

Trotz der vielversprechenden Ergebnisse sei die Studie allerdings zu klein, um das Medikament als neues Wundermittel gegen Krebs zu bezeichnen, räumen die Autoren ein. Dafür seien zunächst größer angelegte klinische Studien notwendig.

"Es ist schon interessant", sagt Tilg zur "Wiener Zeitung": "Und es ist ein Start. Gegen Mastdarmkrebs könnte die Immuntherapie zu einer sehr wirksamen Therapie werden."

Fünf bis zehn Prozent der Tumore im Darm reagieren wenig auf Chemo- und Radiotherapien, was operative Eingriffe erfordern kann. Zu den Nebenwirkungen zählen Nervenschäden, Unfruchbarkeit sowie Dysfunktionen der Gedärme und Sexualorgane. "Ich kann mir in meinem Beruf nichts besseres vorstellen als ein Medikament, dass effektiver und zugleich weniger toxisch ist", schreibt die Gastrointenstinal-Onkologin Hanna Sanof vom Lineberger Comprehensive Cancer Center im NUS-Staat North Carolina in einem Kommentar zur Studie. "Diese erste Entdeckung, die einen bemerkenswerten Nutzen dieses Medikaments nachweist, ist vielversprechend. Aber sie muss mit Vorsicht betrachtet werden, bis sich die Ergebnisse in einer größeren und diverseren Bevölkerung wiederholen lassen."